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Seid nicht so gutgläubig
Zum Tod von Ralf Alex Fichtner
Schwarzenberg im Erzgebirge, unscheinbare Kleinstadt mitten in den Wäldern am Rande des Vogtlandes, ist nicht erst durch die Texte von Stefan Heym und Volker Braun zur zeitweiligen »Republik Schwarzenberg« verklärt worden. Tatsächlich blieb der damalige Landkreis von Anfang Mai bis Ende Juni 1945 vorläufig von Besatzungstruppen ausgespart. So konnten die Bewohner ganz selbstständig und unbeeinflusst Arbeiterselbstverwaltung und Entnazifizierung in Gang setzen. Andernorts hatte man bis zu den letzten Bluts- und Schweißtropfen das Hitlerregime verteidigt. Hier ging man ganz selbstverständlich zur Tagesordnung über. Und die hatte nun eben mal sozialistische Vorzeichen.
Für den 1952 in Aue geborenen und kurz danach nach Schwarzenberg gekommenen Ralf Alex Fichtner war das bereits Geschichte. Irgendwie musste diese Mentalität ihn aber doch geprägt haben. Dass er jedenfalls unverwechselbar einer aus dem »Arzgebirch« war - man hörte es mühelos an seiner Sprache und sah es an seinem Auftreten. Mit den Jahren wurde aus dem Sohn eines Modellbauers und Enkel eines Malermeisters ein eigenwilliger Künstlermensch.
Nach dem Abitur ging er erst einmal unter die Werkzeugmacher und Plakatmaler. Da sie ihn bei den verschiedenen Studienrichtungen nicht haben wollten, lebte er halt erst mal davon. Bei der Armee begann er Geschichten zu schreiben. Glücklicherweise kam er danach auf die Idee, seine Geschichten in Bildern zu erzählen. Bei ihm gab es immer einen Knalleffekt, eine Pointenzündung. Das brachte ihn zu den Cartoonisten. Und trieb ihn in meine Arme. 1980 bekam er beim Satiricum in Greiz als karikierender Laienschaffender einen Preis. Da lief er Gefahr, in dieser Kategorie seine sozialistische Zuordnung zu finden. Davor konnte ich ihn bewahren. 1984 wurde er Mitglied des Künstlerverbandes.
Ralf Alex wurde immer mal im »Eulenspiegel« gedruckt, im Wesentlichen aber war er dem verpflichtet, was wir Ausstellungskarikatur nannten. Das hieß, ohne Zweckbestimmung für ein sehr eingeengtes Pressespektrum seine künstlerisch-kritischen Aussagen an die Öffentlichkeit zu bringen. Zu der Zeit schon signierte Ralf Alex provozierend mit »RAF« - was bei seinen späteren Ausflügen in westliche Gefilde fast einen Schock, zumindest jedoch Verwunderung auslöste.
Dem Start dorthin ging aber erst einmal ein bronzener Satyr als Preis der Biennale des Greizer Satiricums in der sich gerade verabschiedenden DDR voraus. Das Wilhelm-Busch-Museum Hannover lud ihn 1991 zu einer groß angelegten Überschau »Europäische Karikatur« mit 62 Namen aus 22 Ländern ein. Neben Cleo Petra Kurze und Klaus Vonderwerth vertritt er das bereits nicht mehr mitgezählte untergegangene Land.
1993 entdeckte ich das Kürzel RAF unversehens bei einem München-Trip in der Galerie »Etcetera«. Das Galeristenpaar Meisi und Helmut Grill schrieb: »Seine Aquarellarbeiten sind Perlen, die an Caspar David Friedrichs Visionen und an Edgar Allan Poes oder Kafkas düsteren Geschichten orientiert sind.«
Im heimischen Schwarzenberg engagierte er sich in einer linken Bürgerinitiative. Überhaupt ging er kritisch gegen die Etablierung ultrakonservativer Strukturen im Freistaat an, sei es im Schwarzenberger Kultur- und Kunstverein, in der Künstlergruppe »Zero« oder als Stadtrat im Gemeindeparlament. In der Regel wird bei seinen Bildfolgen auf eine mittlere Katastrophe zugesteuert. Diese Debakel erscheinen jedoch meist gar nicht so schicksalhaft. Erschreckend wirken sie dadurch, dass sie die Antwort auf Illusionen sind. Vorsicht - vorhersehbare Gefahr!, so mahnte der Zeichner. Und er fügte hinzu: Seid nicht so gutgläubig angesichts des schönen Scheins. Nun ist Ralf Alex Fichtner am vergangenen Mittwoch mit 69 Jahren in Zwickau gestorben.
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