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Die Welt stillstehen lassen
Die Idee des Frauenstreiks ist richtig und gut. Die Umsetzung will vielleicht noch gelernt und weiter diskutiert werden
Streiken ist Männersache – nach dem Motto: »Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.« Das ist zumindest das traditionelle Bild der Arbeiterbewegung. Aber das ist freilich Unsinn beziehungsweise Ausdruck patriarchaler Geschichtsschreibung und Gewerkschaftskultur. Dass auch Frauen streiken können und es tun, zeigen aktuell zum Beispiel die Krankenschwestern, die Erzieherinnen, die Flugbegleiterinnen, die Putzkräfte, die Kassiererinnen und Verkäuferinnen. Sie fordern höhere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal, mehr Anerkennung. Es geht schlicht und fundamental um die Aufwertung von »Frauenarbeit« – die man(n) gerne als eine Art natürliche Ressource ausbeutet, welche nicht oder kaum bezahlt werden muss. Die neuen Aktivistinnen treten damit in die Fußstapfen vieler Vorläuferinnen, die freilich oft wenig bekannt sind. So entpuppt sich etwa der legendäre Weberaufstand 1844 in Schlesien bei näherem Hinsehen als eine Bewegung, die mehrheitlich von heimarbeitenden Weberinnen getragen wurde. Auch der Crimmitschauer Streik der Textilarbeiter (1903/04), einer der härtesten Arbeitskonflikte seiner Zeit, wurde zu 80 bis 90 Prozent von Textilarbeiterinnen durchgefochten. In der Pariser Kommune wie in der russischen Februarrevolution gab der Widerstand von Frauen das Fanal zum Aufstand. Und in den 1970er Jahren initiierten Migrantinnen, oft aus Südeuropa, zuweilen auch ohne oder sogar gegen die bundesdeutschen Facharbeitergewerkschaften so manchen Arbeitskampf, etwa 1973 in der Vergaserfabrik des Auto- und Luftfahrtgerätebauers Pierburg in Neuss. Es ging ihnen um »eine Mark mehr« pro Stunde und die Abschaffung der sexistischen und rassistischen Leichtlohngruppen. Auch die sogenannten »Heinze-Frauen« dürfen in dieser Aufzählung nicht fehlen. Sie erstritten ab Mai 1979 vor Gericht gleichen Lohn für gleiche Arbeit in den Heinze-Fotolaborbetrieben.
Dieser Artikel stammt aus OXI - Wirtschaft anders denken. OXI ist eine ökonomiekritische Monatszeitung, die exklusiv für nd-Abonnent*innen in »nd.DieWoche« beiliegt.
Klima, Krankenhäuser, Milchpreise: Ständig wird gegen oder für irgendwas gestreikt. Sogar in Deutschland und im Rest der Welt sowieso. Aber mit welchem Effekt? Geht es wirklich noch darum, dass starke Arme etwas zum Stillstand bringen? Und wenn ja, bewirkt es messbare Erfolge? Streik hat als Protest-und Kampfmittel auch historisch immer wieder unterschiedliche Formen angenommen. Was sich daraus lernen lässt, werden wir in der Juni-Ausgabe beleuchten. Die OXI-Ausgabe kommt am 10. Juni zu den Abonnent*innen und am 11. Juni liegt sie für alle, die ein »nd-DieWoche«-Abo haben, exklusiv bei.
