Endlich als Krankheit akzeptiert

Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit Adipositas könnten bald vielfältiger und leichter zugänglich werden

Adipositas steht für starkes Übergewicht, bei Erwachsenen wird ab einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30 davon gesprochen. Die übermäßige Vermehrung von Körperfett ist eine Krankheit, und langsam wird diese Erkenntnis akzeptiert. Adipositas ist zudem ein entscheidender Treiber für Diabetes Typ 2 und ein wichtiger Risikofaktor für diese Stoffwechselstörung. Auch deshalb wurde das Phänomen in der vergangenen Woche auf der Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft in Berlin ausführlich behandelt.

Denn obwohl Adipositas etwa 16 Millionen Erwachsene und 800 000 Kinder in Deutschland betrifft, gibt es für sie noch immer keine regelhafte medizinische Versorgung. Mögliche Therapien sind keine Regelleistungen der Krankenkassen, sondern müssen meist individuell beantragt werden. Das könnte sich demnächst ändern: Der Gemeinsame Bundesausschuss für das Gesundheitswesen erarbeitet nämlich ab diesem Sommer ein sogenanntes Disease-Management-Programm. Ein strukturiertes Behandlungsvorgehen rückt die Regelversorgung in greifbare Nähe, Ärzte hoffen auf eine patientenfreundliche Ausgestaltung.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Bislang finden Therapieansätze wie Verhaltenstherapie oder Ernährungsberatung unter anderem in wenigen Zentren oder in diabetologischen Schwerpunktpraxen statt. Hinzu kommt die Adipositas-Chirurgie. Die genannten Verfahren haben jedoch einige Nachteile: Ernährungsumstellung, Bewegungs- und Verhaltenstherapie ermöglichen im Schnitt eine Gewichtsreduktion von drei bis fünf Prozent vom Ausgangsgewicht – mit der Einschränkung, dass bei einem BMI ab 40 nur selten langfristige Erfolge möglich sind.

Chirurgische Interventionen wie eine Schlauchmagen- oder Magenbypass-Operation gelten mit einem Gewichtsverlust von etwa 30 Prozent als aktuell noch effektivste Therapie, wie Matthias Blüher von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft erläutert. Jedoch müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Krankenkassen hier die Kosten übernehmen: Für einen Magenbypass muss der BMI zum Beispiel über 40 liegen. Bezahlt wird der Eingriff aber auch bei einem BMI zwischen 35 und 40, wenn zusätzlich eine weitere Erkrankung besteht, wie etwa Diabetes Typ 2, Schlafapnoe oder eine Herzerkrankung.

Gerade im Umbruch befindet sich die medikamentöse Therapie. Einige ältere Medikamente wurden wegen zu starker Nebenwirkungen vom Markt genommen, sie hatten unter anderem das Risiko für Herzkrankheiten erhöht oder konkret zu Herzklappenveränderungen oder suizidalem Verhalten geführt. Neuere Medikamente könnten nun die Wirkungen der Verhaltenstherapien verstärken und die Patienten vor schwerwiegenden chirurgischen Eingriffen bewahren.

Bei den Innovationen, die bereits verfügbar oder noch in der Zulassung sind, handelt es sich um Medikamente aus der Diabetesbehandlung, die bestimmte Darmhormone nachahmen. Sie sind sicher in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko. In Studien wurden bei manchen Patienten Gewichtsverluste von etwa 20 Prozent erreicht. Nebenwirkungen haben auch diese Präparate, etwa Appetitlosigkeit, Erbrechen oder Übelkeit. Diese treten aber nicht bei allen Nutzern zwingend auf und lassen teils im Verlauf nach, wie Diabetologe Blüher erklärt.

Eines der »neuen« Medikamente aus der Diabetestherapie ist Semaglutid, das unter dem Namen Ozempic seit 2018 in Deutschland zugelassen ist. Jetzt könnte es unter dem Namen Wegovy ein zweites Mal auf den Markt kommen, und zwar als Ergänzung zu kalorienreduzierter Ernährung und erhöhter körperlicher Aktivität mit dem Ziel, das Körpergewicht zu kontrollieren. Einsetzbar wäre es nicht erst ab einem BMI von 30, sondern schon bei Übergewicht Erwachsener ab einem BMI von mehr als 27 – aber dann erst, wenn gleichzeitig noch eine gewichts-assoziierte Erkrankung vorliegt. Dazu zählen Prädiabetes oder Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte oder kardiovaskuläre Erkrankungen.

Bevor die Medikamente, darunter Semaglutid und Liraglutid, aber gegen Adipositas verschrieben werden können, müssen sie hierzulande noch die entsprechende Zulassung erlangen. Die Europäische Arzneimittelagentur hat Semaglutid, 2,4 Milligramm einmal wöchentlich, bereits zur Adipositastherapie zugelassen. In Deutschland ist der sogenannte Lifestyle-Paragraph aus dem Sozialgesetzbuch V noch ein Hindernis, der unter anderem verhindert, dass Medikamente zur »Abmagerung« von den gesetzlichen Kassen erstattet werden. In dieser Frage müsste der Gesetzgeber eine Änderung vornehmen.

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