Die Sirenen schrillen, die Ohren sind taub

Zwei Plädoyers für die Natur

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Natur hat Konjunktur. Hat sie leider nicht. Aber Bücher über die Naturzerstörung haben Konjunktur. Und das ist gut so. Sie können spannender als jeder Krimi sein und wegweisender als jede Regierungserklärung. Das trifft jedenfalls auf das Buch von Dave Goulson zu, Professor der Biologie an der University of Sussex. Er schreibt kenntnisreich und leidenschaftlich darüber, warum wir die Insekten retten müssen.

Faszinierend ist sein Blick auf den Anfang vor einer halben Milliarde Jahren, als die ersten Gliederfüßer mit einem Außenskelett und gegliederten Beinen sich aus dem Urschlamm entwickelten - die Vorfahren der Insekten. Versteinerungen dieser frühen Lebewesen lassen uns ahnen, welche Vielfalt die Natur ausprobierte. Goulson streift durch die spannende Evolution dieser kleinen Lebewesen, von denen viele Arten in der jüngsten Erdgeschichte ausgestorben sind, von uns Menschen vertrieben, ausgemerzt.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der Autor beschreibt die bewundernswürdige Wirksamkeit der verschiedensten Insektenarten. Sie bestäuben Blütenpflanzen, verbessern die Bodenqualität, bekämpfen »Schädlinge«, dienen selbst größeren Tieren zur Nahrung. Sie sind lebensnotwendig für ein wünschenswertes Gleichgewicht unserer natürlichen Umwelt. Manche bilden große, selbst riesige Gemeinschaften. Insekten lassen sich einiges gefallen, aber eben nicht alles, was wir Menschen ihnen antun. Die einst als Errungenschaften gepriesenen Erfindungen und Entwicklungen der Chemie, Unkrautvernichtungsmittel, Schädlingsbekämpfungsmittel sowie Kunstdünger sind ihre Feinde, die in den letzten Jahrzehnten zu einem katastrophalen Insektensterben geführt haben, das wiederum die Natur, auch die menschengemachte Natur dramatisch gefährdet und damit die Existenz der Menschen selbst.

Trotzdem wird der Regenwald weiter gerodet, wird weiter gespritzt, gedüngt, weiter die großflächige Landwirtschaft von der EU bevorzugt gefördert und das Klima - ein weiterer Feind von Insekten - erwärmt. In einem apokalyptischen Kapitel beschreibt Goulson »seine« Welt um 2080, in der nur noch wenige Menschen auf der völlig überhitzten Erde überlebt haben. Der Homo sapiens selbst lebt privilegiert mit seiner Familie in einem Schrebergarten, in der alle Pflanzen von Hand bestäubt werden - Bienen und Hummeln sind längst ausgestorben. Goulson beobachtete eines Tages wie ein Wunder einen Igel durch eine Hecke kriechen, den ersten seit Jahrzehnten. Zum Glück bleibt der Autor nicht bei diesem schwarzen Ausblick stehen, sondern entwickelt Vorschläge für die Politik, für die Gesellschaft, für jeden Einzelnen zu einer Zeitenwende, einer Umkehr, die »fünf vor zwölf« vielleicht gerade noch das völlige Umkippen verhindert. Alle die von Goulson unterbreiteten Vorschläge sind machbar, es braucht nur etwas guten Willen dazu, wie zum Beispiel mittels eines veränderten Kaufverhaltens.

Warum haben wir so selbstmörderisch gehandelt und warum tun wir uns so schwer, das Richtige und dringend Notwendige zu tun? Dies fragen Harald Lesch und sein Koautor Klaus Kamphausen in ihrem kleinen naturphilosophischen Buch. Der Titel »Über dem Orinoko scheint der Mond« erinnert an den Naturforscher Alexander von Humboldt, der den Regenwald in Südamerika noch intakt erlebte. Lesch ist Professor für theoretische Astrophysik in München und erreicht über seine beliebten Fernsehserien und seine Bücher ein großes Publikum. Vielleicht waren es seine Leser und Zuschauer, die vor drei Jahren in Bayern das erfolgreiche Volksbegehren unter dem Motto »Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern« zuwege brachten und schließlich durch ihre Hartnäckigkeit schließlich auch den bayerischen Landtag zu entsprechenden gesetzlichen Regeln zwangen.

Der Engländer Goulson bewundert diese Initiative, lebt er doch in einem Land, in dem es nur eine grüne Abgeordnete im Unterhaus gibt. Betreibt der Insektenforscher Alarmismus, wenn er eine leidenschaftliche Lanze für Bienen oder Ohrwürmer bricht? Nein!

Die Sirenen schrillen, aber alle halten sich die Ohren zu.

Dave Goulson: Stumme Erde. Warum wir die Insekten retten müssen. A. d. Engl. v. Sabine Hübner. Hanser, 367 S., geb., 25 €.
Harald Lesch/Klaus Kamphausen: Über dem Orinoco scheint der Mond. Warum wir die Natur des Menschen neu begreifen müssen, um die Welt von morgen zu gestalten. Penguin, 159 S. , geb., 18 €.

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