- Berlin
- Wombat's City Hostel in Berlin
Kapitalismus statt Kollektiv
Das ehemalige »Wombat’s«-Hostel in Berlin soll Teil einer globalen Kette werden - die einstige Belegschaft wollte es genossenschaftlich betreiben
Nach fast drei Jahren Leerstand soll sich bald wieder etwas tun im ehemaligen »Wombat’s«-Hostel in Berlin-Mitte. Von außen wirkt es, als sei in der Alten Schönhauser Straße 2 die Tür der ehemaligen Filiale der kleinen Hostel-Kette gerade erst ins Schloss gefallen. Zur Erinnerung: Im August 2019 entschied sich die damalige Geschäftsführung, den Standort in Berlin zu schließen - trotz profitablen Betriebs.
Mutmaßlicher Grund: Die Beschäftigten hatten in der elfjährigen Geschichte des Hostels einen Betriebsrat installiert und erfolgreich wiedergewählt sowie das Management dazu gebracht, den Branchentarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes anzuwenden. Erfolge, die die verbreitete These der Unorganisierbarkeit von meist jungen Hostel-Belegschaften, die die Arbeit nur als eine Episode sehen, widerlegten. Gekämpft wurde beiderseits mit harten Bandagen und es war klar, dass die Arbeiter*innen nicht aufgehört hätten, den Hostelbetrieb nach ihren Interessen zu gestalten. Immer öfter fanden sich Geschäftsführung und gewerkschaftlich Aktive vor Gericht wieder. Auf Dauer war dies dem Unternehmen offenbar sowohl finanziell wie auch nervlich zu herausfordernd. Und es war wohl auch nicht notwendig, da »Wombat’s« im europäischen Ausland eine Handvoll weiterer gut laufender Standorte betrieb.
Den Beschäftigten erschien die Schließung damals als von langer Hand geplant. Gegenüber »nd« berichten die Gewerkschaftsaktivist*innen Ruth Kreuzer und Raphael Kamps, dass ab Anfang 2019 nur noch befristete Arbeitsverträge ausgestellt worden waren. Ende März des Jahres informierte das Management die Belegschaft erstmals über die anstehende Schließung zum Ende August 2019. Es folgten wiederholt rechtliche Auseinandersetzungen und öffentliche Kundgebungen gegen die Schließung. Der Betriebsrat konnte für die Belegschaft immerhin einige Abfindungen rausschlagen.
Hinter den Kulissen wechselten einen knappen Monat vor der Schließung Anfang August die Geschäftsführung und der Sitz der Wombat’s Berlin GmbH. Der neue Sitz an einem Gewerbestandort in Charlottenburg ist zugleich der des größten europäischen Unternehmens für Büroimmobilien und mit Liegenschaften im Wert von 25 Milliarden Euro dem drittgrößten Immobilienunternehmen Europas überhaupt. Die in Luxemburg registrierte Aktiengesellschaft Aroundtown SA ist zudem seit November 2019 über zwei zypriotische Anschriften kleinster und größter Gesellschafter der Wombat’s Berlin GmbH. Mit dieser Übernahme gelangte auch die Immobilie in Mitte zu Aroundtown. Der Gründer und Inhaber der Wombat’s Holding, Sascha Dimitriewicz, bestätigt auf Nachfrage von »nd« den 2019 erfolgten Verkauf der Liegenschaft.
Aroundtown wiederum, Hauptsponsor des aufstrebenden Berliner Fußball-Bundesligisten 1. FC Union, hat in der Vergangenheit unter anderem durch seine undurchsichtige Firmenstruktur mit 400 Tochtergesellschaften allein in Berlin, Verflechtungen nach Zypern und dem steuervermeidenden Geschäftsmodell der sogenannten Share Deals einiges an Kritik auf sich gezogen.
Am ehemaligen »Wombat’s« Standort findet sich heute ein Briefkasten mit der Aufschrift »Selina«. Im Café »Tinman«, seit 2017 einziger weiterer Mieter in der Alten Schönhauser Straße 2, heißt es, dass über »Selina« seit der Schließung geredet werde, sich seitdem aber nichts merklich getan habe. In der Hotelbranche kursierten seit 2019 Informationen, denen zufolge der globale Hotelkonzern Selina Holding für das gleiche Jahr zwei Hotels in Berlin eröffnen würde - darunter eines an der Torstraße.