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Als allererster Frauenstreik gilt jedoch der Aufruf von Lysistrata zur Heeresauflösung im Peleponnesischen Krieg (400 v. Chr). Nach der Überlieferung haben die Frauen damals mit Liebesentzug gedroht und damit einen seit 20 Jahren andauernden Krieg beendet – ein Vorbild, das angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine zu kreativen Gedanken anregt. Wichtig ist das Beispiel jedoch, weil es darauf verweist, dass gerade Frauen anderes und viel mehr bestreiken können als »nur« den bezahlten Verkauf ihrer Arbeitskraft. Denn Frauenarbeit ist wichtig und zentral, nicht nur in Betrieben, sondern auch in Familien, in Haushalten, in Sozialeinrichtungen, im Sexshop, im Kreißsaal und im Ehebett. Viel zu oft findet sie nicht nur unterbezahlt, sondern »ehrenamtlich« oder auch einfach unbezahlt, ungesehen und ungewürdigt statt. All diese Arbeiten zu bestreiken – und dadurch sichtbar zu machen – ist die Grundidee der Frauenstreikbewegung, die seit einigen Jahren international für Aufsehen sorgt. Frauen weigern sich einen Tag lang, all jene kleinen und großen Aufgaben zu übernehmen, die sie ansonsten selbstverständlich verrichten – und legen damit die Gesellschaft lahm, um auf ihre Interessen, ihre Anliegen, ihre Forderungen aufmerksam zu machen, um mit dem Entzug der Kooperation zu drohen, um ihre Stärke zu zeigen.
Berühmt geworden mit der äußerst erfolgreichen Umsetzung dieser Idee sind einst die Isländerinnen im »Jahr der Frau« 1975. Rund 90 Prozent der Frauen des kleinen Landes folgten damals dem Streikaufruf und legten einen Tag lang die Infrastruktur lahm. 1991 machten es die Schweizerinnen nach und bereits 1994 rief auch in Deutschland ein breites Bündnis zum ersten Mal zu einem solchen politischen »Frauenstreik« auf. Dann wurde es vorübergehend ruhiger um diese Idee – und auch um die Frauenbewegung. Aber seit einigen Jahren kommt neuer Schwung in die alten Debatten wie auch in die Frauenstreikbewegung. Parallel zur #metoo-Bewegung entwickelte sich in Südamerika unter dem Motto »Ni una menos« (Nicht eine weniger) eine massenhafte Streikbewegung gegen die tausendfachen Morde und Gewalt an Frauen. Motiviert und inspiriert von diesen Vorbildern waren am 8. März 2018 rund fünf Millionen Spanier:innen auf den Straßen. Auch der Frauenstreik am 14. 6. 2019 in der Schweiz war ein beeindruckender Erfolg. Die Idee setzte sich international durch, nicht nur, aber vor allem am traditionellen Frauenkampftag 8. März, gedacht als eine Art Generalstreik »quer durch alle Lebensbereiche«. Es geht dabei um traditionelle (und noch immer uneingelöste) Forderungen wie »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«, aber auch um die Aufwertung von Frauenarbeit – diesseits und jenseits der Erwerbssphäre –, um die Forderung nach Umverteilung der immer noch viel zu geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und um vieles mehr: Gegen Gewalt an Frauen. Gegen Femizide. Für das Selbststimmungsrecht über den eigenen Körper. Abschaffung des §218. Entkriminalisierung von Abtreibung. Gegen Sexismus und Patriarchat. Und manchmal auch gegen Kapitalismus, gegen Rassismus, gegen Homophobie und Heteronormativität, gegen die Binarität der Geschlechterordnung, für geschlechtliche Vielfalt.
