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Nicht mal die Gedanken sind frei
Zum Tag der Pressefreiheit: Warum Hannes Hofbauer eine Rückkehr der Zensur befürchtet
»Freyheit der Presse ist Angelegenheit und Interesse des ganzen Menschengeschlechts«, wusste Christoph Martin Wieland, der neben Schiller, Goethe und Herder zum sogenannten Weimarer Viergestirn zählte. Damals verschärfte unter anderem der Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. die Zensur in seinem Herrschaftsbereich. Er begründete dies damit, dass die »Preßfreiheit in Preßfrechheit« ausgeartet sei. Ein Schelm, wem da obskure Äußerungen von heute in den Sinn kommen?
Den Wiener Publizisten und Verleger Hannes Hofbauer treibt die Wiederkehr der Zensur im postindustriellen, digital-kybernetischen Zeitalter um. Wie in früheren Epochen geht es auch heute um Machterhalt und Einfluss, um die Einhegung von Gedanken und Überzeugungen. »Darin unterscheiden sich Demokratie und Diktatur nicht«, sagt er gegenüber »nd«. Nur die Methoden divergieren. Anlass des Gesprächs ist sein neues Buch. Aktuelle Ereignisse im Propaganda- und Medienkrieg, der erbitterte Kampf um Deutungs- und Definitionshoheit, Fake News und Desinformationen ließen Hofbauer zur Feder greifen, exakter: in die Tastatur hauen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Bevor der österreichische Publizist und Verleger offen-aggressive wie subtilere Praktiken der Zensur unserer Tage unter die Lupe nimmt, offeriert er einen weit gespannten historischen Abriss, blickt bis in die Antike zurück. Auf Befehl des höchsten Athener Gerichtshofes, des Areopag, waren 411 v. u. Z. die Abhandlungen des Sophisten Protagoras den Flammen übergeben und der Gelehrte zum Tode verurteilt worden. Sein Vergehen: Er zweifelte an der Existenz der Götter.
Die erste explizite Anti-Zensur-Schrift verfasste laut Hofbauer John Milton. In seinem Traktat »Areopagitica«, nachdrücklicher Aufruf zur Presse- und Meinungsfreiheit, betonte der Schriftsteller und Staatsbedienstete unter Oliver Cromwell: »Wer einen Menschen tötet, tötet eine vernünftige Kreatur, ... aber derjenige, der ein gutes Buch zerstört, tötet die Vernunft selbst.« Ähnlich und noch eindringlicher mahnte Heinrich Heine: »Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.« Die lodernden Scheiterhaufen am 10. Mai 1933 in fast allen deutschen Universitätsstädten waren gleichsam Präludium der Verfolgung politisch Andersdenkender unterm Hakenkreuz und des Völkermords der Nazis an Europas Juden.
Vom deutsch-jüdischen Dichter Heine, von der preußischen Reaktion exiliert, findet sich in Hofbauers Buch eine treffliche Spitze gegen das Wüten der Zensur seiner Zeit per amtlich verordneter Textlücken (siehe »Memo des Tages«, rechte Spalte) - heute sind Schwärzungen üblich. Die moderne Zensur, so Hofbauer, begann mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert und wurde zuvörderst von klerikalen »Tugendwächtern« ausgeübt. Berühmtes Beispiel: das Verbot der Schriften von Martin Luther und dessen Exkommunizierung wegen »Irrlehren« 1521 durch Papst Leo X. Kaum bekannt ist das Schicksal von Johann Herrgott, an das Hofbauer erinnert, des aus Nürnberg stammenden Buchhändlers, der sich nicht nur ob des Nachdrucks von Luther-Schriften sowie der Reden des rebellischen Theologen und Bauernführers Thomas Müntzer bei geistlicher und weltlicher Obrigkeit suspekt gemacht hatte, sondern auch durch eine eigene sozialrevolutionäre Flugschrift. 1527 wurde Herrgott als Häretiker auf dem Marktplatz der Buchmessestadt (!) Leipzig enthauptet.