»Selina« ist einer der neuen Sterne der Branche. Seit der Eröffnung des ersten Hotels in Panama 2014 wurden weltweit 90 Filialen eingeweiht, wofür 350 Millionen Dollar an Investorengeldern akquiriert worden sind. Noch in dieser Jahreshälfte will das Unternehmen über den Kauf durch ein Mantelunternehmen, das die Form einer Aktiengesellschaft hat, an der New Yorker Börse gelistet sein. »Selina« wirbt mit einem erwarteten positiven Geschäftsergebnis vor Steuern, Zinsen und sonstigen Abschreibungen ab 2023 und einem prognostizierten Umsatz von 1,2 Milliarden Dollar für 2025. Zum Vergleich: die »Wombat’s«-Hostel-Kette erwartet für 2022 einen Umsatz von 16,5 Millionen Euro.
Das Geschäftskonzept ist relativ simpel. Da sich die klassische Hotellerie und Backpackerbranche nicht ausreichend auf die geänderten Bedürfnisse der heutigen Kundschaft eingerichtet hat, sollen Immobilienunternehmen unrentabel gewordene Standorte aufkaufen. Sie sollen auch 90 Prozent der Modernisierungskosten tragen. »Selina« will so möglichst schnell in die vermutete Marktlücke vorstoßen, in der sich auch bereits etablierte Konzerne tummeln wie die vor allem durch die »Ibis«-Kette bekannte französische Accor-Gruppe. Es geht um die im schönsten Marketingsprech als »Millenials, Generation Z & Remote Workers« bezeichneten Gruppen der derzeit bis 40-Jährigen sowie derjenigen, die für die Arbeit nur einen Laptop und einen Internetzugang brauchen, und nicht in einem Büro tätig sind. Weltweit wird ein jährliches Umsatzpotenzial von 350 Milliarden Euro prognostiziert. Statt Arbeits- und Übernachtungsplätzen soll ihnen ein kuratiertes Erlebnis inklusive Wellness, gastronomischen Highlights, Lokalkolorit, Partys und einem Gemeinschaftsgefühl verkauft werden. Eine Geschäftsbeziehung unter dem Mäntelchen von Freude und Freundschaft also.
Spätestens im Herbst soll die ehemalige »Wombat’s«-Filiale in Mitte Teil dieses weltweiten Netzwerks für die einst als »digitale Nomaden« bezeichnete Zielgruppe sein, erklärt »Selina«-Mitbegründer Saurabh Chawla auf »nd«-Anfrage. Das »Selina Hotel Mitte and CoLive« soll demnach das Flagschiff in der Hauptstadt inklusive eigenem Radiosender, Ausstellungen, Co-Working Space, veganer Küche und lateinamerikanischen Cocktails auf der Dachterrasse werden. Und noch ein interessantes Detail verrät Chawla: Den Verkauf der Wombat’s Berlin GmbH an Aroundtown habe »Selina« entsprechend diesem Geschäftsmodell eingefädelt. Die dann über drei Jahre verzögerten Wiedereröffnungspläne begründet Chawla mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Die ehemaligen »Wombat’s«-Aktivist*innen Ruth Kreuzer und Raphael Kamps halten das nur für einen Teil der Wahrheit. »Das Haus war völlig marode. Am Ende stand der Keller unter Wasser, was die Bausubstanz angegriffen hatte«, berichten sie. Ständig seien Rohre geplatzt. »Das Haus hat man 2008 richtig billig hochgezogen, wohl mit viel Pfusch am Bau«, vermuten sie. Eine Eröffnung bereits im Herbst scheint angesichts der baulichen Probleme daher überambitioniert. Ein Ausstieg von »Selina« aus dem Projekt scheint allerdings auch unwahrscheinlich.
Es hätte auch ganz anders kommen können, meinen sie. »Die Belegschaft hatte eine Vision und einen Plan, was man mit dem Raum hätte machen können«, sagen die Aktivist*innen. In dem damaligen Kampf hatten sie an die Politik, an Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes und weitere Akteure appelliert, sich für die Übernahme des Betriebs durch die Belegschaft stark zu machen und damit die gewerkschaftlich erkämpften Standards gegenüber Unternehmertum und Kapital abzusichern. Aber am Ende sei ihnen eigentlich auch klar gewesen, dass diese Forderung nach Enteignung von privatwirtschaftlichen Unternehmen zugunsten einer kleinen engagierten Belegschaft als utopisch verhallen musste.
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