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Nicht bitten, sondern fordern

Laut Krankenhausgesellschaft fehlen im Haushaltsentwurf 200 Millionen Euro für die Kliniken

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Nicht nur Juliane Blume hat ein Déjà-vu. Vielen, die schon vor zweieinhalb Jahren vor dem Roten Rathaus von der Berliner Regierung eine »Klinikoffensive« für die Krankenhäuser des Landes gefordert hatten, dürfte es derzeit ähnlich gehen wie der Präsidentin des Pflegerates Berlin-Brandenburg. Sie demonstriert am Montagvormittag vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, zusammen mit etwa 400 Klinikbeschäftigten sowie Vertreter*innen der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG). Grund ist der aktuelle Haushaltsentwurf der rot-grün-roten Koalition, der für die Finanzierung der Kliniken des Landes und dringend notwendige Investitionen 150 Millionen Euro vorsieht. Die BKG hatte allerdings bereits im Jahr 2019 einen Bedarf von 350 Millionen Euro für eine auskömmliche Finanzierung errechnet, 200 Millionen Euro mehr.

Die nun eingestellte Summe stellt einen Affront dar für die Allianz aus BKG, Beschäftigten, aber auch Krankenkassen und Patientenorganisationen, die sich daher erneut unter dem Motto »Klinikoffensive« zusammengefunden haben. Daran lässt die Kundgebung an diesem Morgen keinen Zweifel. Ohrenbetäubend ist der Protestlärm, der zu den Fenstern des Landesparlaments hinaufschallt, die mitgebrachten Trillerpfeifen schrillen in den Pausen zwischen den Redebeiträgen. Schilder werden geschwenkt, und immer wieder wird das Motto gerufen, das schon 2019 synonym für das gemeinsame Anliegen war: »Klinikoffensive jetzt«. Soll heißen: Es braucht endlich ausreichend finanzielle Mittel nicht nur für den laufenden Betrieb, sondern auch für dringend benötigte Investitionen unter anderem bei Gebäudesanierung, Digitalisierung und der Ausstattung mit moderner Medizintechnik.

Krankenhäuser in Berlin

In Berlin gibt es 96 Krankenhäuser, darunter 51 Plankrankenhäuser. Der Rest verteilt sich auf Universitätskliniken, Sonderkrankenhäuser sowie auf Krankenhäuser, die nicht in den Krankenhausplan des Landes Berlin aufgenommen sind.

Alle Häuser zusammen verfügen über eine Kapazität von insgesamt 22 526 Betten.

Die öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser in Berlin versorgen jährlich rund 880 000 Patient*innen vollstationär, dazu rund 1,2 Millionen ambulante Fälle.

Sie sind wesentlicher Wirtschaftsfaktor und bedeutender Arbeitgeber: Über 55 000 Mitarbeitende sind direkt in Krankenhäusern beschäftigt, davon über 10 000 Ärzt*innen, über 18 000 Beschäftigte im Pflegedienst sowie rund 24 000 in weiteren Tätigkeitsbereichen. Zudem werden über 3000 Fachkräfte ausgebildet.

Viele weitere Arbeitsplätze in zuliefernden Betrieben und bei Dienstleistern sind zusätzlich an den Krankenhaussektor gebunden.

Die Kliniken im Land Berlin erbringen einen Jahresumsatz von rund 5 Milliarden Euro. clk

Die Investitionslücke wächst. Deren bisherige Gesamtsumme der vergangenen 20 Jahre beläuft sich laut BKG auf etwa zwei Milliarden Euro - Ergebnis der Sparpolitik etlicher Vorgängerregierungen der jetzigen rot-grün-roten Koalition. Noch im Wahlkampf hatten hochrangige Vertreter*innen ihrer Fraktionen die zukünftige Krankenhausfinanzierung als absolut prioritär bezeichnet; als »Flaggschiff« wollte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) diese sehen, erinnert BKG-Geschäftsführer Marc Schreiner in seinem Beitrag vor dem Abgeordnetenhaus. Nun drohe nur ein leichtes Ruderboot in Einsatz genommen zu werden.

