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Fernández macht Scholz die Aufwartung
Argentiniens Präsident sucht in Europa nach neuen Absatzchancen
Am Dienstag in Spanien, am Mittwoch in Deutschland und, wenn es spontan noch klappt, auch in Frankreich will Fernández versuchen, Argentinien als stabilen Lieferanten von Lebensmitteln und Energie zu etablieren. Wobei das mit der Energie so eine Sache ist: Im argentinischen Winter war Argentinien selbst auf Gasimporte angewiesen, weil eigene Quellen zwar vorhanden, aber nur unzureichend erschlossen sind.
Argentiniens Wirtschaft steckt in einer schweren Krise, neue Exportmöglichkeiten wären da hochwillkommen. Präsident Alberto Fernández begab sich auf Europa-Tour und ließ im letzten Moment den eingeladenen Wirtschaftsminister Martín Guzmán in Buenos Aires zurück, weil er dort in diesen Zeiten unabkömmlich scheint.
Am Dienstag traf Fernández in Madrid den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez sowie König Felipe VI. Am Mittwoch wird er in Berlin von Bundeskanzler Olaf Scholz empfangen. Neben den wirtschaftlichen Überlegungen wird der Krieg Russlands gegen die Ukraine ein Thema sein. Dabei werden vor allem die Gemeinsamkeiten gesucht, weniger das Trennende.
Im Gegensatz zum rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro kann sich der gemäßigte Fernández leicht als ein vernünftiger Partner präsentieren. Dass der Präsident des zweitgrößten Landes Südamerikas in der eigenen Region keine gewichtige Rolle spielt, wird diplomatisch geschickt umgangen. Ebenso, dass er bei dem seit über zwei Jahrzehnten unterschriftslosen Freihandelsabkommen zwischen der EU und der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur als Bremser auftritt.
Dass Argentinien die UN-Resolution gegen den Einmarsch in die Ukraine unterstützt hatte, sich aber schon bei der Debatte über den Ausschluss Russland aus der G20 oder den Entzug seines Beobachterstatus bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zurückhielt, dürfte den Regierenden in Europa nicht entgangen sein.
Anfang Februar war Fernández nach Russland und China gereist. Während er vor Kriegsbeginn in Moskau gegenüber Präsident Wladimir Putin Argentinien als »das Tor für Russland« in Lateinamerika angeboten hatte, suchte er in Peking Rückhalt für die Aufnahme in die Runde der Brics-Staaten, jener lockeren Vereinigung von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika als aufstrebende Volkswirtschaften.
Die Aussichten sind gut, dass aus den Brics bald die Bricsa-Staaten unter Einschluss Argentiniens werden, zumal nach einem möglichen Sieg von Lula da Silva bei den brasilianischen Präsidentschaftswahlen im Oktober. Fernández hatte Lula im Juli 2019 im Gefängnis besucht, als dieser wegen angeblicher Korruption hinter Gittern saß.
Wenn Argentiniens Präsident auf Auslandsreise ist, übernimmt der Vize die Amtsgeschäfte. Und gerade diese Woche steht Wichtiges auf der Tagesordnung. Verhandelt werden die Subventionen bei den Strom- und Gastarifen: Diese belasteteten den Staatshaushalt im vergangenen Jahr mit zwölf Milliarden Dollar, aber die geplanten Tariferhöhungen werden die ohnehin hohe Inflation weiter anheizen. Mit extremer Spannung wird die Bekanntgabe der Inflationsrate für April am Donnerstag erwartet. Erwartet wird ein Preisanstieg von knapp sechs Prozent allein im Vergleich zum Vormonat. Schon jetzt wird eine Rate von 65 Prozent für das laufende Jahr vorhergesagt.
Seit der Zustimmung des Kongresses zum neuen Schuldenabkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Anfang März ist das Verhältnis der beiden heillos zerrüttet. Während der Präsident mit den Stimmen der konservativen Opposition das Abkommen absegnen ließ, enthielten sich die kirchnerhörigen Parlamentarier*innen oder stimmten dagegen. Seither vergeht kein Tag, an dem das Kirchner-Lager nicht gegen den wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs des Präsidenten opponiert.
Das wird auch die IWF-Delegation zur Kenntnis nehmen, die diese Woche nach Buenos Aires kommt, um die Einhaltung der im Kreditabkommen vereinbarten Rahmendaten zu kontrollieren. Dazu gehört eine Inflationsrate von maximal 48 Prozent, außerdem die Reduzierung der Energiesubventionen um mindestens 3 Milliarden Dollar, um das Defizit auf die vereinbarten 2,5 Prozent zu beschränken. Diese Vorgaben werden die sozialen Spannungen verstärken und im Laufe der Woche Tausende auf die Straßen von Buenos Aires treiben, um dagegen zu protestieren.
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