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Wollen wir sterben?
Ole Nymoen hat ein Buch gegen die Kriegstüchtigkeit geschrieben
Vor langer Zeit war ich in einer linken Gruppe, die fragte sich oft, was »sie« denn nun vorhaben könnten. Wie werden »sie« auf diese oder jene Krise reagieren, was werden »sie« als Nächstes tun? Dieses »sie« war unbestimmt, aber bedrohlich. Es stand eigentlich für alles Blöde und Böse, was einem so einfallen konnte, wenn man an den Kapitalismus dachte: die herrschende Klasse und ihre Büttel, ein Klub von Geistern, die überall auftauchen konnten, um »uns« zu drangsalieren und fertigzumachen. »Wir« gegen »sie«, die klassische Dichotomie. »Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen«, wie schon Mao gelehrt hatte. Aber diese Feinde blieben Geister, man sah sie nicht, man vermutete sie nur. Man könnte auch sagen, es sind nur Worte, an die man erst mal glauben muss.
Ähnlich verhält es sich mit den »Werten«, die nun allenthalben verteidigt werden sollen. Die Worte mögen leer sein, aber sie kosten. Vergangene Woche wurden im Bundestag die neuen Kriegskredite verabschiedet. Seit Beginn des Ukraine-Krieges, des russischen Angriffs auf das Nachbarland, heißt es überall: »Wir« gegen »sie«, »unsere« Freiheit gegen »ihre« Diktatur. Wer Frieden will, muss aufrüsten. Scheiß auf Willy Brandt und Petra Kelly. Als hätte sich seit dem Kalten Krieg nie etwas geändert – außer die Grünen, denn die wollten früher damit nichts zu tun haben.
»Dabei gibt es so viel, für das es sich zu leben lohnt – und nichts, wofür man sterben sollte«, schreibt Ole Nymoen. Es ist der letzte Satz in seiner sehr aktuellen Abhandlung »Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde«. Die Rede ist hier ausdrücklich von »ich«, nicht von »wir«. Wenn in der unübersichtlichen Welt noch etwas konkret erfahrbar ist, dann ist es das eigene Ich und nicht ein vorgestelltes »Wir«.
Man soll Verantwortung für sich und sein Tun übernehmen, das lernt man in der Schule, das predigen die Ratgeber, und das ist auch die erste Forderung der herrschenden Ökonomie. Genau das macht Nymoen, der als erfolgreicher Journalist und Podcaster arbeitet: In seinem neuen, gar nicht so dicken Buch übernimmt er die Verantwortung für einen Text, den er im vergangenen Sommer in der »Zeit« veröffentlicht hatte. Er hieß »Ich, für Deutschland kämpfen? Never!« und war in den fast nonstop die »Kriegstüchtigkeit« propagierenden großen Medien die große Ausnahme. Gegen den Hab-acht-Befehlston schrieb Nymoen: »Wenn ich mir nun die Frage stelle, wofür ich zu kämpfen bereit wäre, dann muss ich ehrlich sein: für fast gar nichts. Und ganz sicher nicht für ›mein Land‹, nicht für diesen Staat, und auch nicht für Europa.«
Danach gab es massenweise Protestbriefe und strenge Gegenartikel in der »Zeit« und anderswo. In seinem neuen Buch erklärt er nun ausführlich seinen Essay. Insbesondere wehrt er sich gegen den Vorwurf, in seinem »Zeit«-Text komme kein »menschliches Wir, soziales Miteinander vor«. Wieso sollte es das? In der bundesrepublikanischen Wirklichkeit kommt es ebenfalls nicht vor. Für Nymoen »besteht dieses Land aus Millionen vereinzelter Erwerbsbürger, die sich in einer Ellenbogengesellschaft bewähren müssen«. In diesem Staatswesen gilt der »obszönste Reichtum als schützenswert«, während »die Ärmsten mit Verachtung gestraft« werden. Im sogenannten Putin-Reich dürfte es ähnlich sein, in der Ukraine ebenfalls.
