Ein Bewerbungsschreiben

Thüringer Staatskanzleichef Hoff legt einen alternativen Leitantrag an den Linke-Parteitag vor

Vielstimmige Verzweiflung dominiert derzeit die Stimmung in der Linkspartei. Nach der neuerlichen katastrophalen Niederlage bei einer Landtagswahl am Sonntag melden sich zahlreiche Genossinnen und Genossen mit Stellungnahmen, Danksagungen an die Wahlkämpfenden an Rhein und Ruhr – aber auch mit harscher Kritik an mutmaßlich für das Debakel Verantwortlichen zu Wort. Einer brachte sich schon vor dem Wochenende mit einem Beitrag in die Debatte zur Erforschung der Ursachen der Parteikrise und zu deren Bewältigung ein. Es ist Benjamin Hoff, Staatskanzleichef sowie Minister für Kultur, Bundes- und Europapolitik von Thüringen. Er veröffentlichte am Samstag auf seiner Webseite einen alternativen Leitantrag an den Bundesparteitag Ende Juni, der eine Richtschnur zum Aufbau oder auch Wiederaufbau der Linken sein soll.

Man kann das Papier auch als inoffizielles Bewerbungsschreiben für den Parteivorsitz deuten. Im Gespräch mit »nd« hatte Hoff bereits vor gut zwei Wochen angedeutet, dass er sich eine Kandidatur als Ko-Vorsitzender vorstellen kann. Auf die entsprechende Frage antwortete er, »jeder verantwortungsvolle Akteur« denke derzeit über diesen Schritt nach. Ob er ihn gehe, hänge davon ab, ob es »funktionsfähige Teams gibt, die sich zusammenfinden«, und ob es ihm die berufliche und private Situation möglich mache. Das zehnseitige Papier, das Hoff jetzt verfasst hat, soll nach seinem Willen den Leitantrag »Die Linke aufbauen!« ersetzen, den der Bundesvorstand am 24. April beschlossen hatte. Hoffs Vorlage trägt hingegen den Titel »Die Linke Perspektive 2025: Vertrauen wiedergewinnen – gemeinsam stärker werden – unsere politische Kultur erneuern«.

Würde der aus Ostberlin stammende Hoff, der dem Reformerlager der Partei angehört, kandidieren, hätte er vermutlich gute Chancen auf den Ko-Vorsitz – sofern es eine Frau aus den westdeutschen Bundesländern gibt, die als zweiter Part eines Spitzenduos mit ihm zusammen zur Verfügung steht – und darüber hinaus noch eher der Parteilinken angehört. Ob Janine Wissler, die nach dem Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow am 20. April verbliebene Bundesvorsitzende für das Amt noch einmal antritt und das mit Hoff zusammen, ist bislang offen. Angesichts der Angriffe gegen ihre Person im Zusammenhang mit der Affäre um sexuelle Belästigung in der hessischen Linken könnte es gut sein, dass sie sich das nicht weiter antun möchte.

Während der Parteivorstand in seinem Leitantrag unverblümt in die Beschreibung der komplizierten und eher deprimierenden strukturellen Lage der Linken einsteigt, ist Hoffs Alternativpapier vor allem anders aufgebaut. Es stellt die gesellschaftlichen Krisen in den Mittelpunkt, zu deren Lösung es Die Linke brauche. Im Einleitungsteil hebt er insbesondere die von der radikalen und populistischen Rechten ausgehenden Gefahren hervor, denen Die Linke entgegentreten müsse.

Die Linke, schreibt Hoff, wolle »gemeinsam mit vielen Menschen« die Welt verändern. Dafür müsse sie sich zunächst selbst verändern – nicht, indem sie ihre Grundsätze aufgebe, sondern indem sie ihre »derzeitigen Schwächen und Fehler ehrlich und klar« benenne, um sie zu überwinden. Welche Grundsätze er meint, lässt der Verfasser des Antrags indes offen. Er konstatiert, dass die gegensätzlichen Auffassungen in der Gesellschaft zu Themen wie Klimaschutz und Migration, Krieg und Frieden sich auch in der Linken wiederfinden – und dass aufgrund der Konflikte darum viele die Partei derzeit verlassen, mit »diametral entgegengesetzten Begründungen«. Und er benennt »Grundwerte« der Linken, die als Partei gegründet worden sei, die »für Freiheit und Gleichheit steht, konsequent für Frieden kämpft, demokratisch und sozial ist, ökologisch und feministisch, offen und plural, streitbar und tolerant«.

Die Pluralität scheint mithin das Problem zu sein, dessentwegen die Herstellung eines Grundkonsenses zu wichtigen Themen immer schwieriger wird. Dies zeigt sich nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen um die Positionierung zum Krieg in der Ukraine, insbesondere zu Waffenlieferungen und zu Öl- und Gas-Embargo. Die Embargos trägt die Partei zumindest im Bundestag mit, obwohl sie offenkundig nicht dazu angetan sind, den Krieg zu verkürzen und Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Sie dringt lediglich auf soziale Ausgleichsmaßnahmen und die Garantie der Erhaltung der ostdeutschen Raffinerie-Standorte.

In Hoffs Text findet sich das Bekenntnis zum Aufbau eines demokratischen Sozialismus; zugleich betont er die bekannte Tatsache, dass die »Voraussetzungen für Freiheit, Gleichheit und demokratische Kooperation« nicht ohne »die Errungenschaften der ›bürgerlichen Gesellschaft‹ zu denken« seien, die »auch emanzipatorische Potenziale in sich« trügen. Vor allem gelte es, SPD und Grüne im Bund nicht mehr als »Hauptfeind« auszumachen, fordert Hoff.

Es fällt auf, dass sich der Leitantrag des Vorstands vor allem um praktische Maßnahmen zur Stärkung von Landes- und Kreisverbänden sowie der Basis und zur Verbesserung der politischen Grundbildung dreht, während Hoff die aus seiner Sicht nötigen Grundpositionierungen nachzeichnet. Bleibt abzuwarten, wie die Papiere im Juni von den Delegierten aufgenommen und diskutiert werden.

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