Auch in Deutschland haben sich seit 2018 in vielen Städten Bündnisse gegründet, die rund um den 8. März für einen internationalen Frauenstreik mobilisieren. Durchaus mit Erfolg. Aber die Zusammenarbeit mit den gewerkschaftlichen Schwestern war die ersten Jahre recht problematisch. Hier zeigt sich dann doch die Vielfalt der Feminismen und auch der Androzentrismus der Gewerkschaften. Hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund 1994 die Aktivitäten zum Frauenstreik noch unterstützt, so blieb er der neuen Frauenstreikbewegung gegenüber skeptisch. Auch die recht unterschiedlichen Vorstellungen davon, was denn ein »Streik« nun genau ist oder sein könne, sorgten für einige Irritationen. Vor Kurzem, zum 8. März 2022, gelang allerdings erstmals eine gewisse Verschwisterung zwischen Bewegungsfeministinnen und gewerkschaftlicher Frauenarbeit. Mit dem Ziel, sich sozialen Bewegungen zu öffnen und diese als »Rückenwind« für die eigene Interessenpolitik zu nutzen, taktete Verdi die Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst so, dass der erste Streiktag pünktlich auf den 8. März fiel. Die bundesweite Frauenstreik-Koordination fand das gut und unterstützte die Tarifrunde bereits im Vorfeld mit zwei Aktionstagen. An öffentlichen Plätzen wurde Babykleidung zwischen Verdi-Slogans aufgehängt, Kreideparolen tauchten auf den Gehsteigen vor vielen Kitas auf, die Rathäuser bekamen weiblichen und kindlichen Besuch und die Beschäftigten in vielen Einrichtungen wurden mit Infomaterial versorgt.
Auf vielen 8.-März-Demonstrationen liefen dann Gewerkschafter:innen, Erzieher:innen und Bewegungsfeminist:innen – manchmal zum ersten Mal – Seite an Seite. Für Kita-Beschäftigte war es oft eine neue Idee, ihre schlechte Bezahlung und Personalausstattung (auch) unter feministischen Gesichtspunkten zu diskutieren, ihren Arbeitskampf auch als Geschlechterkampf zu sehen. Und so mancher Bewegungsfeministin, in ihrem Brotberuf nicht selten im Sozial- oder Erziehungsbereich tätig, war es neu, den Kampf gegen das Patriarchat im Rahmen einer gewerkschaftlichen Tarifrunde auszufechten. Die Frauenstreikaktivistinnen lernten so ein bisschen Gewerkschaft – und die Gewerkschaft lernte ein bisschen Feminismus.
Ein positiver Prozess, möchte mensch meinen, und daran gibt es auch gar keinen Zweifel. Aber es bleiben auch viele Fragen und Widersprüche. So gilt es etwa vielerorts zu (er-)klären, was es denn mit so seltsamen Akronymen wie »FLINTA« (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre Menschen, Transsexuelle und Agender Personen) oder »LGBTQ+« (lesbian, gay, bisexual, transgender, queer – und alle anderen Geschlechter) auf sich hat. Wenn die junge Generation der »Queer-Feminist:innen« auf die Dekonstruktion von Geschlecht pocht, dann sind die älteren Egalitätsfeministinnen oft skeptisch, ob die Aufsplitterung der rebellischen Identität in eine Vielzahl von Möglichkeiten nicht den solidarisierenden Bezug auf Frauenrechte, Frauenkämpfe und eben auch Frauenstreik verunmöglicht. Wer ist denn da noch das kollektive Subjekt, das kämpft – und gegen wen?