Ein halbes Jahrhundert später gründete sich in der anderen deutschen Buchmetropole, in Frankfurt am Main, eine Messepolizei, die - gemäß einer »Reichspolizeyordnung« von 1577 - Kataloge und Bücher auf subversiven Gehalt inspizierte und aussonderte. Man fühlt sich erinnert an die richterliche Beschlagnahmung des »Braunbuchs« der DDR 1967 auf der Frankfurter Messe. Während die unter der Ägide des Auschwitz überlebenden Rabbinersohns Albert Norden in der DDR entstandene Enthüllung und Anklage alter Nazis an exponierten Stellen in der Bundesrepublik verboten wurde, konnten (und können noch heute) rechtsextreme Autoren und Verleger ihre Machwerke auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Eine Zensur, die auf dem rechten Auge blind ist.
Auch und gerade für die Gedanken-, Meinungs- und Pressefreiheit stürmte das Volk von Paris 1789 die Bastille. Im Sog der Französischen Revolution wurde auch in engstirnigen deutschen Landen der Ruf nach Freiheit von Wort und Schrift lauter. Dort kam es jedoch zugleich zu dem Phänomen, dass etwa ein Johann Gottlieb Fichte, Autor eines Traktats mit dem Titel »Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas« (1793), Opfer von Zensur war und sich zugleich selbst als Zensor betätigte. Ja, auch Aufklärern und Revolutionären ist solches Gebaren nicht fremd gewesen, wie Beispiele unter Jakobinern oder Bolschewiki belegen.
Den längeren Atem und die größere Schlagkraft bewies indes die gegenrevolutionäre Zensur. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819, die der sogenannten Demagogenverfolgung Tür und Tor öffneten, hatten gewiss wesentlichen Anteil an der Ausbreitung von Duckmäusertum, Denunziation und Denkfaulheit in Deutschland. Dem kurzen Frühling der Freiheit 1848 folgte Verrechtlichung und Verstetigung der Zensur. Nunmehrige rigide Repression zeigt Hofbauer exemplarisch an der Verfolgung von Brockhaus, Büchner, Heine und Marx auf. Ausführlich widmet er sich sodann Bismarcks »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« von 1878 bis 1890. Ebenso dem ausgerechnet unter der Kanzlerschaft eines Sozialdemokraten, Willy Brandt, erlassenen »Radikalenerlass« von 1972 sowie der von dessen Nachfolger im Kampf gegen militante Gruppen (RAF, Bewegung 2. Juni) angezogenen Daumenschrauben gegen links. Da mit bis dahin üblichen Zensurmaßnahmen die Verbreitung radikaler Schriften und Raubdrucke nicht mehr eingehegt werden konnte, Vertriebsverbote und Indizierungen wirkungslos blieben, ging man unter Helmut Schmidt mit »harten Gesetzen gegen oppositionelle Gruppen vor oder versuchte, unbeugsame Verleger wie Klaus Wagenbach mit Anklagen einzudecken, die seine Existenz und die seines Verlages bedrohten«. Was wiederum an den Eisernen Kanzler Bismarck erinnert.
Als eine weitere Kontinuität in der Bundesrepublik seit dem Kaiserreich sowie der ersten deutschen Demokratie sind die äußerst dehnbaren Strafparagrafen wider »Unsittlichkeit« und »Unzucht« zu entdecken, denen in der Weimarer Republik zahlreiche wertvolle Bücher, Filme und bildnerische Werke der künstlerischen Avantgarde zum Opfer fielen. »Es ist auffällig, wie stark das Augenmerk des Gesetzgebers in den 1920er Jahren auf die deutsche Sittlichkeit gerichtet war«, schreibt Hofbauer. »Ein Beweggrund für das Zensieren von sexueller Freizügigkeit in Schrift und Bild mag die Angst vor der kulturellen Revolution in der Sowjetunion gewesen sein. Dort konnte man in den frühen 1920er Jahren beispielsweise einen FKK-Strand gleich neben der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche besuchen.« (Auch diesbezüglich scheint Russland sich heute rückwärts zu bewegen.)
