Angezählter Parteichef

Interne Kritik an AfD-Parteichef Tino Chrupalla wird lauter

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Jörg Meuthen im Januar die AfD verließ, schien die Machtfrage in der Partei geklärt. Egal, ob es nach dem für Mitte Juni im sächsischen Riesa geplanten Bundesparteitag mit einem oder zwei Bundesvorsitzenden weitergeht, galt ein Name lange Zeit als beinahe gesetzt: Tino Chrupalla, der seit Meuthens Ausstieg die AfD als alleiniger Parteisprecher führt. Doch wenige Wochen vor dem Delegiertentreffen werden die Fragezeichen größer, ob der sächsische Bundestagsabgeordnete noch der Richtige für das Amt ist.

Als Solo-Vorsitzender wird der 47-Jährige nämlich viel stärker als bisher für alles in Haftung genommen, was in der AfD gerade schief läuft – und das ist nicht gerade wenig. Auf Bundesebene läuft es bereits länger nicht mehr rund. In Umfragen pendelt die Partei zwischen neun und elf Prozent. Mit der Strategie, sich als vehemente Gegnerin sämtlicher Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern zu positionieren, konnte die AfD außerhalb ihrer Kernwählerschaft keine neuen Zielgruppen erschließen.

Doch auch mit der Verdrängung der Pandemie aus den Schlagzeilen durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde es für die Partei nicht besser, sondern im Gegenteil noch einmal ein bisschen schlimmer. Plötzlich interessierten sich viele Medien wieder verstärkt dafür, dass führende AfD-Vertreter*innen über Jahre teils intensive Kontakte nach Moskau pflegten, darunter auch der Bundesvorsitzende selbst. Noch im Juni 2021 hatte Chrupalla auf Einladung des Kreml an einer Konferenz des russischen Verteidigungsministeriums teilgenommen.

Dies erklärt auch, warum sich der Parteichef nach Beginn der russischen Invasion zunächst schwer damit tat, den Kreml und Präsident Wladimir Putin als klaren Aggressor zu benennen. Doch selbst nachdem Chrupalla den Angriffskrieg als solchen verurteilte, setzte die Partei ihren Schlingerkurs fort.

Besonders in den westdeutschen Landesverbänden ist der Wunsch nach einer deutlicheren Abgrenzung gegenüber Russland groß. Doch wie soll sich eine Partei verhalten, die in Ostdeutschland wiederum russlandfreundlich auftritt? Erschwerend kommt hinzu: Die AfD tritt für eine Stärkung der Bundeswehr ein, auch deshalb, weil in ihren Reihen viele Funktionäre mit militärischem Hintergrund aktiv sind. Kann die Partei deshalb die Aufrüstungspläne der Ampel-Koalition mittragen, ohne gleichzeitig den sorgsam gepflegten Nimbus als vehemente Oppositionspartei zu verlieren?

Aufgelöst bekommt Chrupalla diese Widersprüche nicht wirklich. Wie der »Spiegel« vor einigen Tagen berichtete, forderte der Parteichef in einem Rundschreiben an alle Mitglieder, die AfD müsse sich als »Partei des Friedens für Europa« positionieren. Eine Pressemitteilung vom 4. Mai klingt dagegen nicht danach, als gelten Chrupallas größte Sorgen in erster Linie Europas Zukunft. »Ich appelliere an Kanzler Scholz und die Bundesregierung, ausschließlich deutsche Interessen zu vertreten«, erklärt der Parteivorsitzende darin.

Alles andere als geschlossen tritt auch die Bundestagsfraktion auf, die Chrupalla gemeinsam mit Alice Weidel führt. Als das Hohe Haus Ende April über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine abstimmte, galt die Fraktionslinie als abgesteckt: Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet sind grundsätzlich abzulehnen.

Vier AfD-Abgeordnete stimmten dennoch mit der Ampel-Koalition, darunter der als in der Partei gut vernetzt geltende Albrecht Glaser. Drei weitere AfD-Mandatsträger*innen enthielten sich bei der Abstimmung, sieben Parlamentarier*innen nahmen erst gar nicht teil.

Wie zerstritten die Bundestagsfraktion ist, zeigt ein gemeinsam von Weidel und Chrupalla erarbeiteter Vorschlag. Beide legten vor einigen Wochen eine Art Maßnahmenkatalog vor, um alle AfD-Abgeordneten künftig auf Linie zu halten. Anders als bei Sanktionen gegen Russland, die Chrupalla vehement ablehnt, kann er sich Strafmaßnahmen gegen Politiker*innen in den eigenen Reihen vorstellen. So sollen nach Vorstellung der Fraktionsführung geplante Redebeiträge zu bestimmten Themen im Vorhinein geprüft werden. Wie groß die Begeisterung für diese Idee ist, dürfte in einer Partei, zu deren DNA vehemente Redefreiheit gehört, keine Überraschung sein. Pluspunkte sammelt Chrupalla mit dem Vorschlag keine, dabei wäre er für seine angestrebte Wiederwahl zum Parteivorsitzenden auf eine breite Unterstützung angewiesen.

Inwieweit Chrupalla an der Parteispitze zu halten ist, dürfte auch maßgeblich Einfluss darauf haben, ob sich ein anderer AfD-Politiker aus der Deckung wagt. Auf dem Landesparteitag der Thüringer AfD am Wochenende in Pfiffelbach kokettierte Björn Höcke einmal mehr damit, künftig »vielleicht die Parteiführung auf Bundesebene auch mitzuprägen«. Ähnlich hatte sich der führende Kopf der völkischen Nationalisten bereits früher geäußert, auf eine Kandidatur für den Parteivorstand dann aber immer verzichtet. Anders könnte es dieses Mal laufen, besonders weil mit dem Austritt Meuthens das Lager der für einen verbal gemäßigten Kurs eintretenden Mitglieder stark geschwächt wurde. »Man will ja nicht nur passives Mitglied sein, sondern auch mitgestalten«, sagte Höcke gegenüber der Deutschen Nachrichtenagentur am Samstag. Als äußerst unrealistisch gilt, dass Höcke selbst für einen der zwei Bundessprecherposten kandidert.

Ob einer davon auch nach dem Parteitag in Riesa Tino Chrupalla heißt, hängt auch davon ab, wie sich die AfD bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag in Nordrhein-Westfalen schlägt. Bei der Saarlandwahl im März hatte die Partei mit 5,7 Prozent nur knapp den Wiedereinzug geschafft, bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am gestrigen Sonntag flog die AfD mit nur 4,4 Prozent sogar aus dem Kieler Parlament. Auch in NRW deuten die Umfragen auf ein zu erwartendes Ergebnis von kaum über sieben Prozent hin.

Laut »Süddeutscher Zeitung« hatte sich Chrupalla Ende März bei einer Sitzung des Parteivorstandes über die schwachen Zahlen der westdeutschen Landesverbände beschwert. Er soll sogar gesagt haben, er könne nichts dafür, wenn »der Westen« es nicht hinbekomme. Für den Bundesvorsitzenden einer Partei ist dies eine gewagte Äußerung, die Chrupallas Chancen auf eine Wiederwahl nicht unbedingt erhöhen.

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