• Politik
  • Kampf gegen Kinderpornografie

Härteres Durchgreifen im Netz

Die EU plant, entschlossener gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen. Dabei stehen sich Kinder- und Datenschutz teilweise gegenüber.

  • Joel Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2021 alarmieren die Politik. Demnach sind in Deutschland im vergangenen Jahr über 17 700 Kinder und Jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt geworden – durchschnittlich 49 Minderjährige pro Tag. Noch drastischer fällt die Zahl der durch die Polizei ermittelten Missbrauchsdarstellungen im Internet aus. Die Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Darstellung sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen stieg um 108,8 Prozent auf über 39 000. Die Dunkelziffer dürfte noch um ein vielfaches höher ausfallen. Dass das Thema keinesfalls an nationalen Grenzen halt macht, verdeutlichte die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs der Bundesregierung, Kerstin Claus. Bei der Vorstellung des Berichts zu Beginn der Woche sagte sie: »Europa ist zum Drehkreuz bei der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen geworden«. Mittlerweile befänden sich mehr als 60 Prozent des weltweit existierenden kinderpornografischen Materials auf europäischen Servern.

Um die Verfolgung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu intensivieren, hatte die EU-Kommission erst Mitte Mai einen neuen Gesetzentwurf vorgestellt. Dieser sieht eine Verpflichtung großer Plattformen wie Facebook oder Google vor, ihre Dienste künftig mittels Software nach entsprechendem Material zu durchsuchen, dieses automatisch zu melden und zu entfernen. Doch nicht nur das: Nach Vorstellungen der Kommission soll dies ebenfalls die private Kommunikation betreffen. Sämtliche Daten und Erkenntnisse sowie technische Hilfsleistungen für Anbieter sollen künftig in einem EU-Zentrum zur Prävention und Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder gebündelt werden.

Bei Datenschützer*innen löste der Vorstoß der Kommission heftige Kritik aus. Sie sehen insbesondere in der sogenannten Chatkontrolle eine zentrale Verletzung der Grundrechte. Darüber hinaus warnen sie vor einer möglichen Ausweitung der technischen Möglichkeiten weit über die Bekämpfung kinderpornografisches Materials hinaus. »Seien es weitere Kriminalitätsfelder, sei es Aktivismus, politische Opposition oder Whistleblowing: Gerade autoritäre Regime weltweit würden sich über die Vorlage der EU und die Etablierung entsprechender Technologien freuen«, sagt etwa Tom Jennissen vom Verein Digitale Gesellschaft.

Das Bundesinnenministerium teilt derweil mit, dass für Ministerin Nancy Faeser (SPD) der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch und die Verhinderung der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen im Internet höchste Priorität habe. Neben einer personellen Verstärkung der entsprechenden Bereiche im Bundeskriminalamt (BKA) gelte es auch, im Rahmen der EU gemeinsame Instrumente zu schaffen. Unmittelbar nach Präsentation des Gesetzentwurfes zählte die Innenministerin noch zu den Befürworter*innen der Chatkontrolle, bekam allerdings starken Gegenwind aus der eigenen Koalition. Mittlerweile plädiert sie zwar immer noch für ein hartes Vorgehen, verweist dabei aber gleichzeitig auf die Berücksichtigung rechtsstaatlicher Balance. »Jede private Nachricht anlasslos zu kontrollieren, halte ich nicht für vereinbar mit unseren Freiheitsrechten«, sagte Faeser auf Anfrage. Zur besseren Verfolgung von sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet plädierte die Ministerin im Deutschlandfunk stattdessen für das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren. Anders als bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung werden hierbei IP-Adressen nicht flächendeckend gespeichert, sondern für Ermittlungszwecke lediglich anlassbezogen gesichert.

Auf der Innenministerkonferenz (IMK) befassen sich derweil die Vertreter*innen von Bund und Ländern ebenfalls mit der Frage nach der Löschung kinderpornografischer Inhalte aus dem Netz. Betroffene kritisieren schon lange, dass teilweise noch Jahre nach der Festnahme, von Tätern zur Verfügung gestelltes Material weiterhin online auffindbar sei. Bislang hieß es, das BKA habe keine Rechtsgrundlage, um bei Ermittlungen auf eigene Initiative entsprechendes Material löschen zu lassen. Auf Anfrage des »nd« teilt das Innenministerium nun mit, dass die Löschung »unverzichtbarer Teil einer ganzheitlichen Bekämpfungsstrategie« sei und »Aspekte des Opferschutzes bei der Bearbeitung entsprechender Verfahren mehr Beachtung finden« müssen. Die »Möglichkeiten eines koordinierten und bundesweit abgestimmten Melde- und Löschprozesses« werde derzeit von der IMK geprüft.

Der Deutsche Kinderschutzbund indes begrüßt die Verpflichtung großer Plattformbetreiber zum Scannen hochgeladener Inhalte auf Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern und der Meldung an die zuständigen Behörden. Die Ausweitung auf die Chatkontrolle halte man jedoch angesichts der Tatsache, »dass private Messenger-Kommunikation in diesem Deliktsbereich kaum eine Rolle spielt und der jetzt schon angesichts der Menge des Datenmaterials überlasteten Ermittlungsbehörden für nicht zielführend.« Des Weiteren betont Sprecherin Juliane Wlodarczak, dass hinter jedem Video eine Tat stehe und Ziel sein müsse, eben diese zu verhindern. »Mit Schutzkonzepten überall, wo Kinder sich aufhalten, mit fortgebildeten Erzieherinnen und Erziehern und Lehrkräften und mit einer gesellschaftlichen Haltung, die Kinder ernst nimmt und ihnen glaubt, wenn sie von Übergriffen berichten.«

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