Hofbauer thematisiert die Zensur der alliierten Siegermächte im besetzten Deutschland nach 1945. Er betont deren Notwendigkeit, um nazistischen Ungeist aus den Köpfen der Deutschen zu jagen. Doch sei sie alsbald zu einem Kontrollinstrument im Kalten Krieg mutiert - im Westen im Zeichen des Antikommunismus, im Osten im Zuge der Stalinisierung. Hofbauer bejaht, dass der Verbreitung völkerverhetzender, völkischer und nazistischer Äußerungen konsequent der Riegel vorgeschoben werden muss. Ein Problem sieht er jedoch darin, dass Zensur Märtyrer schaffe. Holocaust-Leugner sind strikt in die Schranken zu weisen, bedenklich für Hofbauer ist hingegen die willkürliche Ausdehnung des Begriffs Völkermord, sind vor allem Vergleiche und Gleichsetzung des Völkermords der Nazis an den Juden mit Genoziden andernorts zu anderer Zeit und mit blutigen Exzessen im Jugoslawien-Krieg Ende der 90er Jahre oder derzeit in der Ukraine.
In der heutigen schier unverdaulichen Informationsflut und Aufgeregtheit im weltweiten Netz werden zudem Behauptungen kaum mehr hinterfragt wie die vom »Holodomor«, 2006 von Kiew in Gesetz gegossen. Demnach habe es sich bei der Millionen Opfer fordernden Hungersnot in der Ukraine 1932/33 um einen von Moskau herbeigeführten Ausrottungsgeldzug gegen die ukrainische Ethnie gehandelt. Einsprüche von Historikern (Witterung, Kollektivierung) werden schlicht ignoriert.
Wie im 18. Jahrhundert kirchliche Zensur zunehmend durch staatliche ersetzt wurde, sind nunmehr digitale Medienkonzerne und Mogule dabei, die Definitionshoheit von Meinungs- und Pressefreiheit an sich zu reißen. »›Gefährliche Falschinformation‹ lautet die Punze, die Konzerne wie Alphabet/Google oder Facebook/Meta all jenen Publikationen auf ihren Plattformen aufdrücken, die dem transatlantisch-liberalen Weltbild ihrer Betreiber nicht passen. Gelöscht und blockiert wird von politisch und kulturell gesteuerten Algorithmen«, schreibt Hofbauer. Kritisch seziert der Autor auch das bundesdeutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, dessen ursprüngliche Idee löblich war: global agierende Kommunikationskonzerne und Datensammler wie Youtube, Twitter, Instagram & Co. »ein wenig an die rechtsstaatliche Leine zu legen«, sie zur Mitwirkung bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller Aktivitäten und Äußerungen zu verpflichten. Die Krux: »Kollateralschäden« für die Meinungsfreiheit sind nicht ausgeschlossen. Brüssel zog nach, samt eigener Taskforce, weiß Hofbauer.
Weiterhin wird zu konventionellen Zensurmaßnahmen gegen Andersdenkende oder auf andere Meinungen allzu Neugierige gegriffen, mit oder ohne den sprichwörtlichen Holzhammer. Das EU-Parlament verabschiedete mehrere Resolutionen, die Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Sanktionen gegen Russland oder China kriminalisieren. Und nach wie vor herrscht im Streit zwischen Staaten die Regel: Verbietest du meinen Sender, verbiete ich deinen. Selbst die Selbstzensur hat sich nicht überlebt. Es gilt noch, was der mittelalterliche Minnesänger Walther von der Vogelweide frank und frei benannt hatte: »Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing.«
Ein bedenkenswertes, faktenreiches Buch wider die Zensur hat Hannes Hofbauer vorgelegt. Man muss dem Autor nicht in allem folgen, darf ihm heftig widersprechen. Dass »unsere Gesellschaften langsam, aber stetig in Richtung Orwell’scher Wahrheitsministerien schlittern«, mag mancher bezweifeln. Im nd-Gespräch gab sich Hannes Hofbauer optimistischer: »Es gibt keine hundertprozentige Zensur. Es gibt immer Menschen, die sowohl technisch wie auch inhaltlich sich der Zensur entziehen und neue Wege finden, Wahrheitsmonopole zu durchbrechen.«
Hannes Hofbauer: Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung. Promedia, 248 S., br., 19,90 €.
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