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Zwei-Klassen-Migration

In Frankfurt (Oder) demonstrieren geflüchtete und deutsche Aktivisten gegen Europas Grenzregime und rassistische Doppelstandards

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine und Menschen ohne ukrainischen Pass sind auf der Flucht von rassistischen Doppelstandards betroffen. Ein Bild von Anfang März im polnischen Przemyśl.
Auch Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine und Menschen ohne ukrainischen Pass sind auf der Flucht von rassistischen Doppelstandards betroffen. Ein Bild von Anfang März im polnischen Przemyśl.

Vier Jahre Unsicherheit liegen schon hinter Kameni. Vier Jahre ohne Zuhause, ohne klare Perspektive. Der 32-jährige Kameruner spricht leise, macht lange Pausen, um die richtigen Worte auf Französisch zu finden. 2018 sei er in die Türkei geflohen, ein Jahr habe er im berüchtigten Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos verbracht, so erzählt er es »nd«. Vor zwei Jahren dann die Ankunft in Berlin, Asylverfahren und Unterbringung in einer Sammelunterkunft in Halberstadt, Sachsen-Anhalt. Es folgten monatelange Massenquarantäne, die Ablehnung des Asylantrags, schließlich die Duldung und Angst vor Abschiebung. »Manchmal willst du einfach aufgeben«, sagt Kameni.

Am Samstag fährt er zusammen mit einem Freund aus der Berliner Initiative »No Border Assembly« nach Frankfurt (Oder), um dort gegen die deutsche und europäische Migrationspolitik zu protestieren. »Fight Fortress Europe« heißt die Demonstration, »Bekämpfe die Festung Europa«, und im Untertitel: »Solidarität mit allen Geflüchteten an den EU-Außengrenzen«.

Nadja Martin spricht unter Pseudonym für das Demo-Bündnis. Sie erinnert sich an die ersten Treffen vor drei Monaten. Antirassistische Aktivist*innen von der Seebrücke Jena und Potsdam sowie der Gruppen »No Border Assembly« und »Borderline Europe« hätten sich angesichts der katastrophalen Lage an der polnisch-belarussischen Grenze zusammengetan, um eine Veranstaltung gegen das europäische Grenzregime zu planen. »Die Festung Europa zeigt sich seit Oktober 2021 sehr offensichtlich: Es wurde eine Grenzmauer durch den Białowieża-Nationalpark gezogen, Geflüchtete, unter anderem aus dem Irak, Syrien und Afghanistan, wurden völkerrechtswidrig vom Grenzübertritt abgehalten und mit Pushbacks zurückgedrängt«, sagt sie zu »nd«. Gerade weil sich die Öffentlichkeit an mörderische Grenzen gewöhnt habe, wollte das Bündnis mit einer bundesweiten Mobilisierung aufrütteln.

Dann kam der 24. Februar, Kriegsbeginn in der Ukraine. Während Menschen in den Sümpfen zwischen Weißrussland und Polen weiterhin hungerten und starben, ging eine Welle der Solidarität durch Deutschland – allerdings nur für die »richtigen« Flüchtlinge. »Diese Gleichzeitigkeit zeigt noch mal deutlicher den Rassismus und die selektive Solidarität an den EU-Außengrenzen«, sagt Martin. Plötzlich habe die EU die Massenzustrom-Richtlinie aus der Tasche gezogen – ein Gesetz, das schon seit 2001 die Möglichkeit bietet, bei großen Fluchtbewegungen Aufnahme- und Aufenthaltsbestimmungen zu entbürokratisieren. Die Einschränkungen, die den Behördenlauf durchs Asylverfahren normalerweise begleiten, fielen so weg. Eine Erleichterung, die auch schon 2015 möglich gewesen wäre, hätte man die Richtlinie angewandt. Für Martin ist die Demo am Samstag im neuen weltpolitischen Kontext deshalb nicht weniger relevant geworden. Mit »Festung Europa« seien schließlich nicht nur die Außengrenzen gemeint, sondern auch strukturelle Grenzen, die beispielsweise das Recht zu gehen und zu bleiben abhängig von Pass oder Hautfarbe verteilten.