Für die Bundesrepublik konstatiert Nymoen, »dass dieser Staat ganz sicher kein Wohltäter gegenüber seinen Untertanen ist«. Den Bewohnern des Landes aber wird erzählt, dass sie alle gleich seien, sie hätten dieselben »Werte«. Damit hantierten in Deutschland lange nur die Konservativen, jetzt ist dieser Nullsprech allgemeiner Standard. Die Deutschen sollten sich höchstens fragen, ob es ihnen dabei nicht »zu gut« gehe, jetzt, da man sich doch auf drohende Kriege vorbereiten müsse, mit Kriegstüchtigkeit und Kriegswirtschaft. Right or wrong, my country: »Die Politiker, die die soziale Spaltung vorantreiben, rufen zur Geschlossenheit auf«, urteilt Nymoen.
Aber die Heimat, die teure, mögen manche da entgegnen. Nymoen negiert keine Heimatgefühle, die kann man haben oder auch nicht, weist aber darauf hin, dass es der Landschaft egal ist, wer über ihre Menschen regiert, »und auch die Schönheit der Natur bleibt davon unangetastet«. Den Menschen allerdings müsste es weniger egal sein, wenn sie in den Krieg kommandiert werden, mit dem modernen Versprechen, das geschehe nun geschlechtergerecht. Wir reden von Kriegen mit konventionellen Waffen, logisch, ein Atomkrieg ist weder vorstell- noch führbar, macht aber den Politikern und ihrer Gefolgschaft anscheinend nicht mehr so viel Angst wie noch im Kalten Krieg.
Entscheidend ist die Kommandostruktur, hebt Nymoen hervor. Ein Krieg beginnt dadurch, dass er befohlen wird, von Politikern, wem sonst. Sie müssen nicht aufs Schlachtfeld, sie müssen ja das Land führen, in welche Katastrophe auch immer. Für das Soldatsein aber wird der Mensch entmenschlicht, »vom vernünftigen und moralischen Wesen in ein Tötungswerkzeug verwandelt – und das vom Staat, der von so vielen Denkern als Voraussetzung von Vernunft und Freiheit angesehen wurde«!
Wenn sich ein Staat verteidigen will, dann wird stets die Unterscheidung zwischen »Volk und Führung verwischt«, schreibt Nymoen, indem der Staat behauptet, die »Sicherheit« seiner Bürger garantieren zu wollen – aber gibt es etwas Unsicheres als Krieg? Sicher ist nur, dass die Politiker unterschiedlicher Länder sich nicht einigen können oder wollen und deshalb einen Krieg beginnen, rein strukturell gesehen. Lenins berühmte Erklärung, dabei gehe es nur um die Interessen der Wirtschaft, also um Geld und sonst nichts, findet Nymoen unbefriedigend, weil für ihn der Staat ein eigenständiger Akteur ist. Er weist darauf hin, dass Staaten aus Kriegen entstehen oder dadurch ihre Form verändern. Staaten hetzen ihre Bewohner in den Krieg, wobei sich viele Konflikte weniger um ökonomische als um nationalistische oder religiöse Symbole drehen: Falkland-Inseln, Bergkarabach oder Taiwan.
Den beliebten Aussagen, dass ein Krieg »sinnlos« sei oder »völkerrechtswidrig«, kann er ebenfalls nichts abgewinnen. Diese Kategorien hängen davon ab, wer sie gebraucht. »Wir« gegen »sie«. Den Menschen, die umgebracht werden, ist es egal. »Denn Krieg ist nicht falsch, weil er verboten ist«, resümiert Nymoen. »Er ist falsch, weil einige wenige Menschen über die Leichenberge anderer gehen können, um ihre Interessen durchsetzen zu können.« Und doch ist er sich sicher, dass die Menschen allgemein mehr eint, als sie trennt: Sie wollen in Frieden leben. Alles andere ist Ideologie.
Ole Nymoen: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde. Gegen die Kriegstüchtigkeit. Rowohlt, 144 S., geb., 16 €.
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