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Die Traummatratze
Was tun gegen Depressionen? Oder eine neue Matratze kaufen? Aber welche? Eine wahrlich schwierige Entscheidung.
Vor einigen Jahren entwickelte ich plötzlich verschiedene Allergien. Alles, was im weitesten Sinne mit Staub zu tun hatte, wurde problematisch - sowohl »neuer« Staub, also Pollen, als auch »alter« Staub, Hausstaub, versetzten mich in einen Zustand des nebligen Schwindels. Eine Weile lang dachte ich, Alkohol wäre das einzige Gegenmittel. Erst als ein HNO-Arzt in Berlin-Steglitz (seine Praxis war direkt neben dem Bierpinsel) mir die Zahlen von 1 bis 10 auf den Oberarm schrieb, verschiedene Flüssigkeiten darauf verteilte und deren Reaktion auswertete, wusste ich, dass nicht der Alkohol mir endlich die vermisste Klarheit gegeben hatte, sondern ganz einfach die Nacht. Sie ist nämlich nicht nur der richtige Moment zum Trinken, es ist auch ein Zeitraum, in dem keine Pollen fliegen. Ich ging zu »Curry Wolf«, direkt am grün gekachelten Eingang zum U-Bahnhof, und kaufte mir eine Currywurst mit Darm.
Ich wusste nicht genau, was ich mit der neuen Information anfangen sollte, also tat ich erst einmal - gar nichts. Weil ich von Antriebslosigkeit und Zukunftsängsten geplagt war, verbrachte ich die meiste Zeit zu Hause, auf meiner Matratze. Der vielversprechende Frühling, mit seinem fröhlichen, hellgrünen Pollenstaub deprimierte mich - also setzte ich mich stattdessen, auf dem Bauch liegend und bis zur Sehnenscheidenentzündung im Internet surfend, dem Staub der Vergangenheit aus, dem Hausstaub. Der Arzt, der meinen vom gleichmäßigen Googeln und Scrollen verletzten Muskel diagnostizierte, war im selben Gebäude wie der HNO-Arzt, also ging ich danach wieder zu »Curry Wolf«. Dieses Mal bestellte ich eine Currywurst ohne Darm - ich konnte mich nie entscheiden, was mir besser schmeckte. Mein Vater hatte mir die Currywurstbude empfohlen. Er war über ein Jahrzehnt Taxifahrer in Westberlin gewesen und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alle Currywurstbuden in der ganzen (damals noch halben) Stadt auszuprobieren und Buch über ihre Qualitäten und Nachteile zu führen. »Curry Wolf« war immerhin in den Top Ten.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Um meine Depression, die eigentlich eine Allergie war (oder andersherum, das ist mir bis heute nicht ganz klar), zu bekämpfen, schenkte meine Mutter mir eine (erschreckend teure) Anti-Allergie-Matratze (aka Anti-Depressions-Matratze) namens »Bruno«. Sie wurde nur bis zur Haustür meines Hauses (das ich wochenlang kaum verlassen hatte) geliefert und allein der Transport in den fünften Stock brachte mich mehrere Male an den Rand des kompletten Verlustes meiner Lebenslust. Auch als »Bruno« endlich oben war, brachte er mir keine Freude - er war mir von Anfang an zu weich, so dass ich zusätzlich zur Sehnenscheidenentzündung noch latente Rückenschmerzen entwickelte.
»Bruno« erlebte wenig glückliche Zeiten unter mir, war dafür aber bei mehreren Trennungen dabei - erst bei meiner eigenen, dann bei der eines Freundes, der sich bei mir einquartiert hatte, und dann noch die tragische Trennung meiner Mitbewohnerin, der ich »Bruno« vermachte, nachdem ich entschieden hatte, lieber allergisch zu sein, als weiter unter seinem Fluch zu stehen. Dann zog ich aus und ließ den mittlerweile fleckigen »Bruno« in der leeren Wohnung liegen.
Neben »Bruno« gibt es weitere Matratzen, die Vornamen tragen wie die Kinder auf den Spielplätzen im Neuköllner Schillerkiez. Erst gesellte sich »Casper« dazu - der mir allerdings von Anfang an suspekt war, nicht zuletzt, weil er ungefähr im selben Zeitraum auftauchte wie der neue Fachbegriff aus der Dating-Sprache: Caspering. Nach dem Cartoon »Casper the Friendly Ghost« stellt dies eine freundlichere (und also noch brutalere) Form des Ghosting dar. Ghosting, das wissen mittlerweile alle, ist ein Begriff für den abrupten und unangekündigten Kommunikationsabbruch nach oder während einer romantischen oder erotischen Beziehung. Caspering ist das freundliche Äquivalent dazu, bei dem sich mit einer netten Ausrede aus der Affäre gezogen wird, so dass das Gegenüber nicht mal das Privileg hat, einen hinterher zu hassen. Ich wette, ich casperte viele Leute, während ich antiallergisch und depressiv auf »Bruno« verschimmelte - nicht aus bösem Willen, sondern aus Lebensmüdigkeit.
Neulich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass es eine neue, noch bessere Matratze namens »Emma« gibt. Meine eigene namenlose Matratze wurde zuvor mit den Liegemöglichkeiten in den Ausnüchterungszellen ostdeutscher Polizeireviere verglichen. Ich glaube, ich bleibe trotzdem meiner knastharten Matratze ohne namentliche Identität treu. Auf ihr sitzt man nämlich aufrecht wie auf einem Schreibtischstuhl - und kann also ruhigen Gewissens im Bett Texte schreiben. Denn ich geb’s zu: Jede meiner über 30 Kolumnen ist bisher im Bett sitzend entstanden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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