Vermittler und Ermittler

Berlins neuer Polizeibeauftragter nimmt interne und externe Belange entgegen

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Blick auf Polizeigewalt stellt sich die Frage, wie der Polizeibeauftragte zugleich Anlaufstelle für Betroffene wie für Beamte sein kann.
Mit Blick auf Polizeigewalt stellt sich die Frage, wie der Polizeibeauftragte zugleich Anlaufstelle für Betroffene wie für Beamte sein kann.

Vermittlungsinstanz, Beschwerdestelle, unabhängiger Ermittler – der Polizeibeauftragte soll es allen Seiten recht machen. Nun steht fest, wer in Zukunft Ansprechperson für interne Probleme von Beamten wie für Vorwürfe Externer gegen Behörden sein soll. Die Berliner Regierungsparteien haben sich nach langem Hin und Her auf eine Personalie geeinigt: Der Verwaltungsrichter Alexander Oerke, spezialisiert auf Polizeirecht und bisher Vize-Vorsitzender des ersten Senats des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg, wird voraussichtlich am 9. Juni vom Abgeordnetenhaus in sein neues Amt gewählt.

Die Besetzung der Stelle stand im Koalitionsvertrag, nachdem der Berliner Senat in der vergangenen Legislaturperiode die Einführung des Bürger- und Polizeibeauftragten gesetzlich beschlossen, aber nicht wie geplant bis Ende 2021 umgesetzt hatte. Dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses unterstellt, soll der Posten möglichst unabhängig und mit besonderen Befugnissen wie Akteneinsicht oder Zugang zu Wachen eingegangenen Beschwerden nachgehen. Schon seit Jahren bemängelt unter anderem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Fehlen unabhängiger Ermittlungsinstanzen in Deutschland, wenn es um Polizeigewalt und Amtsmissbrauch geht.

Man hätte lange keine passende Person gefunden, berichtet Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken. Während seine Partei eine*n Bürgerrechtler*in bevorzugt hätte, sei aus anderen Fraktionen der Wunsch nach Behördennähe gekommen. »Es war sehr schwer, Menschen zu finden, die die nötigen Kompetenzen haben, aber auch eine Anerkennung von der Polizei, und die bereit waren, sich das für sieben Jahre anzutun«, so Schrader zu »nd«. Er sei deshalb einfach froh, dass es jetzt mit der Stelle losgehen kann. Auch der innenpolitische Sprecher der Grünen, Vasili Franco, äußert sich »nd« gegenüber zufrieden: Oerke sei als erfahrener Richter sehr gut für den Posten geeignet, verstehe sich selbst als neutraler Vermittler und würde bei Fällen von Diskriminierung entschieden dagegen vorgehen. »Er hat uns versichert, dass er dafür mit allen Akteuren in diesem Bereich gut ins Gespräch kommen möchte.«

Eine Beschwerdestelle, die Positionen von Betroffenen und mutmaßlichen Tätern zusammenbringt – genau davon hält Biplab Basu, Sprecher der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), nicht besonders viel. »Nehmen wir an, ich bin von der Polizei krankenhausreif geprügelt worden und soll dann zu einer Stelle gehen, die auch für die internen Bedürfnisse der Polizeibehörden zuständig ist. Ich glaube nicht, dass Menschen Vertrauen haben werden«, sagt Basu zu »nd«. Er fordert stattdessen eine komplett unabhängige Beschwerdestelle, die nicht an Behörden oder Parlament gekoppelt ist.

Auch Anna Luczak, Berliner Rechtsanwältin mit Fokus auf Polizeirecht, ist von der Stelle des Polizeibeauftragen nicht uneingeschränkt begeistert. Es sei eine Verbesserung zu vorher, aber um wirklich Probleme in den Strukturen anzugehen, bräuchte es eine Ermittlungsinstitution mit eigener Staatsanwaltschaftsabteilung, »anstatt einen Beauftragten danebenzustellen.« Für die zwanzig noch zu besetzenden Mitarbeiterstellen empfiehlt sie, auch nach Personen mit Einblicken in die Polizeipraxis zu suchen. »Was den Umgang mit Datenbanken betrifft oder Korpsgeist, ist es schwer, von außen hinter die Kulissen zu blicken«, teilt Luczak »nd« mit. Die Doppelfunktion als Adressat für interne wie externe Beschwerden könne in ihren Augen zu Konflikten führen: »Wenn sich der Beauftragte um Fragen wie Schichtverteilung kümmert, kann das Thema polizeiliches Fehlverhalten aus dem Blick geraten.«

Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei, betont »nd« gegenüber hingegen, wie wichtig die Ansprechbarkeit des Polizeibeauftragten für Beamt*innen sei. Die Behörde hätte am Anfang den Eindruck gehabt, es handele sich lediglich um eine weitere Kontrollinstanz. Dabei würden sich mehr Menschen über die Berliner Verkehrsbetriebe beschweren als über die Polizei. Im besten Falle aber erleichtere eine ansprechbare Stelle die Polizeiarbeit.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -