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  • Der "kicker" im Nationalsozialismus

Untertänige Lobhudeleien

Der Sport tat sich lange schwer, seine NS-Zeit aufzuarbeiten. Nun legt das Fußballmagazin »kicker« eine offenbarende Dokumentation vor

Immer nah dran am Fußball: der "kicker". In der NS-Zeit spielte im Blatt aber nicht nur der Sport eine große Rolle.
Immer nah dran am Fußball: der "kicker". In der NS-Zeit spielte im Blatt aber nicht nur der Sport eine große Rolle.

Das Fußballmagazin »kicker« beging im vorletzten Jahr sein 100-jähriges Bestehen. So war zumindest der Plan, der auch große Feierlichkeiten in und mit der Stadt Nürnberg vorgesehen hätte, in der seit 1926 das Redaktionsgebäude steht. Doch diesen Plan vereitelte Corona. Immerhin hat die Belegschaft intern 2021 noch ein wenig gefeiert, ehe nun, im zweiten Jahr nach dem eigentlichen Jubiläum, eine groß angelegte Studie präsentiert wurde, die die Zeit des »kicker« im Nationalsozialismus aufarbeitet.

»Es ist nicht unsere Aufgabe, Institutionen Blumenkränze zu flechten«, sagte der Hannoveraner Historiker Lorenz Peiffer bei der Vorstellung des von ihm und Henry Wahlig herausgegebenen 430 Seiten starken Buches am vergangenen Montag in Nürnberg. Der Sport generell habe »nach 1945 große Probleme gehabt, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Da herrschte kollektive Amnesie.« Dass die nun beendet sei, beweise auch der Auftrag des »kicker«, der im Vorfeld allen 20 Autoren sein komplettes digitales Archiv zugänglich gemacht hatte.

Die Forschungsergebnisse weisen eine tiefe Verstrickung des Fachblattes in die nationalsozialistische Ideologie nach. Die Mischung aus Opportunismus, Antisemitismus und völkischem Wahn ist in diesem Fall umso tragischer, als das Blatt von einem Mann gegründet wurde, der für das exakte Gegenteil dieser Untugenden stand. Walther Bensemann, der auch den Deutschen Meister von 1910, den Karlsruher FV, sowie die Vorläufervereine von Eintracht Frankfurt und dem FC Bayern München mitgegründet hat, war ein liberaler, weltoffener Geist, der sein Blatt zum »Aushängeschild einer weltoffenen liberalen Sportauffassung« modelliert hatte, wie Wahlig erklärte.

Als 1933 auch für den Juden Bensemann die Luft immer dünner wurde, floh er nach Montreux, wo er ein Jahr später starb. Sein Nachfolger Hanns-Jakob Müllenbach hatte seine Karriere bis dato vor allem der Fürsprache Bensemanns zu verdanken. Nun, von den neuen Machthabern mit dem Titel des »Hauptschriftleiters« versehen, waren im »kicker« plötzlich Jubeltexte über SA-Aufmärsche in Nürnberg zu lesen. Und zwar schon lange bevor das »Schriftleitergesetz« Anfang 1934 in Kraft trat und die Pressefreiheit vollends außer Kraft gesetzt wurde.

Ein reines NS-Verlautbarungsblatt wurde der »kicker« auch damals nicht, die nüchterne Sportberichterstattung blieb der Schwerpunkt. Doch immer dann, wenn es weltanschaulich wurde, dürfte der Tonfall auch dem ebenfalls in Nürnberg ansässigen Stürmer-Herausgeber Julius Streicher gut gefallen haben. So huldigte der »kicker« der NSDAP in einem Gastartikel als »große Freiheitsbewegung des deutschen Volkes« und feierte Hitlers Überfall auf Polen unter der Überschrift »Einig, furchtlos, treu« (Buchtitel). Und das selbstredend aus der Feder des »Hauptschriftleiters« höchstpersönlich. »Es gibt Tausende weitere Beispiele, wo Leute umkippen, sich auf Linie bringen«, so Peiffer am Montag.

Der Göttinger Publizist Bernd Beyer hat im Buch das Müllenbach-Kapitel beigesteuert - und mit seiner Bensemann-Biographie 2003 den Grundstein dafür gelegt, dass der »kicker« sich seit einigen Jahren offensiv auf das publizistische Vermächtnis seines Gründers beruft. Beyer war nach dem Quellenstudium aber überrascht, »in welcher Geschwindigkeit das Erbe Bensemanns von einem strammen NS-Kurs und untertänigen Lobhudeleien aus der Feder Müllenbachs abgelöst wurde«.

Dass das alles nun wissenschaftlich dokumentiert ist, markiert eine Zeitenwende, die bei der Nürnberger Veranstaltung als abgeschlossen bezeichnet wurde. Der Fußball, so Wahlig, habe jahrzehntelang den Mantel des Schweigens über seine Vergangenheit gelegt, weil er bis in die 90er an der Fiktion festgehalten habe, Sport und Politik seien getrennte Welten. Das ist allerdings eine Argumentationsfigur, die man auch in der zweiten Jahreshälfte 2022 noch hören wird, wenn Fußballer und Funktionäre die Teilnahme an der WM in Katar zu rechtfertigen versuchen.

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