Seitenhiebe beim Impfen

Kurt Stenger über neue, alte Herausforderungen in der Pandemie

Corona, was war das doch gleich noch? Für die meisten Bürger scheint die Pandemie abgehakt. Die Fallzahlen sinken, Infektionen verlaufen meist harmlos, die Beschränkungen sind fast ganz aufgehoben, und den Rest wird schon der nahende Sommer richten. Die Impfzahlen lassen sich da als Stimmungsbild lesen: Rund 2000 Mal wird bundesweit pro Tag noch gepikst, vor einem Jahr war es fast eine Million Mal. Wie mit dem Problem umgegangen werden soll, dass noch immer fast zwei Millionen über 60-Jährige ganz ohne Impfschutz sind, interessiert nach dem kläglichen Scheitern der allgemeinen Impfpflicht nicht mehr. Dabei wäre das Verkleinern dieser Lücke mit Blick auf den Herbst eine wichtige politische Aufgabe.

Auf jeden Fall müssen sich zwei Gruppen dann noch größere Sorgen machen – die Alten über 70 und Menschen, bei denen das Immunsystem durch Medikamente, Erkrankung oder nach einer Transplantation unterdrückt ist. Der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, weist jetzt darauf hin, dass für sie eine vierte Impfung ansteht. Dies empfiehlt die Stiko zwar schon länger, doch der öffentliche Hinweis via Medien dürfte als Mahnung gegen das Vergessen zu verstehen sein. Gleichzeitig ist er ein Seitenhieb in Richtung des wieder mal übertreibenden Bundesgesundheitsministers, der die Impfkommission drängt, ihre Empfehlung stark auszuweiten.

Doch Stiko-Chef Mertens verteilt, etwas versteckt, einen weiteren Seitenhieb, und zwar an die Pharmaindustrie: Er erinnert sie an das Versprechen, Impfstoffe der zweiten Generation zu entwickeln, die alle bekannten Virusvarianten abdecken. Ihr Geschäft war das immer weitere Boostern. Angesichts zunehmend ungewisser Renditeaussichten bei den Corona-Vakzinen scheint der Entwicklungselan erlahmt zu sein. Auch hier wird sich daher ohne politischen Druck wenig tun. Doch den lassen die Verantwortlichen nach wie vor vermissen. Auch bei ihnen lautet das Motto: Corona abgehakt.

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