Der Westen braucht die PKK nicht mehr

Die Organisation wurde wegen ihres Kampfs gegen den IS gelobt. Nun geht für Deutschland das Bündnis mit der Türkei vor

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.
Menschen nehmen an der Demonstration unter dem Motto "PKK-Verbot aufheben - Krieg beenden, politische Lösung fördern" teil. Insgesamt 50 Gruppen und Organisationen hatten zu der Veranstaltung aufgerufen. Foto: Picture alliance/dpa/Paul Zinken
Menschen nehmen an der Demonstration unter dem Motto "PKK-Verbot aufheben - Krieg beenden, politische Lösung fördern" teil. Insgesamt 50 Gruppen und Organisationen hatten zu der Veranstaltung aufgerufen. Foto: Picture alliance/dpa/Paul Zinken

Noch vor wenigen Jahren schien ein Umdenken im Umgang mit der PKK in Deutschland möglich zu sein. Rolf Mützenich, heute Fraktionschef der SPD, damals Außenpolitiker, erklärte im September 2014, er sehe »durchaus die Chance zur Neueinordnung« der kurdischen Arbeiterpartei. Von Politikern der Grünen war damals zu hören, dass die strafrechtliche Verfolgung der Organisation in Deutschland ein Ende haben müsse. Selbst Politiker der CDU äußerten sich positiv über die PKK. Anlass hierfür war, dass die kurdische Organisation gemeinsam mit ihren Verbündeten die Terrormiliz Islamischer Staat im Irak und Nordsyrien bekämpfte und zahlreiche Jesiden vor einem Völkermord geschützt hatte.

Mittlerweile sind diese Sympathiebekundungen, mit Ausnahme der Linkspartei, in der Bundespolitik wieder verstummt. Der »Islamische Staat« ist in den genannten Ländern weitgehend besiegt worden und es scheint, als würden die Kurden aus westlicher Sicht nicht mehr benötigt. Ein von Anwälten ausgearbeiteter Antrag, der ein Ende des seit Beginn der 1990er Jahre bestehenden Betätigungsverbots der PKK forderte, wurde vom Bundesinnenministerium umgehend abgelehnt. Die zuständige SPD-Ministerin Nancy Faeser hat dabei die Rückendeckung ihrer Fraktion und von den Grünen. Der Fall dürfte nun auf juristischer Ebene weiter ausgefochten werden.

Letztlich ist die Entscheidung des Innenministeriums nicht überraschend. Denn der Repressionskurs gegen die PKK, die in mehreren Ländern als terroristische Organisation gilt, wurde zuletzt fortgesetzt, obwohl die Organisation sich für die Gewalt in Deutschland in den 1990er Jahren entschuldigt hat und es keine Anzeichen dafür gibt, dass sie eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt. Dies wird durch ein Gutachten des Freiburger Strafrechtsprofessors Roland Hefendehl bestätigt, das sich mit den Straftaten auseinandersetzt, die in den vergangenen Jahren der PKK zugeschrieben wurden.

Trotzdem müssen weiterhin zahlreiche Menschen, die bezichtigt werden, zum Umfeld der kurdischen Arbeiterpartei zu gehören, damit rechnen, dass sie Probleme mit der Justiz bekommen. So hat das Bundesverwaltungsgericht zu Beginn dieses Jahres das Verbot zweier kurdischer Firmen als Teilorganisationen der PKK bestätigt. Der Mezopotamien Verlag und die Musikfirma MIR seien personell, finanziell und organisatorisch mit der verbotenen Organisation verflochten gewesen, hieß es. Noch zu Zeiten von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) waren die beiden Einrichtungen verboten worden. Die PKK nutze die beiden Firmen zur Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der Organisation, indem diese PKK-Propagandamaterial verbreiteten und durch dessen Verkauf die PKK finanziell unterstützten, hatte das Innenministerium im Februar 2019 behauptet. Kritiker sahen in dem Schritt einen Fall von Zensur und Schlag gegen Kunst‑, Meinungs‑, Presse- und Publikationsfreiheit. Hinzu kommt, dass immer wieder Menschen in Deutschland vor Gericht stehen, denen vorgeworfen wird, Funktionäre der PKK zu sein. Dabei geht es allerdings oft nicht um Terrorismus, sondern die Kurden sollen illegal Spenden für die Arbeiterpartei akquiriert und Propagandaveranstaltungen organisiert haben.

Der Hauptgrund dafür, dass die PKK in Deutschland verboten bleibt, ist, dass sie von der türkischen Regierung des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan als Gefahr angesehen wird. Sie macht die PKK für zahlreiche Attentate mit vielen Toten in der Türkei verantwortlich. Allerdings liegt deren Urheberschaft oft im Dunkeln. Das Bundesinnenministerium kooperiert mit dem türkischen Innenministerium, unter anderem im Bereich der Terrorbekämpfung. In diesem Rahmen arbeiten auch die Geheimdienste der beiden Länder miteinander. Das geschieht natürlich in der Regel sehr diskret. Wenn die Bundesregierung darauf angesprochen wird, welche Daten an ausländische Behörden übermittelt werden, wird sie wortkarg. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Gökay Akbulut schrieb sie kürzlich, dass die Bundesregierung »nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Antwort in Gänze aus Gründen des Staatswohls nicht erfolgen kann«.

Der türkische Geheimdienst MIT ist in Deutschland offensichtlich sehr aktiv. Im April dieses Jahres wurde ein mutmaßlicher Agent hierzulande angeklagt. Er soll Informationen über Mitglieder und Unterstützer der PKK sowie des islamischen Predigers Fethullah Gülen gesammelt haben, um diese an türkische Geheimdienste weiterzuleiten, so der Generalbundesanwalt. Der Mann war im September 2021 in einem Düsseldorfer Hotel von Spezialeinsatzkräften der Polizei festgenommen worden. Er hatte eine Schreckschusspistole, 200 Schuss scharfe Munition und eine Namensliste bei sich. Kenner von Geheimdiensten gehen davon aus, dass sich bis zu 6000 türkische Spitzel und Agenten in der Bundesrepublik aufhalten.

Für die türkische Regierung ist die kurdische Organisation in Deutschland auch deswegen eine Bedrohung, weil sie unter anderem ausreisewillige Kämpfer gewinnen will. »Aufgrund anhaltender Konfliktlage ist die PKK bestrebt, insbesondere jugendliche Anhänger zu indoktrinieren und für den bewaffneten Kampf zu rekrutieren«, heißt es vonseiten des Bundesamtes für den Verfassungsschutz. Diese Bemühungen der PKK seien durch die »Militäroffensiven«, wie der deutsche Inlandsgeheimdienst die türkischen Angriffskriege betitelt, in den Jahren 2018 und 2019 in Nordsyrien beziehungsweise im Nordirak im Jahr 2020 weiter verstärkt worden.

Nun hat die Türkei seit Mitte April erneut Stellungen der PKK im Nordirak angegriffen. Auch die irakische Armee hat dort eingegriffen und will eine Miliz kurdisch-jesidischer Kämpfer, die der PKK nahesteht, »entwaffnen«, wie es euphemistisch heißt. Tausende Jesiden sind auf der Flucht und fühlen sich laut Berichten der Nachrichtenagentur AP an die Zeit erinnert, als die Terrormiliz »Islamischer Staat« über die Gegend herfiel. Anders als damals hält sich der Westen aber aus dem Konflikt raus. Nun geht die Gewalt nämlich von seinen Verbündeten, den Regierungen in der Türkei und im Irak, aus, denen man in der Region beim Kampf gegen die PKK weitgehend freie Hand lässt.

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