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Ambulante Medizin als Ware
Niemand weiß genau, wie viele Arztpraxen und Versorgungszentren Investoren gehören
Bundesweit nahmen in den letzten Jahren immer mehr Praxisketten verschiedenster medizinischer Fachrichtungen ihre Arbeit auf. Menschen, die eine schnelle Röntgendiagnostik brauchen oder zügig zum Zahn-, Haut- oder oder Hals-Nasen-Ohren-Arzt wollen, sind damit oft zufrieden.
Die Eigentumsverhältnisse dieser Einrichtungen sind allerdings intransparent, wie durch eine Recherche des ARD-Politik-Magazins »Panorama« kürzlich erneut gezeigt wurde. Internationale Investmentfirmen haben Arztpraxen als Renditeobjekte entdeckt und bereits Hunderte gekauft. Genauer kann man das nicht beziffern, denn eine Liste investorengeführter Praxen oder ein Register dazu existiert nicht.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
2019 hatte Die Linke im Bundestag versucht, ein solches Verzeichnis einzuführen. Das wurde mit den Stimmen von Union, SPD, FDP und AfD abgelehnt, die Grünen enthielten sich. Immerhin veröffentlichen einige Arztketten, die Investoren gehören, selbst eine Übersicht der zugehörigen Praxen. Die »Panorama«-Redaktion benötigte indes eine wochenlange Recherche, um beispielhaft 500 Augenarztpraxen zu identifizieren, die als investorengeführt gelten müssen. Die Autoren merken zudem an, dass wöchentlich neue Praxen aus verschiedenen Fachbereichen hinzukommen. Seit Anfang 2019 seien es allein in der Augenheilkunde 300 gewesen. In einigen Regionen hätten sie bereits eine monopolartige Stellung erreicht.
Da Gemeinschaftspraxen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in unterschiedlichen Eigentumsvarianten schon länger möglich sind, wurde vermutlich nicht genauer hingesehen. Jetzt verlangen einige Ärzteverbände jedoch, dass die »zunehmende Kommerzialisierung« in der ambulanten Versorgung gestoppt werden müsse. Sie wollen nicht, dass Investoren weiter Praxen und MVZ übernehmen dürfen. Unter anderem fordert der Virchowbund, der niedergelassene Ärztinnen und Ärzte vertritt, ein Transparenzregister für MVZ. Neugründungen sollten nur noch in Form gemeinnütziger GmbH möglich sein, was Gewinne als Hauptziel eines solchen Unternehmens ausschließen würde. Dazu müssten allerdings Gesetze geändert werden, ebenso im Fall des vorgeschlagenen Spekulationsverbotes in diesem Bereich.
Als Barriere gegen die Kommerzialisierung fordert die Berliner Ärztekammer zudem, weitere Übernahmen durch Kapitalgesellschaften oder Fremdinvestoren aus der Industrie zu verhindern. Entscheidungen von Ärzten dürften nicht von Kapitalinteressen beeinflusst werden, heißt es. Bei deutschen Krankenhäusern in privater Trägerschaft sei dies jedoch bereits Praxis.
Von Zahnarztketten ist bekannt geworden, dass etwa die Anweisung, bei jedem neuen Patienten immer zuerst eine Röntgenaufnahme des Gebisses zu machen, eine standardisierte Vorgehensweise ist. Ein Interessenverband von investorengeführten Zahnarztpraxen wies zwar vehement zurück, dass so etwas systematisch getan werde. Aber auch die »Panorama«-Recherche fand etliche Hinweise und Zeugenberichte dafür, dass betriebswirtschaftlicher Druck auf Diagnose- und Therapieentscheidungen ausgeübt wird.
Zu den Forderungen der Ärzteorganisationen führte eine aktuelle Studie des unabhängigen IGES-Institutes zum Abrechnungsverhalten in MVZ. Bei dieser von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Auftrag gegebenen Untersuchung waren Abrechnungen mit privaten Krankenkassen und Selbstzahlerleistungen ausgeklammert worden. Aber der große Rest, der nach dem sogenannten Einheitlichen Bewertungsmaßstab von niedergelassenen Ärzten und Therapeuten mit den gesetzlichen Kassen abgerechnet werden kann, zeigte deutliche Unterschiede je nach Eigentumsverhältnissen. Die Untersuchung brachte zutage, dass im Vergleich zu Einzelpraxen von den MVZ im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften durchschnittlich 10,4 Prozent höhere Honorarvolumen abgerechnet wurden - bei sonst gleicher Patientenstruktur, gleichen Vorerkrankungen und gleichen Behandlungsanlässen. »Private Equity« ist eine Bezeichnung für privates Beteiligungskapital. Kapitalgeber können einzelne oder institutionelle Anleger sein.
Etwa halb so groß ist der Unterschied zwischen MVZ mit anderen Eigentümern und den Einzelpraxen - hier werden immer noch 5,7 Prozent höhere Honorarvolumen abgerechnet. Vor allem bei MVZ der Fachrichtungen Augenheilkunde, Gynäkologie und Fachinternisten seien die Steigerungen des Honorarvolumens zu beobachten, so das IGES-Gutachten.
Die Fachrichtungen Augenheilkunde und Gynäkologie stechen mit 16 Prozent höheren Honorarvolumina gegenüber den Einzelpraxen besonders hervor. Generell spielten MVZ eine immer größere Rolle: In Bayern wurde im vierten Quartal 2019 fast jeder zehnte Behandlungsfall von einem MVZ erbracht, und Ende 2019 befand sich schon jedes zehnte MVZ im Besitz von Finanzinvestoren. Ausgewertet wurden rund 178 Millionen Behandlungsfälle von knapp 12 Millionen Patienten in den Jahren 2018 und 2019.
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) waren 2016 noch 14 560 Ärzte in einem der bundesweit 2490 Medizinischen Versorgungszentren angestellt. Im vergangenen Jahr waren es bereits etwa 18 400 Ärzte, Tendenz weiter steigend. Pro MVZ sind durchschnittlich vier bis fünf Ärzte beschäftigt, bei denen es sich in der Hauptsache um Hausärzte, Internisten und Chirurgen handelt.
Dass niedergelassene Mediziner aus Altersgründen ihre Praxen abgeben wollen, ist naheliegend. Bei vielen ist der Ertrag daraus in die Finanzierung des Ruhestandes lange eingepreist. Es wird jedoch immer schwieriger, passende Einzelnachfolger zu finden, weil sich das Berufsbild geändert hat. Der rund um die Uhr erreichbare Hausarzt ist ein Ideal aus der Vergangenheit. Junge Medizinerinnen und Mediziner wollen zum Beispiel auch Zeit für ihre Familien haben.
In dieser Gemengelage kommen Investoren zum Zuge: Sie sichern den abgebenden Ärzten höhere Erlöse, wie Webportalen von Vermittlungsagenturen zu entnehmen ist. Angestellte Mediziner werden mit regelmäßigen Diensten genauso gelockt wie mit besserer technischer Ausstattung und bürokratischer Entlastung, sprich mit mehr Zeit für die Arbeit direkt mit den Patienten. Zudem fällt die finanzielle Verantwortung für eine eigene Praxis weg. Für Patienten deuten sich jedoch Probleme an: Behandlungsschritte, die nicht medizinisch zu begründen sind, verbessern die Gesundheit nicht und belasten zudem die gesetzlichen Kassen unnötig.
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