Henrike Koch, Sprecherin des Flüchtlingsrates Brandenburg, beobachtet ebenfalls eine »große Ungleichbehandlung« von Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Menschen mit Fluchthintergrund. Da ist das Thema Wohnen: Viele Asylsuchende und Personen mit Duldung seien manchmal über Jahre gezwungen, in Lagern zu leben. »Geflüchtete, die aus der Ukraine ankommen, werden zwar zum Teil auch verteilt. Aber wer eine private Unterkunft findet, kann da hingehen«, so Koch zu »nd«. Brandenburgs Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) kündigte Anfang Mai Pauschalen von bis zu 7000 Euro an, um private Wohngelegenheiten zu finanzieren. 82 Prozent der ukrainischen Geflüchteten seien laut Ministerin privat untergebracht.

Dass selbstbestimmtes Wohnen nun bestimmten Neuankömmlingen ermöglicht wird, muss für politische Verbände wie den Flüchtlingsrat zynisch klingen. Seit Jahren macht die Nichtregierungsorganisation auf menschenunwürdige Lebensbedingungen in Sammelunterkünften aufmerksam. »Das sind gewaltvolle Orte, die auf Kontrolle und Entmündigung ausgelegt sind«, sagt Henrike Koch. »Es gibt Eingangs- und Zimmerkontrollen, keinen Schutz für Frauen und queere Menschen, Übergriffe durch Security-Personal und leider auch von außen.« In Brandenburg käme hinzu, dass die vier Erstaufnahmezentren in ehemaligen Kasernen lägen, meist schlecht angebunden und ab vom Schuss – eine Isolation, die räumlich wie gesellschaftlich wirke.

Auch die Frage, wer arbeiten darf, teilt Geflüchtete in zwei Klassen: Bundesweit sollen Ukrainer*innen ab Tag eins arbeiten dürfen, während Asylsuchende, die in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, sowie viele Menschen mit Duldung zum Teil über Jahre einem Beschäftigungsverbot unterliegen. Und schließlich sei auch das Geld ungleich verteilt, so Koch: Während Asylbewerber*innen Leistungen unterhalb des Existenzminimums erhielten, könnten aus der Ukraine geflohene Menschen voraussichtlich ab Juni reguläre Sozialgelder beziehen. Auch hierbei sieht Koch »eine ganz offensichtliche Diskriminierung«. Und fordert: »Das Asylbewerberleistungsgesetz muss endlich für alle abgeschafft werden.«

Kameni sieht den doppelten Standard, und es frustriert ihn. Natürlich fände er es wichtig, dass Deutschland solidarisch mit der Ukraine sei, doch: »Wir sind auch Menschen. Ich brauche einen Ort zum Schlafen, wo ich nicht konstant gestresst bin. Ich möchte Leute kennenlernen, mich integrieren, eine Ausbildung machen.« Das alles geht nicht, weil er mit dem Status einer Duldung weder seinen Wohnort frei wählen noch regulär mieten oder sich Arbeit suchen kann. »Ich bin hier angekommen mit Hoffung, aber ich stoße nur auf Schwierigkeiten.« Mittlerweile wohne er zwar in Berlin, die »No Border Assembly« helfe ihm dabei, eine Untermiete zu bezahlen. Offiziell sei er aber weiterhin in Halberstadt gemeldet.

Besuche von Demonstrationen und politische Aktionen geben ihm zumindest das Gefühl, nicht allein zu sein, erzählt Kameni. »Das gibt mir wieder Kraft und macht mich stolz.« Bei der Demo am Samstag in Frankfurt (Oder) möchte er laut sein, gemeinsam mit den anderen Geflüchteten, die aus Berlin und aus brandenburgischen, thüringischen und sächsischen Lagern anreisen wollen: »Unsere Stimmen sollen endlich gehört werden.« 

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