Ein Fluss trocknet aus

Der Colorado River bewässert im Westen der USA ein Gebiet, dreimal so groß wie Deutschland – noch

  • Johannes Streeck
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Norden des US Bundesstaates Colorado quillt in über 3500 Metern Höhe klares Wasser aus dem Boden. Es sammelt sich zunächst auf einer großen grünen Berglichtung und verengt sich dann zu einem schmalen Bach, der in südwestlicher Richtung fließt. So bescheiden beginnt der Fluss, von dem im Westen der USA rund 40 Millionen Menschen abhängig sind. Der Colorado River, der den gleichen Namen trägt wie der Bundesstaat, in dem er entspringt, bewässert ein Gebiet, das etwa dreimal so groß ist wie Deutschland – noch zumindest. 

Für den Fluss wurde im August 2021 die erste Stufe der Wasserknappheit ausgerufen, womit zum ersten Mal in der Geschichte von der zuständigen Behörde die Wasserlieferung an mehrere Gebiete eingestellt wurde. Betroffen war zunächst das ländliche Arizona, ein Wüstenstaat, dessen Grenze zu Kalifornien dem Unterlauf des Colorado folgt. Vor einigen Wochen wurde verkündet, dass in diesem Jahr auch in den Nachbarstaaten Nevada und Kalifornien die Versorgung gekürzt wird.

Dass im Colorado nur noch so wenig Wasser fließt, hängt vordergründig mit dem Schnee aus den Bergen zusammen. In den letzten Jahren fiel entweder zu wenig Schnee, oder ungewöhnlich hohe Temperaturen ließen ihn zu früh schmelzen. Doch ohne das Wasser, das in den Sommermonaten von den höchsten Gipfeln der Rocky Mountains abfließt, kann der Fluß sich nicht mehr richtig erholen. Dazu kommt eine historische Dürre, die die gesamte Region seit über zwei Jahrzehnten langsam austrocknet. 

Die Tatsache, dass der Colorado für so viele Menschen zur wichtigsten Wasserquelle werden konnte, ist fraglos der Ingenieurskunst und ein wenig vielleicht auch der Hybris geschuldet. Die indigenen Gemeinden, die über die Jahrtausende entlang des Flusses lebten, errichteten Wasserspeicher und großflächige Bewässerungssysteme, um der Unberechenbarkeit entgegenzuwirken. Eine frühe Militärexpedition der gerade unabhängigen US-Regierung befand, dass der Fluss nicht einmal genug Wasser führte, um den Warenverkehr mit kleinen Booten zu garantieren. Wüstengebiete wie das heutige Arizona wurden in den Worten eines Offiziers zur nutzlosen Einöde erklärt, die man höchstens »betrat, um sie wieder zu verlassen«.

Dass Großstädte wie Denver, Phoenix und Los Angeles heute trotzdem durch den schwächelnden Colorado versorgt werden können, liegt an den über 100 Dämmen und Stauseen, die entlang des Flusslaufs gebaut wurden. Das eindrucksvollste Beispiel dieser Entwicklung ist wahrscheinlich der Hoover-Damm unweit von Las Vegas. Oberhalb der gigantischen Talsperre in Nevada erstreckt sich Lake Mead, dem Volumen nach der größte künstliche Süßwassersee der USA. Lake Mead versorgt unter anderem die Großstadt Las Vegas, deren rapides Wachstum ohne den Colorado nicht denkbar gewesen wäre. Der Boom von »Sin City« begann mit den vielen Arbeitern, die in den 1930er Jahren kamen, um den Damm zu bauen. Das Glücksspielparadies in der Wüste war auch für die amerikanische Mafia attraktiv, ihre Beteiligung als stiller Teilhaber vieler Casinos und Hotels ein offenes Geheimnis. Das Vermächtnis des organisierten Verbrechens kommt durch den sinkenden Wasserspiegel im Lake Mead in Form von Leichen ermordeter Mafiosi wieder zum Vorschein. Der Stausee enthält mittlerweile nur noch 30 Prozent seines Fassungsvermögens. Die breiten Streifen entlang seiner Ufer zeigen, wie hoch das Wasser einst stand.

Wohin das Wasser heute in welchen Mengen fließt, wird weniger durch Hydrologie oder Bedarf bestimmt als durch die Politik. Im Jahr 1922 trafen Vertreter von sieben Bundesstaaten die erste Vereinbarung über die Verteilung des Flusswassers. So wurde der erste Baustein eines komplexen Systems von Verträgen geschaffen, das heute als »Law of the River« (»Gesetz des Flusses«) bekannt ist. Ungleiche Verteilung der knappen Ressource liegt diesem weiterhin zugrunde, denn Indigene wurden von den Verhandlungen gänzlich ausgeschlossen und werden zum Teil bis heute nicht ausreichend mit Wasser versorgt. