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Schlaflos für den Aufenthalt
In Friedrichshain-Kreuzberg warten ukrainische Geflüchtete stundenlang auf ihre Erstaufnahme
»Ich bin jetzt seit eineinhalb Stunden hier, bewegt hat sich seitdem allerdings nichts«, sagt Elena zu »nd«, während sie am Donnerstagmorgen vor dem Sozialamt in Friedrichshain-Kreuzberg steht. Gemeinsam mit vielen anderen wartet die Geflüchtete aus Kiew auf ihre Gelegenheit, sich in Berlin zu registrieren und so Zugang zum deutschen Sozialsystem zu erhalten. Die Ukrainerin wirkt geduldig, doch was sie erzählt, klingt nach Stress: »Ich bin extra vor den offiziellen Öffnungszeiten gekommen, und trotzdem war die Schlange schon relativ lang.« Sie habe gehört, dass andere schon mitten in der Nacht vor dem Sozialamt campiert hätten.
Deutlich drastischere Worte für die Lage im Bezirk findet Stephan Dudeck, der sich als freiwilliger Helfer und Übersetzer für Geflüchtete in Berlin engagiert: »Was ich dort erlebt habe, sind chaotische Zustände«, sagt er zu »nd«. Das informelle Netzwerk, dem der 51-Jährige angehört, kümmert sich insbesondere um jene, die aus den besetzten Gebieten in der Ukraine zunächst nach Russland gebracht wurden und von dort aus nach Deutschland fliehen.
Derzeit betreut Dudeck eine Familie aus Mariupol. Nachdem es gelungen war, eine Wohnung in Friedrichshain-Kreuzberg zu organisieren, begleitete er die Geflüchteten vor wenigen Tagen zum Sozialamt in der Yorckstraße. »Vor dem Amt haben bestimmt an die 100 Leute gewartet«, sagt der Helfer. Die Stimmung beschreibt er als angespannt: »Ich habe viele Frauen mit kleinen Kindern gesehen, die teilweise schon seit 4 Uhr morgens in der Schlange standen, um überhaupt noch reingelassen zu werden.« Die Kinder müssten mit, es sei nicht möglich, sie als Elternteil stellvertretend registrieren zu lassen. Sitzmöglichkeiten gebe es auch nicht.
Für Verwirrung sorgt laut Dudeck zudem die Aufteilung der Menschen auf zwei Schlangen: eine für diejenigen, die einen festen Termin haben oder denen am Tag zuvor nicht mehr geholfen werden konnte, eine andere für jene ohne Termin. »Das bedeutet dann, dass die zweite Schlange erst einmal drei Stunden nicht vorankommt«, sagt Dudeck. Einen Termin zur Erstanmeldung zu vereinbaren, sei den Geflüchteten nicht möglich – es fehle eben die Registrierung.
In den Schlangen selbst hätten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialamts versucht, für Klarheit zu sorgen. Mit dem vom Sozialamt organisierten Wachschutz geriet Dudeck jedoch aneinander. »Als ich Fotos machen wollte, wurde mir mit einem Platzverweis und der Polizei gedroht«, sagt der Helfer, der auch den Umgang mit den Geflüchteten kritisiert. »Diese Leute hatten offenbar nicht verstanden, dass sie es hier nicht mit Betrunkenen in einer Vorstadtdisko zu tun haben, sondern mit Frauen und Kindern.«
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialamts schienen hingegen sichtbar bemüht, so Dudeck. Dem riesigen Ansturm seien sie aber offensichtlich nicht gewachsen: »Das Personal im Sozialamt hat vorne und hinten nicht gereicht.« Auch an Übersetzerinnen und Übersetzern mangele es. »Ich habe tatsächlich schon mehrfach von Geflüchteten gehört, dass es anscheinend nur in Friedrichshain-Kreuzberg so schlimm ist«, sagt der Ehrenamtliche.
Die von ihm betreute Familie aus Mariupol habe mittlerweile etliche Stunden investiert – ohne Erfolg. »Inzwischen waren sie schon dreimal dort, und müssen jetzt auch noch ein viertes Mal vorbeikommen«, sagt er. Jedes einzelne Mal habe man rund vier Stunden in der Schlange verbracht. »Vier Stunden warten, um dann gesagt zu bekommen, dass noch ein Brief vom Vermieter nötig ist.« Über den anscheinend nach wie vor hohen Andrang im Bezirk ist Dudeck erstaunt: »Eigentlich gibt es kaum noch eine Chance, in Berlin zu bleiben, das geht im Grunde nur noch über private Kontakte.« Womöglich sei die Zivilgesellschaft gerade hier besonders aktiv.
Den Verdacht Dudecks teilt auch Oliver Nöll, Sozialstadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. »Wir haben offensichtlich eine überdurchschnittlich hohe Hilfsbereitschaft in unserem Bezirk. Es ist toll, hier Politik machen zu dürfen«, sagt der Linke-Politiker gegenüber »nd«. Was geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer angehe, versorge man im Bezirk fast 3000 Bedarfsgemeinschaften und 4600 Menschen. Im vergangenen Monat seien vor Ort bis zu 130 000 Euro pro Tag ausgezahlt worden. »Es ist klar, dass die Strukturen eines Sozialamtes auf so etwas nicht vorbereitet sind«, sagt Nöll.
Gerade um Ostern herum habe vor Ort eine Überforderungssituation geherrscht: »An einzelnen Tagen mussten wir Menschen wegschicken. Wir haben dann ein Bändchen eingeführt, mit dem die Menschen am nächsten Tag Vorzug erhalten.« Den Vorwurf, dass es vor Ort chaotisch zugehe, weist Nöll jedoch zurück: »Die Kolleginnen und Kollegen leisten dort Großartiges.« Das Sozialamt sei außerdem mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus anderen Ämtern der Stadt verstärkt worden. Derzeit beschäftige man zudem 18 Honorarkräfte als Sprachmittlerinnen und Sprachmittler. Die Verstärkungsmöglichkeiten seien aber alles andere als unbegrenzt, da die Arbeit besondere Fachkenntnis voraussetze.
Für die Koordinierung vor Ort habe man laut Nöll einen Träger beauftragt, als Lotsendienst für Sicherheit im Haus zu sorgen. »Das hat meinen Informationen nach bisher gut funktioniert«, sagt der Sozialstadtrat. Er wisse zwar von »ein, zwei Situationen, in denen es etwas hitziger geworden ist«, von Auseinandersetzungen mit dem Sicherheitsdienst aber höre er zum ersten Mal. »Ich habe großes Verständnis, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Amt überlastet fühlen«, sagt Nöll. Seine Hoffnung aber setze er auf die kommende Systemumstellung zum 1. Juni, mit der die Sozialämter deutlich entlastet werden sollen. Bis dahin appelliert der Linke-Politiker an das Durchhaltevermögen der Beschäftigten: »Es ist jedem bewusst, dass das keine endlose Geschichte ist.«
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