Dass alles nur Wahlkampfgetöse gewesen sein könnte, nehmen die Demonstrierenden sichtlich übel. Viele der Teilnehmer*innen tragen grüne Arbeitskleidung der Johannesstift-Diakonie, des größten konfessionellen Gesundheits- und Sozialunternehmens in der Region Berlin und Nordostdeutschland. Die Diakonie betreibt unter anderem eine Schule für Physiotherapie in der nicht weit vom Abgeordnetenhaus entfernt gelegenen Axel-Springer-Straße. Es sei nicht schwer gewesen, viele der aktuellen Auszubildenden zu bewegen, an der Kundgebung teilzunehmen, sagt eine langjährige Lehrkraft zu »nd«. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. »In der Berufskunde vermitteln wir, dass es wichtig ist, einen Blick für gesundheitspolitische Belange zu entwickeln«, erklärt sie. »Wir würden es überall merken, wenn es keine ausreichende Finanzierung gibt, deshalb gehen wir lieber frühzeitig auf die Straße.«

Der Bedarf beträgt laut Marc Schreiner 350 Millionen Euro. »Der Haushalt muss massiv nach oben justiert werden.« Es gebe zudem einen verbrieften Rechtsanspruch auf auskömmliche Finanzierung, erklärt er - auch in Richtung einiger Abgeordneter, die sich als Mitglieder des Gesundheitsausschusses, der zeitgleich tagt, bei der Kundgebung zeigen. CDU-Fraktionschef Kai Wegner nutzt die Gelegenheit, sich auf der Bühne als Verbündeter der Kundgebungsteilnehmer*innen ins Licht zu setzen.

In der aktuellen Stunde des Ausschusses hatte Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) auf Nachfrage kurz zuvor betont, man habe seit 2016 und vor allem mit dem Doppelhaushalt 2018/2019 kontinuierlich die Finanzierungssummen erhöht und so langsam begonnen, die Lücken zu schließen, die aus den Verfehlungen früherer Regierungen entstanden seien. Die deutlichste Erhöhung habe es mit 136 Millionen erst im letzten Jahr gegeben. Sie verwahrt sich dagegen, dass landeseigene Kliniken bei der Vergabe bevorzugt würden - »die Trägervielfalt ist ein hohes Gut«, so Gote. »Wir investieren viel, es ist nicht so, dass die Krankenhäuser nicht handlungsfähig sind«, erklärt die Gesundheitssenatorin. »Es ist das, was wir rausholen konnten.« Gote sagt, sie wolle »einen gemeinsamen Plan« für die nächsten Jahre. Die Mittel müssten weiter erhöht werden, der Nachholbedarf sei enorm, so die Senatorin. »Es ist ein Entwurf, und Sie stimmen ihn ab«, wendet auch sie sich an die Ausschussmitglieder.

Auch wenn die Senatorin vorsichtig formuliert: Die Diskrepanz scheint riesig. »Die 350 Millionen Euro sind konservativ geschätzt, die Inflation und die steigenden Baukosten werden mehr auffressen«, so BKG-Geschäftsführer Schreiner auf der Kundgebung.

»Wir bitten nicht, wir fordern etwas, das uns zusteht«, erklärt Peter Bobbert vom Marburger Bund. Angesichts der Pandemie habe sich bewahrheitet, wovor man schon lange gewarnt habe: »Wenn es hart auf hart kommt, fehlen nicht Gebäude und Betten, sondern die Menschen«, beschreibt Bobbert das Problem des Personalmangels.

Dieses ist auch darauf zurückzuführen, dass die Kliniken Betriebsmittel, die eigentlich für den Personalbereich gedacht sind, umwidmen müssen, um mangelnde Investitionen im Gebäude- und Technikbereich auszugleichen.

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