- Kultur
- Rechtsradikalismus
Das Theater der AfD
»Volksvertreter«: Andreas Wilckes Dokfilm zeigt, wie die AfD tickt und arbeitet
Der Film hätte auch gerne 20 Minuten kürzer sein können, es gibt zu viele Details. Aber trotzdem: er ist sehr lehrreich. Wie tickt die AfD im Großen und Kleinen? Darüber wird ja sonst wenig gesprochen. Für seinen Dokumentarfilm »Volksvertreter« hat der Regisseur Andreas Wilcke drei Jahre lang vier Bundestagsabgeordnete der AfD begleitet. Er zeigt nur das, was sie sagen und tun, ohne jeden Off-Kommentar und auch ohne jedes Einzelgespräch. Ab 2017, als die Partei erstmals in den Bundestag kam. Es ist eine wichtige politische Studie über die Ideen, Methoden und Definitionen von Rechtsaußen geworden.
Trotz oder gerade wegen ihres erzreaktionären Programms ist die AfD eine sehr moderne Partei, die die Kameras liebt und in Slogans denkt. Der Unsinn muss offen ausgesprochen werden, sonst sind damit keine Effekte zu erzielen. »Ich hab mal gelernt, wenn man polarisiert, schafft man es zu mobilisieren«, sagt da ein Mitarbeiter en passant. Dafür gilt die goldene Regel: »Man darf die Worte nicht vom Gegner übernehmen, man muss eigene prägen.« Eine neue Sprache für eine alte Welt. Und wenn ein Anhänger auf einer Partei-Versammlung in Brandenburg ausruft: »Wir sind doch Nazis, weil wir doch das national-soziale für unsere Menschen wollen«, dann fliegt er aus dem Saal. Eine Frau murmelt: »Von einer Meinung kommt man zur anderen.«
Anders als das nichtssagende Kino-Porträt »Wagenknecht« von Sandra Kaudelka (2020) oder die langatmige NDR-Miniserie »Kevin Kühnert und die SPD« (2021) ist »Volksvertreter« eine genaue Beobachtung von professioneller Politik, die sich selbstverliebt auf der Gewinnerstraße sieht. Linkspartei und SPD interessieren die AfD eh nicht. »Die Linke ist eine Pipi-Partei« erklärt der Abgeordnete Armin-Paul Hampel seinem Mitarbeiter, »unser eigentlicher Feind ist die CDU, so lange die nicht bereit ist, mit uns zu kooperieren«. Die Grünen seien »der ideologische Gegner und die CDU der taktische Gegner«. Gegen Ende des Films sieht man Hampel auf der griechischen Insel Samos ein Flüchtlingslager besuchen – mit Kamerateam: »Schön schwenken auf die Müllkippe, hoch auf die Jungs, auf die Afrikaner, die da am Basteln sind«. Er sucht Flüchtlinge, die sagen, dass sie nach Deutschland wollen. Machen auch welche. Das wird dann auf allen Kanälen verbreitet. Der AfDler im Auslandseinsatz, an vorderster Front. Denn ihre Filme müssen laufen bis zum Sieg.
Ununterbrochen checken die AfDler ihre Smartphones und schauen sich an, was sie da fabriziert haben. Wilcke zeigt, wie sie Reden üben, gecoacht werden und an den Begriffen feilen. Ziel ist es, mit einer Rede 80 000 Menschen im Internet zu erreichen, egal, wie die zur Partei auch stehen mögen. Ein Berater meint, er hätte »eine Sehnsucht nach etwas Inhaltlichem«, während sein Kollege aus einer Tasse trinkt, auf der wie auf einem Verkehrsschild »PC« durchgestrichen ist. Der Abgeordnete Norbert Kleinwächter schult auch AfD-Kommunalpolitiker. »Politik ist Theater«, versichert er ihnen. Und rät, vor dem Reden tief durchatmen, denn dann habe man einen ganz anderen Klang. Danach erklärt er, wie man die Leute von den anderen Parteien sinnentstellt, torpediert, totquatscht oder mit Schmutz bewirft, denn »im Kreistag ist wirklich offenes Feuer, da kannst du machen,was du willst«.
Später sitzt Kleinwächter mit Sympathisanten in der Kneipe und schaut Fußball-WM, Deutschland gegen Schweden. Jerome Boateng bekommt Gelbrot und muss vom Platz. »Abschieben« ruft ein Zuschauer, »raus mit dem Nigger!« eine Zuschauerin. Als die AfD in den Bundestag frisch einzog, erklärte Alexander Gauland (der in diesem Film kaum vorkommt): »Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen. Der Kampf ist noch nicht vorbei.« Das war vollkommen ernst gemeint. Wilcke zeigt, wie ernst. In der Schlussszene singt Kleinwächter die Nationalhymne, als wäre sie ein ganz zerbrechliches Lied. Er sagt seinen Zuhörern: »Draußen gibt es noch Würstchen und Getränke und Bier und alles, was Sie sich wünschen.«
»Volksvertreter«, Deutschland 2022. Regie: Andreas Wilcke, 94 min. Premiere am heutigen Freitag in Berlin um 19.30 Uhr im Kino Babylon Mitte
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.