Der Mensch als Vase

Die Künstler Oskar Schlemmer, Tobias Rehberger und Carrie Mae Weems - eine Stuttgarter Ausstellungstriade

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Am 30. September 1922 hatte das »Triadische Ballett« von Oskar Schlemmer (1888 - 1943) am Württembergischen Landestheater in Stuttgart Premiere. Schlemmer erweiterte die Bühne vom Podest zum Raum, dessen Dimensionen er allumfassend untersuchte. Die Dreiheit von Form, Farbe und Bewegung führte zum Namen des Balletts. Seine raumplastischen Ganzkörperkostüme hatten kaum Vorbilder, in Russland arbeitete jedoch Kasimir Malewitsch an abstrakten Kostümen. Schlemmer war davon überzeugt, dass die pure, abstrakte Form zu einer Reinigung des Geistes von einer als schlecht empfundenen Realität verhelfe. »Abstrakt«, so Schlemmer 1931, »bedeutet kurzwegs Stil, und Stil bedeutet bekanntlich letzte Form, die möglichste Vollendung«. Eine aus geometrischen Grundformen entwickelte »Kunstfigur« sollte den zum »Ideal« geformten Menschen im Raum »einer neuen Welt« vertreten.

Von ursprünglich 18 Kunstfiguren des »Triadischen Balletts« kehrten 1960 neun aus New York nach Deutschland zurück. Sieben davon gehören zum Bestand der Staatsgalerie Stuttgart. Dort ist derzeit die Ausstellung »Moved by Schlemmer - 100 Jahre Triadisches Ballett« zu sehen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Original-Figuren, die sich vor den farblich an Schlemmer angelehnten Hintergründen - fröhliches Gelb, festliches Rosa und mystisches Schwarz - auf Podesten drehen. Zudem wurden drei Künstlerinnen eingeladen, mit raumgreifenden Installationen auf die Relevanz von Schlemmers Werk für die Gegenwartskunst zu verweisen.

Ulla von Brandenburg hat als Heranwachsende mit ihren Eltern häufig die Staatsgalerie besucht und sich an Schlemmers Kunstfiguren erfreut. Nun hat sie die Wände von zwei Räumen mit gelben Stoffbahnen verhängt, auf denen sich Schatten menschlicher Figuren abzeichnen. Für ihr Tableau vivant verwendet sie die Grundformen Pyramide, Kreis und Kubus und projiziert einen vom musikalischen Clown Schlemmers inspirierten Film auf das Gelb, während drei bunte Kostüme von der Decke baumeln.

Kalin Lindenas rosa, hell- und dunkelblaue Linien empfangen die Besucher*innen schon vor dem Eingang ins Museum und sollen zu einem Gehtanz verführen. Ein solcher ist dann als Film zwischen den Stoffbahnen in Lindenas Raum zu sehen, in dem Drahtskulpturen zudem als Spur von Tänzen aufgefasst werden können. Sechs Hybride aus menschlichen und technischen Wesen auf Rollen hat Haegue Yang in ihrem Raum platziert. Die aus kleinen Glöckchen zusammengesetzten Skulpturen lassen sich mittels Griffen bewegen. Dazu erklingt das Stück »Images« von Isang Yun. Schweigen die Glöckchen, ist ein leises Vogelgezwitscher zu hören, das 2018 während eines innerkoreanischen Gipfeltreffens in der demilitarisierten Zone zwischen Süd- und Nordkorea aufgenommen wurde.

Das Kunstmuseum Stuttgart zeigt unter dem Titel »I do if I don’t« zentrale Werkgruppen von Tobias Rehberger. Für den Professor an der Frankfurter Städelschule, geboren 1966 im schwäbischen Esslingen, ist diese Ausstellung also quasi ein Heimspiel.

Im ersten Ausstellungsraum sind als künstlerischer Höhepunkt des insgesamt unterkomplexen bunten Spektakels einer späten Postmoderne 40 Vasen-Porträts zu sehen, mit denen die gängige Vorstellung von Repräsentation unterlaufen wird. Rehberger porträtiert seit 1995 Freunde und Kollegen, indem er sie als Vasen darstellt. Dafür bat er die Porträtierten um die Nennung ihrer Lieblingsblumen und -gewächse, ohne ihnen mitzuteilen, welche töpferische Gestalt er ihnen verleihen würde.

