Immer noch Rockstar

Kronleuchter auf dem Auto: Ein neues Album vom schwedischen Cloudrapper Yung Lean

  • Larissa Kunert
  • Lesedauer: 6 Min.
Er holte Cloudrap nach Europa, mit Drogen, Traurigkeit und Liebe: Yung Lean
Er holte Cloudrap nach Europa, mit Drogen, Traurigkeit und Liebe: Yung Lean

Eingefleischte Fans fühlen sich beleidigt. Seit einigen Monaten feiert »Ginseng Strip 2002«, der Track, mit dem der schwedische Cloudrapper Yung Lean vor neun Jahren einen viralen Youtube-Hit landete, ein Revival auf der Videoplattform Tiktok. Lean, der mit bürgerlichem Namen Jonatan Aron Leandoer Håstad heißt, war erst 16 Jahre alt, als er den Track aufnahm. Im lakonischen Sprachspiel assoziierte er darin den Konsum chemischer Drogen mit dem Ausdrücken von Pickeln (»Popping pills like zits«) und erwähnte etwa Slytherin, das Schulhaus der Bösewichte aus den Harry-Potter-Romanen der britischen Schriftstellerin Joanne K. Rowling, und Gargamel, eine Figur aus der Comicserie »Die Schlümpfe«.

Damit knüpfte er an eine spezifisch europäische, »weiße« Mittelschichtskultur der letzten Jahrzehnte an und schuf eine gänzlich neue Version von Cloudrap, der bis zu jenem Zeitpunkt als langsame, eher verträumte Spielart des Hip-Hops nur in den USA in Erscheinung getreten war. Zusammen mit seiner Crew, den Sad Boys, sang und rappte Lean in stets amateurhaftem Gestus über Drogen, Traurigkeit, Liebe und Videospiele. Damit traf er einen Nerv von sich cooler als alle anderen dünkenden (Berufs-)Jugendlichen. Sowohl Fischerhüte wie der, den Yung Lean im Video zu »Ginsing Strip 2022« trägt, als auch die Flaschen des Eisteeherstellers Arizona, die ebenfalls im Video zu »Gingseng Strip 2002« zu sehen waren, avancierten in diesem Milieu zu beliebten Accessoires.

Dass nun junge Menschen aus aller Welt Yung Leans lässig knappe Bewegungen aus ebenjenem Video imitieren und bei Tiktok hochladen, obwohl sie augenscheinlich die Codes der Cloudrap-Szene nicht kennen, stößt so manchem übel auf. »Wir hätten besser gatekeepen sollen«, schreibt stellvertretend ein verärgerter Fan im Netz.

Lean selbst scheint sich darum allerdings nicht viel zu kümmern. Er kommentierte die Vorgänge lediglich ironisch mit weinenden Emojis in ein paar Instagram-Storys. Seit seinem frühen Erfolg arbeitete er konstant an neuer Musik. Mittlerweile hat er acht Alben herausgebracht. Nicht alle konnten die Kritik überzeugen: Über das letzte Studioalbum, »Starz« (2020), urteilte etwa Sheldon Pearce auf »Pitchfork«, der international bekanntesten Website für Musikkritik, Leans musikalische Methoden seien mittlerweile überholt und ausdruckslos, seine Musik wirke zu selbstzufrieden mit der ästhetischen Nische, die er für sich geschaffen habe.

Tatsächlich besteht »Starz« zu großen Teilen aus einem etwas leblosen trappig-poppigen Sound, der aktuell so viele Musikproduktionen des Mainstreams kennzeichnet. Anfang April hat Lean nun ein bescheiden als Mixtape deklariertes neues Album mit dem Titel »Stardust« veröffentlicht. Wenn man denn Sternenstaub als Überbleibsel der »Starz« versteht, schließt er damit thematisch an das Vorgängeralbum an. Zugleich ist »Stardust« ein Slangwort für Kokain - eine Doppeldeutigkeit, die insbesondere in Bezug auf Drogen typisch für Leans Texte ist.

