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Der Pilz der Batteriezellproduktion
Millionen für Großprojekt in Schleswig-Holstein – EU-Rechnungshof untersucht europaweite Förderstrategie
Es ist schon ungewöhnlich, dass ein Fördermittelbescheid in Anwesenheit von Presse, Funk und Fernsehen zugestellt wird. Wenn wie an diesem Mittwoch auch noch ein norddeutscher Landesvater und ein Bundesminister vertreten sind, muss es sich um ein besonders wichtiges Projekt handeln. Und tatsächlich: Bei der geplanten Batteriezellfabrik des schwedischen Unternehmens Northvolt im 20 000-Einwohner-Städtchen Heide würde es sich um die größte Industrieansiedlung in Schleswig-Holstein seit Jahrzehnten handeln. Das Investitionsvolumen an dem Standort auf halbem Wege zwischen Flensburg und Hamburg soll rund zwei Milliarden Euro betragen, mehr als 3000 direkte neue Arbeitsplätze sollen entstehen.
Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck war der Termin eine wichtige Abwechslung zu seinen Aktivitäten bei den Energiesanktionen gegen Russland. Gerade mit Blick auf das grüne Wahlvolk ist es wichtig, mal mit Klimaschutzanstrengungen zu punkten: Hintergrund des Projekts in Heide ist ja die Verkehrswende, genauer gesagt die Hinwendung zur Elektrifizierung des Straßenverkehrs. Northvolt will in Heide ab Ende 2025 Batteriezellen für die Autoindustrie herstellen und kooperiert dabei eng mit Volkswagen. Der Wolfsburger Konzern ist zu 20 Prozent an dem Unternehmen beteiligt. Da die Produktion klimaneutral sein soll, sei die gute Anbindung an Offshore-Windparks entscheidend für die Standortentscheidung, wie Habeck betonte.
Die Verhandlungen mit Northvolt laufen bereits seit 2018. Konkret werden Fördermittel im Umfang von 155,5 Millionen Euro ausgereicht. Das Geld soll die entgültige Investitionsentscheidung befördern, die bis Ende des Jahres fallen soll. Knapp ein Drittel steuert das Land Schleswig-Holstein bei. Dessen Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) spricht von einem »Leuchtturmprojekt«.
Das Vorhaben ist Teil des IPCEI-Projekts »European Battery Innovation« der EU. Die englische Abkürzung weist auf strategisch wichtige Vorhaben hin, die »mittels staatlicher Förderung einen wichtigen Beitrag zu Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und Wirtschaft leisten«, wie es offiziell heißt. In Deutschland werden solche Vorhaben vom Bundeswirtschaftsministerium koordiniert. Neben Batterien gibt es auch IPCEI-Projekte bei Halbleitern und Wasserstoff.
Die Batteriezellfertigung ist das technologische Fundament der Abkehr von der Ölverbrennung im Verkehr. Die Politik in der EU und ihren Mitgliedsländern samt der hiesigen Autoindustrie will unabhängiger von Zulieferern aus Ostasien werden, die derzeit den Weltmarkt dominieren. Alleine China bringt es auf einen Zwei-Drittel-Anteil an der Produktion, Europa lag bei Lithium-Ionen-Batterien zuletzt bei gerade einmal sechs Prozent. Auch in diesem Bereich möchte die EU Abhängigkeiten reduzieren. Zwar geht es anders im Russland-Ukraine-Krieg nicht um außenpolitische Verwerfungen oder Embargos, aber man befürchtet, im Falle von Knappheiten nicht ausreichend mit Batteriezellen beliefert zu werden. Ziel der EU ist eine »strategische Autonomie«.
Und so hat Brüssel ambitionierte Ausbauziele ausgegeben: Bis 2025 soll sich die Kapazität der Batterieproduktion in Europa im Vergleich zu 2020 auf 400 Gigawattstunden nahezu verzehnfachen. Damit verbunden sollen die Schaffung von 800 000 Arbeitsplätzen sowie ein Marktvolumen von rund 250 Milliarden Euro pro Jahr sein. Tatsächlich schießen Fabriken europaweit fast wie Pilze aus dem Boden. In Deutschland gab es bisher überhaupt keine Fertigung. Nun aber entstehen unter anderem in Heide und Erfurt, in Ludwigsfelde und dem saarländischen Überherrn zahlreiche Werke für Batteriezellen. Bei allen fließen millionenschwere Fördermittel.
Nun setzt das EU-Recht staatlichen Beihilfen im Normalfall hohe Hürden. Auf dem Binnenmarkt soll kein unfairer Standortwettbewerb zwischen finanzstarken und schwachen Regionen oder Mitgliedstaaten ausgetragen werden. Bei den IPCEI-Projekten sind die Beihilferegeln zwar gelockert, aber nicht ausgehebelt. Tatsächlich gibt es Bedenken, dass bei der Fördermittelvergabe nicht alles mit rechten Dingen zugeht, aber auch, ob diese geeignet ist, die vorgegebenen Ziele zu erfüllen. Dies ruft nun den EU-Rechnungshof auf den Plan. »Wir werden prüfen, ob die EU-Maßnahmen dazu führen, dass in Europa deutlich mehr Batterien hergestellt werden, und ob sie zu einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Wertschöpfungskette beitragen«, erläuterte Annemie Turtelboom, die die Prüfung leitet, Anfang der Woche. Der Abschlussbericht soll in etwa einem Jahr vorliegen.
Insbesondere geht es den Prüfern um die EU-Fördermittel. Bisher sind 1,25 Milliarden Euro geflossen, hinzu kamen 500 Millionen Euro in Form von Darlehensgarantien. Für die laufende Haushaltsperiode sind weitere Mittel in Höhe von 925 Millionen Euro vorgesehen. Der Rechnungshof will dabei auch kritisch unter die Lupe nehmen, ob die EU-Vorhaben mit den übergeordneten EU-Strategien der Klimaneutralität und nachhaltigen Mobilität im Einklang stehen. Die Experten mahnen auch, dass es dabei um die gesamte Wertschöpfungskette von der Gewinnung und Verarbeitung der Rohstoffe über die Herstellung und Montage der Batteriezellen bis hin zum Recycling oder zur Zweitnutzung der Batterien gehen müsse.
Darüber hinaus wird geprüft, ob »die Kommission geeignete und wirksame Maßnahmen ergriffen hat, um in der überwiegend von der Industrie geprägten Branche Einfluss zu nehmen«, wie es die Behörde etwas diplomatisch ausdrückt. Salopp formuliert: ob sich die öffentlichen Stellen von den privaten Investoren haben über den Tisch ziehen lassen. Hier kommen dann besonders die Mitgliedsländer ins Spiel. Mit Besuch von den Prüfern zu rechnen haben in den kommenden Monaten Frankreich, Polen, Portugal, Schweden, Spanien – und Deutschland. Dann wird sicher auch der Förderentscheid für Northvolt kritisch beäugt werden.
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