- Kultur
- Gentrifizierung
Es geht ums Ganze
»Wir holen uns die Stadt zurück«: Florian Schmidt polemisiert gegen Mietenwahnsinn und Bodenspekulation
Es ist ein Thema, das vielen, gerade in Berlin, unter den Nägeln brennt. Wie eine bezahlbare Bleibe finden, wenn man zum Studieren in die Stadt gekommen ist, oder eine größere Wohnung sucht, weil sich Nachwuchs angemeldet hat? So man überhaupt etwas findet, greift man sich an den Kopf angesichts der Mieten, die da verlangt werden. Gewissenlos! Wucher! Es muss doch staatliche Instrumente geben, das zu bremsen!
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Florian Schmidt ist seit 2006 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und vertritt seit 2016 als Bezirksstadtrat für Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin sozusagen den Staat. Und doch stellt er sich schon mit dem Titel seines Buches »Wir holen uns die Stadt zurück« an die Seite derjenigen, die aufbegehren. Das macht diesen Band so besonders: berechtigte Forderungen im Herzen zu tragen und genauer als andere um die Grenzen zu wissen, an die sie stoßen.
Man erinnere sich: Unter der Regierung von SPD, Linken und Grünen wurde in Berlin ein »Mietendeckel« beschlossen und vom Bundesverfassungsgericht gekippt: Dem Land fehle die Gesetzgebungskompetenz. Auch der Jubel über den gewonnenen Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« bekommt einen Dämpfer. Das Land müsste immense Entschädigungssummen aufbringen, die für Neubau dann nicht mehr zur Verfügung stünden. Im Wort »Enteignen« steckte ein Spiel mit sozialistischen Ideen, denen das Grundgesetz einen Riegel vorschiebt. Denn kaum etwas steht höher als der Schutz des Eigentums. Ein Recht auf Wohnen, erinnert Florian Schmidt, gibt es nicht. Im Übrigen fehlt auch ein Recht auf Arbeit, trotz hehrer Worte über Menschenwürde.
In einem System, das der Profitmaximierung dient, muss aus Profit immer neuer Profit wachsen. Dass Gewinne vornehmlich der Wirtschaftsentwicklung dienen, das war einmal. Zurecht verweist Schmidt auf die globale und entgrenzende Liberalisierung der Ökonomie seit den 1970er Jahren und die sich vertiefende »Krise der neoliberalen Weltordnung«. 18 Prozent der jährlichen Bruttowertschöpfung der Bundesrepublik werden der Immobilienwirtschaft zugeschlagen, heißt es im Buch.
Inzwischen ist von einem historischen Umsatzrekord bei Immobilien die Rede. In Berlin sind 2021 Immobilien im Wert von fast 24 Milliarden Euro verkauft worden. Das war gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 31 Prozent. »Mein Eindruck ist«, schreibt Florian Schmidt, »dass kaum ein Wirtschaftszweig, außer natürlich die organisierte Kriminalität selbst, derart viel Raum für abenteuerliche Betätigungen und dubiose Gewinn- und Organisationsmodelle bietet.«
Diese »Verwertungsmaschine aufzuhalten ist kaum möglich, außer die entsprechenden Gesetze werden geändert«. Wie die Spekulation mit Wohnimmobilien vonstattengeht, welche Tricks dabei angewandt werden, warum zum Beispiel neu gebaute Eigentumswohnungen leer stehen, wie aus billigen Krediten Immobilienblasen wachsen und wie eine Rezession in der Immobilienbranche auf die ganze Volkswirtschaft ausstrahlt - die Verdeutlichung solcher Zusammenhänge macht die Lektüre so interessant. Wobei die seit mehreren Jahren anhaltende Niedrigzinspolitik immer mehr Menschen zum Spekulieren treibt, die das vorher nicht getan hätten. Das Konzept »Immobilien als Altersvorsorge« gehört ebenso dazu wie der kreditfinanzierte Kauf überteuerter Eigentumswohnungen nicht nur zum Eigenbedarf. Dass auch diese vergleichsweise kleinen Vermieter kein Interesse an staatlichen Regulierungen haben, dürfte klar sein.
Auf die Frage, warum er Soziologie studieren würde, schreibt Florian Schmidt, habe er 1997 im Begrüßungsseminar der Universität Hamburg geantwortet: »Um die Welt ein wenig besser zu machen.« Was kann er tun im Sinne seiner Ideale, wenn die Umverteilung von unten nach oben System hat? Welche Breitenwirkung kann ein »Übergang zu gemeinwohlorientierten kollektiven Eigentumsmodellen« haben? Detailliert sind derlei Projekte beschrieben, mit denen zugleich etwas Modellhaftes für die Gesellschaft entsteht. Aber wie kommen Menschen, die sie verwirklichen wollen, an Grundstücke? Auch dafür gibt es gute Beispiele, wie zu lesen ist.
»Politik ist nicht machtlos« - das klingt wie eine Beschwörung. Und wenngleich sich der Autor vorsichtig ausdrückt und »Communalisierung« nicht mit K schreibt, es ist ein anderes Paradigma. »Einbettender Liberalismus« - immer wieder greift Florian Schmidt auf Andreas Reckwitz‘ unbedingt empfehlenswerten Band »Das Ende der Illusionen« zurück. Im Zuge der Umverteilung von unten nach oben ist von einer solchen Reformierung des Kapitalismus indes wenig zu sehen.
Also doch: »Rebellion ist Pflicht«. Da sieht sich der Autor an der Seite zivilgesellschaftlicher Gruppen, »die Druck machen«. Wie müsste eine Stadt aussehen, in der man sich wohlfühlt? Was bedeutet öffentlicher Raum gerade in Zeiten erhöhter Umweltbelastung? Renaissance der Innenhöfe, betreutes Wohnen, Minihäuser, Movable Houses, Dachausbau, Leben mit Geflüchteten – wie Florian Schmidt seine Visionen mit praktischen Ratschlägen unterfüttert, sogar mit entsprechenden Internetadressen, macht sein aufs Grundsätzliche gerichtetes Buch für viele praktikabel. »Gemeinwohlorientierte Politik« und eine entsprechende Lebensweise – was für eine Herausforderung.
Florian Schmidt: Wir holen uns die Stadt zurück. Wie wir uns gegen Mietenwahnsinn und Bodenspekulation wehren können. Ullstein Verlag, 302 S., br., 17,99 €. »nd-Literatursalon« mit Florian Schmidt am 4. Mai, 18 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!