Und so überrascht es nicht, dass der mittlerweile 25-Jährige auch mit diesem neuen Wurf wieder dem Rausch und der Traurigkeit huldigt. So rappt er etwa in »Bliss«, dem herausragendsten Stück, das er zusammen mit der britischen Musikerin FKA Twigs aufgenommen hat, auch über das Schnüffeln von Klebstoff - und das, obwohl er mit seiner Partnerin ein leidenschaftlich verliebtes Paar verkörpert, das bei seiner Hochzeit das pure Glück beschwört. Tristesse, Drogenkonsum und seliger Hedonismus widersprechen sich jedoch nicht für Lean, sondern sind vielmehr eng miteinander verflochten.

Mit dem Lied, das auf einem Songschnipsel der sowjetischen Rockband Alyans aufgebaut ist, wagen sich sowohl Lean als auch Twigs auf ungewohntes Terrain: Sehr nach den 80er Jahren, fast schon nach Post Punk klingt das und Twigs Gesang ein wenig nach Gwen Stefani. Im dazugehörigen Video bieten beide ihren ganzen Charme auf: Lean, in zu engem T-Shirt und die Haare zum Vokuhila frisiert, fährt mit seiner Braut, die zu verfilztem wasserstoffblonden Haar ein strahlend weißes Vivienne-Westwood-Kleid und massiven Goldschmuck trägt, durch die trostlose Umgebung eines britischen Vororts. Chauffiert werden die beiden, die sich selbst zelebrieren, von einer stil- und selbstbewussten Seniorin; das Auto ist mit Kronleuchtern ausstaffiert. »It’s a Leanworld« rappt Lean zu Beginn, der Song ist auch der Opener des Albums. »Lean« heißt aber auch so viel wie »karg« - und gegen ebenjene karge Welt stemmen sich die beiden Künstler mit ihrer skurrilen Hochzeit.

Leider ist nicht jeder Song auf dem Album so gelungen wie das überschwängliche »Bliss«. Geradezu schmerzhaft in den Ohren klingt etwa »Starz2theRainbow«. Dissonante Kehlgeräusche, die Lean mit seinem langjährigen Rapper-Kollegen Thaiboy Digital erzeugt, legen sich hier über eine dumpf klingende Basstrommel. Solche Fehlklänge können als Leans Markenzeichen gelten, was sie allerdings nicht unbedingt besser macht. In dem Stück rappt Lean von »Dirty Diana« und spielt damit auf den gleichnamigen Song von Michael Jackson an, der von einem aufdringlichen Groupie handelt.

»We some rockstars still« singt Lean weiter - und meint damit wohl sich und die Mitglieder der Drain Gang, mit denen er oft gemeinsam Musik produziert. Zumindest hat er damit durchaus Recht: Konzerte von Lean und seinen Gefährten gleichen Spektakeln; im November soll er in der Berliner Columbiahalle auftreten, die 3500 Besucher fasst.

Schöner als »Starz2theRainbow« ist der Song »All the things«, der sich nach etwa einem Drittel Länge zu einer Trance-Bombe mit hämmerndem Beat und sehnsuchtsvoller Melodie wandelt. Lean stößt dazu emphatisch die Aufforderung aus, ihm ins Paradies zu folgen. Dieses allerdings ist verloren, wie man schon wenig später erfährt: Auf dem wohl intimsten Song des Mixtapes, »Paradise Lost«, rappt der schwedische Rapper Ant Wan zu wehmütig gezupften Gitarrenklängen auf Schwedisch von Erinnerungen, die er vergessen möchte. Lean rappt dazu mal wieder von Drogen und davon, dass er kein Vorbild sei und sein Leben nicht eines, von dem man träumen solle. Das lässt an die Zeit psychischer Krisen denken, die Lean hinter sich hat, wie »In My Head«, der Dokumentarfilm von Henrik S. Burman über ihn 2020 zeigte.

Dass er seine Kreativität und vor allem sein Gespür für den Zeitgeist nicht verloren hat, beweist »Stardust«. Das Album, auf dem Lean mit zahlreichen Musikern zusammengearbeitet hat, ist eines voller Höhen und Tiefen. Indes zeigt es ebenso wie seine Vorgänger, dass man das Phänomen Yung Lean nicht allein durch das Hören seiner Musik verstehen kann. Die klanglichen Erzeugnisse sind trotz einiger guter Einfälle doch allenfalls mittelmäßig. Dass Lean seine Musik allerdings mit avantgardistischem Style und einer Menge Charme zu kombinieren weiß und so eine ganze »Leanworld« erschafft, macht seine Anziehungskraft aus.

Yung Lean: »Stardust« (World Affairs)

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