Auch das Bestreiken feminisierter Carearbeit hat so seine Tücken. Denn manchmal trifft die Verweigerung von Sorgearbeit nicht in erster Linie das Patriarchat oder die kommunalen Arbeitgeber:innen des Sozial- und Erziehungsdienstes, sondern die eigenen Kinder und Angehörigen, die Kranken und Hilfebedürftigen – oder eben die Eltern, vor allem die Mütter, die dringend auf die Betreuungsleistungen der Kindertagesstätten angewiesen sind. Ist es nicht ein Paradoxon, wenn die streikende Kita-Beschäftigte ihr Kind statt in die Kita zur Oma bringen muss (falls sie das Glück hat, dass es eine gibt), um selbst an einer Streikdelegiertenkonferenz teilnehmen zu können? Bestreikt sie da also nicht letztlich sich selbst? Trotzdem: Die Idee des Frauenstreiks ist richtig und gut. Die Umsetzung will vielleicht noch gelernt werden. Aber die IG Metall hat ihre Streikstrategien schließlich auch nicht von heute auf morgen erfunden. Jedenfalls entwickeln die streitbaren Dienstleistungsprekarierinnen vielerorts neue Formen des Arbeitskampfes. Sie sind kreativ, vielfältig, bunt, laut, basisdemokratisch; sie streiken an ungewöhnlichen Orten und in neuen Formen. Gerade weil diese Streiks nicht in profitablen Industriebereichen, sondern im unterfinanzierten Carebereich stattfinden, müssen unbequeme und grundlegende Fragen gestellt werden, die über den betrieblichen Rahmen hinausgehen: Warum bezahlen wir Menschen, die Autos bauen, mehr als denjenigen, denen wir unsere Kinder anvertrauen? Was stimmt da nicht mit der Verteilung der produzierten Werte? Wer bekommt da warum wie viel? In welchen Bereichen ist profitorientiertes Arbeiten (vielleicht) sinnvoll – und wo gehört das definitiv abgeschafft? Wohin muss die gesellschaftliche Wertschöpfung fließen, um gute Betreuung, Erziehung, Bildung, Gesundheit und Pflege für alle zu gewährleisten? Wer hat etwas davon, dass dies bislang nicht geschieht?
Beispielsweise die Krankenhausbeschäftigten machen es gerade vor, wie mensch Schritt für Schritt Wege findet und perfektioniert, um gezielt ökonomischen Druck auszuüben, ohne dabei Patient:innen zu gefährden. Was 2011 im größten Universitätsklinikum Europas, der Charité, begann, führte inzwischen zu einer bundesweiten Bewegung zur Entlastung der Beschäftigten und 2021 zu einem umfassenden Tarifwerk bei der Charité und Vivantes in Berlin für eine verbindliche Personalbemessung. Aber egal ob im Betrieb, auf der Straße oder in der Familie, egal ob während der Tarifrunde oder am 8.März: Wenn Frauen* streiken, und wenn sie das immer öfter tun, dann ist das nicht nur Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins, einer neuen Forderungshaltung, sondern auch Quelle des Erlebens von Selbstwirksamkeit. Nicht mehr das zu tun, was frau zuverlässig seit Jahrhunderten immer getan hat – im Haushalt, in der Familie, am Arbeitsplatz –, bedeutet einen Verstoß gegen etablierte geschlechtsspezifische Rollenmuster und Hierarchien. Es ist eine Verletzung der Disziplin, die Verweigerung der Kollaboration in einer noch immer männerdominierten Gesellschaft, es bricht Routinen auf und ist subversiv. Dies kollektiv zu tun birgt immer auch solidarisierende Erfahrungen der Vergemeinschaftung. Streiks als kollektive Momente der Gehorsamsverweigerung sind damit Augenblicke einer gelebten Utopie. Sie lassen erahnen, welche Veränderungen möglich sind. Auch wenn diese Momente vorüber sind und selbst wenn sie nicht erfolgreich waren – sie haben immer Folgen, für das Klima am Arbeitsplatz, für gesellschaftliche Diskurse, Klassen- und Geschlechterbilder, für die Selbstwahrnehmung und das Selbstbewusstsein der Beteiligten. Denn wer erlebt hat, dass frau kollektiv die Welt verändern kann, wird diese Vorstellung nicht mehr los. In diesem Sinne: Heraus zum Frauen*streik – nicht nur am 8. März!
Ingrid Artus ist Soziologin und Hochschullehrerin an der Universität Erlangen-Nürnberg. Als Herausgeberin und Autorin ist sie an zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema »Frauenstreik« beteiligt. Darunter: »Arbeitskonflikte sind Geschlechterkämpfe. Sozialwissenschaftliche und historische Perspektiven«. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2020. Außerdem zum Weiterlesen: Kiechle, Brigitte: »Frauen*streik. ›Die Welt steht still, wenn wir die Arbeit niederlegen‹: Feministische Aktionsform der Zukunft?«, Schmetterling Verlag, Stuttgart, 2019.
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