- Kommentare
- Selbstbestimmung und Transidentität
Frau sein, schwanger sein
Jeja nervt: Die Selbstzerfleischung feministischer Bewegungen
Nachdem der Plan des höchsten Gerichts der USA, das Recht auf Abtreibung zu kippen, durchgestochen worden ist, herrscht in feministischen Kreisen Aufregung. Sollte das Urteil gefällt werden, was gegenwärtig als höchstwahrscheinlich gilt, greifen in etwa der Hälfte der Bundesstaaten vorbereitete Gesetze. Die legen Schwangerschaftsabbrüchen nicht nur wie bisher jeden erdenklichen Stein in den Weg, sondern kriminalisieren sie gänzlich. Doch die feministische Öffentlichkeit wird von dem antifeministischen Generalangriff in einem ungünstigen Moment getroffen – war sie doch zuletzt von gänzlich anderen Themen und Streitigkeiten beherrscht.
Natürlich: Feministischen, spektrenübergreifenden Aktivismus hatte es auch zuletzt immer gegeben. Kein Ereignis zeigt das besser als die Auseinandersetzungen um sexuelle Gewalt und männlichen Machtmissbrauch unter dem Schlagwort #MeToo. Und doch hat es eine Minderheit frauenpolitischer Akteur*innen geschafft, eine extrem emotionalisierte, lang gezogene Kontroverse um ihre Forderung nach Ausgrenzung transgeschlechtlicher Menschen anzuzetteln. Und das, obwohl es sich um eine unheimlich kleine gesellschaftliche Gruppe handelt. Statt gegen Bedrohungen und Marginalisierungen von Frauen und für ihre tatsächlichen Rechte zu kämpfen, haben diese Akteur*innen sich der Kultivierung einer Form vor allem symbolischen Frauenrechts gewidmet: Emanzipation und Unterdrückung wurden hier nicht an den Möglichkeiten der Individuen gemessen, ihre Lebensumstände unabhängig von geschlechtlichen Zuschreibungen selbst gestalten zu können. Es ging – und geht – um den Status der kollektiven Identitätskategorie Frau, aus dem sich die narzisstische Selbstbesetzung der Agierenden ableitet. Und wie immer in Fragen fragiler Selbstachtung – nehmen wir nur den Nationalismus – gilt: je weniger komplex und ausdifferenziert, umso naturwüchsiger, desto besser.
Kein Wunder, dass diese Akteur*innen sich willfährig in die politische Großstrategie der religiösen Rechten und des Trumpismus haben einbinden lassen. Sie spielten die »frauenrechtliche« Begleitmusik, als sich die republikanischen Bundesstaaten dutzendfach darin überboten, die verrücktesten und gemeinsten Anti-Trans-Gesetze zu verabschieden.
In Idaho wurde gar versucht, das Verbot der Genitalverstümmelung um den Aspekt »weiblich« zu kürzen. Ziel: medizinische Transition bei Jugendlichen als »Verstümmelung« zu kriminalisieren. Die Abgeordnete Julianne Young hatte das Vorhaben freimütig als »Ausdehnung des ›Pro Life‹-Streits« eingeordnet. Man rede dabei »nicht über das Leben des Kindes, sondern über das Potenzial, einer anderen Generation das Leben zu geben«. In Texas umging Gouverneur Greg Abbott sogar das Votum der eigenen Mehrheit einfach, als er ein gescheitertes Gesetz per »Rechtsauffassung« durchdrückte. Er erweiterte die Definition von »Kindesmisshandlung« um medizinische Transitionsmaßnahmen, die gegen ein »Recht auf Fortpflanzung« verstießen. Gemeint war freilich eine Pflicht.
Die politische Rechte interessiert sich überhaupt nicht im Detail dafür, ob die Gesetze Cis-Frauen oder transgeschlechtliche Menschen treffen. Es wird sowieso alles durch die Brille eines Anti-Genderismus betrachtet. Und durch die sind Frauen, die ihr Leben selbstbestimmt und damit »unweiblich« leben, Schwangerschaften abbrechen, andere Frauen lieben oder begehren sowie Menschen, die »ihr Geschlecht wechseln«, ein und dasselbe Phänomen: der künstliche Verstoß gegen eine (gottgegebene) Natur der Geschlechtlichkeit.
Beobachter*innen warnen bereits vor den Implikationen, die in der verfassungsrechtlichen Argumentation des Supreme-Court-Urteils stecken. Sie entzieht einer Reihe historischer Urteile die Grundlage: Legalisierung der Verhütung, von gleichgeschlechtlichem Sex sowie der Ehe mit einem Angehörigen desselben Geschlechts und der zwischen Schwarzen und Weißen. Die Gegenmobilisierung muss und wird auch die Kategorie der Frau bemühen. Denn die stirbt erst aus, wenn auch das Patriarchat ausstirbt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.