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Wenn die Bratwurstbude brennt

Deniz Yücel wollte und sollte den deutschen PEN erneuern – nun ist er als Präsident zurückgetreten

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

»Ich würde keinem Club angehören wollen, der mich als Mitglied aufnimmt«, lautet einer der bekanntesten Sätze von Groucho Marx; Woody Allen zitiert ihn als seinen Lieblingssatz in »Stadtneurotiker«. Meinte er den PEN? Poets, Essayists, Novelists? Oder Rentner, Karrieristen und Intriganten? Vorbei die Zeiten, da sich der unter Auftrittsverbot stehende Wolf Biermann in den frühen 70er Jahren an die Tür seiner von Stasispitzeln umlagerten Wohnung in der Ost-Berliner Chausseestraße seine PEN-Mitgliedskarte (West) nagelte: Hier beginnt die zensurfreie Zone!

Jetzt hat Kurzzeit-PEN-Präsident Deniz Yücel, der erst im vergangenen Herbst gewählt wurde, unmittelbar nachdem er bei der Jahrestagung in Gotha einen Abwahlantrag mit 75 zu 73 Stimmen überstanden hatte, mit den Worten hingeschmissen, er habe keine Lust mehr, »der Präsident dieser Bratwurstbude« zu sein. Er trat als Präsident zurück und aus dem Verein aus. Starke Worte zum Abgang. Aber ich kann ihn verstehen, denn ich teile zwar nicht alle Ansichten Yücels – besonders nicht die zu den von ihm unterstützten Waffenlieferungen in die Ukraine samt Flugverbotszone –, aber sehr wohl seine Einschätzung des PEN. Und Meinungsfreiheit gilt doch auch für den Präsidenten eines Autorenclubs?

Nein, ein Ort des intellektuell anregenden, auch streitbaren Gedankenaustauschs ist der PEN derzeit eher nicht, vielmehr einer der gegenseitigen Schuldzuweisungen, verwickelter Tagesordnungskämpfe, konspirativer Wichtigtuerei und schriller Selbstreklame. Da geht man lieber nicht hin, wenn man noch anderes zu tun hat. Schreiben zum Beispiel, denn viele Autoren, auch PEN-Mitglieder, leben immer knapp am Existenzminimum, was seltsamerweise nie ein ernsthaftes Thema dieser Literatenvereinigung zu sein scheint. Da fehlen die Nerven für ausufernde Antragsordnungsdebatten, wenn man nicht gerade Pensionär auf der Suche nach einem Ehrenamt ist. Selten nehmen mehr als 20 Prozent der etwa 700 Mitglieder an den Jahrestagungen teil, deren Programm meist vor selbstgefälliger Langeweile birst.

Das ist schlimmer geworden in letzten Jahren. Als ich vor zehn Jahren in den PEN aufgenommen wurde, gab es im Jahr darauf für die neuen Mitglieder jeweils kurze Lesungen zur Selbstvorstellung. Ich las aus meinen Trakl-Buch und fühlte mich am richtigen Platz, denn man hörte zu, und auch was die anderen neuen Mitglieder lasen, gefiel mir. Das ist gerade einmal ein Jahrzehnt her, und ich habe das ungute Gefühl, um Literatur, überhaupt um geistige Fragen geht es im PEN bestenfalls noch am Rande. Wie konnte das passieren?

Natürlich, die renommierte Schriftstellervereinigung ist ein Spiegel der Gesellschaft. Diese ist tief gespalten, warum also sollte es der PEN nicht sein? Nur ist man erstaunt, dass gerade jene, die die Sprache zum Beruf gemacht haben, offenkundig unfähig sind, diese Widersprüche auf anspruchsvolle Weise auszudrücken. Widersprüche haben in hysterischen Zeiten offensichtlich keinen Platz mehr in der Öffentlichkeit. Das Entweder-oder, das Für-mich-oder-gegen-mich beherrscht die Szenerie. Da gibt es dann keine Ideen mehr, nur noch Ideologie. Wer widerspricht, wird oft reflexartig zum Idioten oder gar zum Faschisten erklärt. Wie verwildert die Debattenkultur wirklich ist, zeigten die Mails einzelner Fraktionen des PEN, die in den letzten Monaten auf mich einströmten. Heftige Anklagen und postwendende Gegenanklagen.

Fakt ist, so viel Aufmerksamkeit hatte der PEN lange nicht wie im letzten halben Jahr. Lag es daran, dass Yücel ein begnadeter (oder gnadenloser?) Selbstdarsteller ist, wie ihm seine Gegner vorwerfen? Kaum, denn es ging vor allem um andere, wie um Julian Assange, dessen sofortige Freilassung der PEN unter Yücel in einer Schärfe forderte, wie es unter seinen Vorgängern kaum denkbar gewesen wäre. Bis dahin ging man scharfer Konfrontation lieber aus dem Weg. Hilfe für verfolgte Autoren in aller Welt, das Writers- in-Prison-Programm ist zweifellos wichtig – aber auch hierzulange drängen Fragen.

