Gesünder für Mensch und Klima

Neue Studie zeigt, dass der Ernährungssektor mit einer Kombination von Maßnahmen bis 2100 klimaneutral sein könnte

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon lange sind sich Klimawissenschaftler*innen darüber einig, dass Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung eine zentrale Rolle für die globale Erderwärmung spielen. Entlang der gesamten Lieferketten, vom Acker bis auf den Teller, produzieren sie rund ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen. Die in der Klimaforschung genutzten sozioökonomischen Langzeitstudien gingen bislang meist von einem steten Wirtschaftswachstum aus. In einer in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsjournals »Nature Food« erschienenen Studie untersuchen Wissenschaftler*innen vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) nun erstmals, wie sich verschiedene Postwachstumsökonomie-Ansätze auf den Treibhausgas-Ausstoß des Lebensmittelsektors auswirken könnten.

Dabei zeigt sich, dass eine alleinige Schrumpfung dieses Wirtschaftssektors und des Nahrungsmittelkonsums dem Klima unter dem Strich nur wenig nützen würde. »Stattdessen müssen wir dieses System von Grund auf verändern«, sagt der Erstautor der Studie, Benjamin Bordisky. »Das bedeutet, dass die Menschen nur das konsumieren, was sie benötigen, um ihren Nährstoffbedarf zu decken, dass sie weniger Lebensmittel wegwerfen und sich ausgewogener ernähren, mit viel mehr Gemüse und weniger tierischen Produkten.« Eine Bepreisung der Treibhausgasemissionen könne zudem Anreize liefern für eine höhere Effizienz, etwa durch gezielteres Düngen und der Wahl ertragreicherer Pflanzen. »Zusammengenommen könnte das den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch senken«, sagt der Forscher. Bis Ende des Jahrhunderts könnten Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie klimaneutral und zugleich grüner und gesünder sein – und möglicherweise auch um einiges kleiner.

Einkommenstransfers der reichen Länder in den Globalen Süden erwiesen sich dagegen aus Sicht des Klimaschutzes als kontraproduktiv, da ab einer bestimmten Einkommensgrenze der Fleischkonsum erfahrungsgemäß deutlich steigt. »Internationale Transfers könnten dennoch wünschenswert sein aus Gründen der globalen und sozialen Gerechtigkeit«, räumt Mitautor David Chen ein. »Ein Wandel der Vorlieben kann durch mehr Erziehung zu Nachhaltigkeit bewirkt werden oder, indem strukturelle Faktoren geändert werden, etwa durch weniger Werbung, Förderungen oder Lobbyismus, für umweltschädliche Produkte.«

In einer pflanzenreicheren Kost sieht er zugleich eine Chance, um Lieferengpässe, wie aktuell durch den Ukraine-Krieg, zu vermindern, denn das meiste Getreide diene als Futtermittel. Diese Sicht teilt auch der Politökonom Lukas Fesenfeld, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und der Universität Bern zur politischen Machbarkeit einer Transformation in Klima- und Ernährungspolitik forscht. In der PIK-Studie sieht er »einen sehr wichtigen Beitrag dafür, abzuschätzen, wie potenzielle Zielkonflikte bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele im Ernährungssektor abgemildert werden können.« Die Studie unterstreiche einmal mehr die zentrale Rolle einer umfassenden Transformation des Ernährungssystems, um eine gesunde Ernährung, faire wirtschaftliche Entwicklung und die Klimaziele zu erreichen.

Gemeinsam mit 19 weiteren Wissenschaftler*innen vom PIK, dem Thünen-Institut und anderen deutschen Forschungseinrichtungen verfasste Fesenfeld bereits Ende März einen Offenen Brief zu der drohenden Lebensmittelkrise im Nahen Osten und Teilen Afrikas aufgrund des Ukraine-Krieges mit klaren Handlungsanweisungen. Mittels einer Reduktion des hiesigen Fleischkonsums, der Menge an Nahrungsmittelabfällen und der Produktion von Agrosprit ließe sich diese abwenden. Dabei nehmen sie Bezug auf einen weiteren Aufruf von über 660 internationalen Wissenschaftler*innen: Diese schätzen auf Basis von Daten der Welternährungsorganisation FAO, dass sich der Kollaps der ukrainischen Getreide- und Ölsaatenexporte ausgleichen ließe, indem die europäischen Futtermittel um ein Drittel gekürzt würden.

»Die Herausforderungen werden durch den Krieg kurzfristig deutlicher sichtbar, aber sie bestehen grundsätzlich, ganz unabhängig davon«, so Fesenfeld. »Man muss Landwirtschafts- und Ernährungspolitik strategisch zusammen denken. Die Landwirte können eine Transition nicht alleine schultern.« Wertvolle Instrumente könnten dabei Umbauprämien sein oder mittelfristig eine Abgabe für Stickstoffüberflüsse. Ärmere Menschen könnten über eine Art Klimadividende entlastet werden, der Konsum pflanzlicher und tierischer Lebensmittel über die Mehrwertsteuer gelenkt werden.

Der Postwachstumstheoretiker Niko Paech betont die zentrale Bedeutung sozialer Innovationen für eine Agrarwende, die zum Klimaschutz beiträgt und uns vor Krisen schützt. Die Konsument*innen sollten am Produktionsprozess beteiligt werden, etwa durch gemeinschaftsgetragene Wirtschaftsformen wie Urban Gardens oder Solidarische Landwirtschaft. »Etwa 50 Prozent der in Europa erzeugten Nahrungsmittel werden zu Abfall. Mehr Achtsamkeit lässt sich nur bei jenen erzielen, die ein direktes Verhältnis zur Erzeugung oder wenigstens zum Erzeuger von Nahrungsmitteln aufbauen«, so Paech.

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