Den nächsten Raum füllt eine Lichtinstallation mit rund 200 von der Decke hängenden Lampen. Einzelne Gruppen dieses Lampenladens können an- und ausgeknipst werden. Was hier vom Museum als »Teilhabe« des Publikums gepriesen wird, bewegt sich auf Plemm-Plemm-Niveau.

Im obersten Geschoss stellt der Künstler unter Beweis, dass er auch 3D kann. Seine so entstandenen Sitzmöbel zeigen einen grauen Karl Marx, einen lilafarbenen Doppel-Mao sowie ein Zwittermöbel aus Lenin und Trump. »Kunst mit Hintergedanken« meldeten etliche Qualitätsmedien schon vor Rehbergers Ausstellungseröffnung. Worin diese Hintergedanken wohl bei der Herstellung von Donald-Lenin bestanden haben mögen? Auf den 3D-Sitzmöbeln dürfen Besucher*innen Platz nehmen, um bei Getränken und Mahlzeiten den Farben- und Formenpopanz zu bestaunen. Dafür hat Rehberger eigens eine aus Becher, Schüssel und Teller bestehende 3D-Keramik-Edition getöpfert, die allerdings wenig einladend ausschaut.

Den Höhepunkt der Ausstellungstriade bildet die konzeptuelle Foto- und Videoausstellung »The Evidence of Things Not Seen« der Schwarzen US-Künstlerin Carrie Mae Weems im Württembergischen Kunstverein. Von diesem Ort aus lässt sich seit einiger Zeit beobachten, wie die Polizei im angrenzenden Schlosspark das Racial Pofiling erprobt. Der Titel der erstklassig präsentierten Ausstellung geht auf James Baldwin zurück und bezieht sich auf den Tod von 30 Schwarzen Kindern und Jugendlichen, die zwischen 1979 und 1981 ermordet in Straßengräben und an verwaisten Orten aufgefunden worden waren. Baldwins Text trägt in deutscher Sprache den Titel »Das Gesicht der Maske bleibt weiß«. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der langen Geschichte der Gewalt gegen People of Color, Frauen, Erniedrigte und Beleidigte. Ausgangspunkt ist der Sklavenhandel, wobei die Künstlerin sagt, dass der Schwarze Körper nicht nur für sich stehe.

In mehreren Foto- und Videoarbeiten beschäftigt sich Weems mit der jüngeren strukturellen Polizeigewalt gegen Schwarze, die in den USA 2013 zur Gründung der Bewegung Black Lives Matter führte. Doch bei der bloßen Dokumentation von Gewalt bleibt die Künstlerin nicht stehen. Ein Foto aus der 15-teiligen Serie »And 22 Million Very Tired and Very Angry People«, in der Weems den politischen Kampf in ästhetischer Weise mit dem Alltäglichen verschränkt, zeigt ein Nudelholz. Das Foto trägt den Titel »By Any Means Necessary«. In der Installation »Land of Broken Dreams: A Case Study« werden ikonische Bilder und Objekte aus dem Umfeld der Black-Panther-Bewegung der 60er Jahre in den USA gezeigt. In das Setting integriert sind Bände der Weems’schen Enzyklopädie der Gewalt mit Titeln wie »The Prison Industrial Complex«, »The Battle for Representation«, »The Plague of Corruption« oder »The Corporate State«.

Auf den Fotos der Museums-Serie steht die Künstlerin in Schwarz gekleidet und den Betrachter*innen den Rücken zukehrend vor ikonischen Museumsbauten wie etwa dem Pariser Louvre, dem Dresdner Zwinger oder dem Guggenheim-Museum in Bilbao. Die Schwellen dieser Repräsentationsbauten überschreitet die im Verhältnis zu den Architekturen klein erscheinende Künstlerin nicht, der Zugang ist ihr gleich doppelt verwehrt - wegen ihres Geschlechts und wegen ihrer Hautfarbe. 2014 jedoch war Carrie Mae Weems die erste Schwarze Frau, der im New Yorker Guggenheim-Museum eine Retrospektive ausgerichtet wurde. Das in Objekt-, Licht- und Farbkomposition äußerst beeindruckende Porträt der Hip-Hop-Sängerin Mary J. Bilge gab es da noch nicht. Es entstand erst 2018/19 und bekam von der Foto-Queen Weems den Titel »Queen B«.

»Moved by Schlemmer«, Staatsgalerie Stuttgart, bis zum 9.10.2022; »I do if I don’t«, Kunstmuseum Stuttgart, bis 28. August 2022; »The Evidence of Things Not Seen«, Württembergischer Kunstverein Stuttgart, bis zum 10. Juli 2022.

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