Immer wenn es spannend wurde, zog man im PEN bis eben den Vorhang vor. Unerwartetes sollte nicht passieren. Und wenn doch, wurde es zu einer PEN-internen Angelegenheit erklärt, wie im vergangenen Jahr die Umfrage unter Mitgliedern zur »gendergerechten« Sprache. Das Ergebnis überraschte – und befremdete offenbar – das Präsidium: Bei Männern und Frauen, in allen Altersklassen überwog die Ablehnung! Umgehend erklärte das Präsidium diese Umfrage für nicht repräsentativ (es hatten etwa so viele daran teilgenommen, wie im Schnitt an den Jahrestagungen, also etwa 150), man untersagte de facto die Veröffentlichung der Ergebnisse.

Eine Aussprache für Frankfurt am Main wurde angekündigt – aber dann, wie zu erwarten, wiederum verschoben. Denn es stand gerade die neue PEN-Satzung auf der Tagesordnung, wozu eine Reihe von Schriftstellerkollegen während des Lockdowns monatelang Zoom-Konferenzen abgehalten hatte. Mehrere Fassungen standen zur Abstimmung, aber die von mir favorisierte wurde gar nicht mehr vorgestellt, aus »Zeitgründen« am Ende eines Tagungsmarathons. Und plötzlich war eine andere angenommen. Dass einen so etwas an Intrigen und Manipulation denken lässt, ist kaum verwunderlich.

Darf ich das überhaupt so ausplaudern? Ich denke schon, denn der PEN ist kein geschlossener Zirkel, es gibt kein Verschwiegenheitsgelübde, sondern die Jahrestagungen stehen – außer bei Abstimmungen – jedem Interessierten offen. Aber wer interessiert sich von außen schon für derartiges Vereinsgezänk? Niemand, bis Yücel kam und die Kreise so mancher empfindlich störte.

Im letzten Jahr war plötzlich zu hören, dass das zuständige Finanzamt dem PEN den Gemeinnützigkeitsstatus entziehen könnte, wenn die Satzung nicht für mehr Transparenz sorge, vor allem den Zweck des PENs betreffend – sprich: Die Rechte der Mitglieder gegenüber dem Präsidium sollten gestärkt werden. Also machte ich die Probe aufs Exempel, hob in der Aussprache in Frankfurt a. M. kurzentschlossen den Finger, kam sogar dran und sagte, dass mir der Modus der Zuwahlen nicht zusage. Von den etwa 30 Vorgeschlagenen, die erst auf der Jahrestagung namentlich genannt würden, seien mir höchstens drei bekannt. Ich hätte gern zur Vorinformation eine Kurzbiografie der Kandidaten mitsamt der Liste ihrer Buchveröffentlichungen – und keine Wahl per Zuruf. Eigentlich doch eine Selbstverständlichkeit in einer exponierten Literatenvereinigung, sollte man meinen. Nein, das gehe aus Datenschutzgründen nicht, bekam ich bündig von der Versammlungsleitung zur Antwort.

Und so wird nach wie vor zugewählt: zwei Mitglieder – im letzten Herbst waren es fast immer die gleichen – schlagen mündlich ihre Favoriten vor und begründen das in dem Stil: Person XY habe sich stark für Diversität, Genderfragen und Identitätspolitik eingesetzt und darüber auch schon geschrieben. Aber geht es denn nicht um Literatur? Und nun soll man den Finger zustimmend heben?

Yücel war ein Feind solcher Art von Vereinsmeierei. Dass er nach knapper Bestätigung im Amt dieses dann umgehend hinwarf, zeigt den unabhängigen Geist, der türkische Gefängnisse überstand. Nun also wieder Josef Haslinger als Interimspräsident, ein ausgleichender Geist, den ich schätze, schon allein deswegen, weil er vor langer Zeit ein Buch über Novalis schrieb, dessen 250. Geburtstag am 2. Mai dieses Land kaum zur Kenntnis nahm.

Aber ist das nun neu? Nein, Krisen des PEN und Vorwürfe über seine »Bratwursthaftigkeit« gab es von Anfang an. Bereits 1970 eskalierte – im West-PEN – ein Streit, der unter der Überschrift stand: »Opas Verein und Babys Kommune«. Nun sind die Babys von einst die Opas (und Omas), das scheint der Lauf der Zeit. Aber irgendetwas dazwischen sollte doch für denkende Autoren möglich sein? Egal in welcher Richtung, Hauptsache, sie denken selbst und laufen nicht irgendwelchen Wort-Führern hinterher.

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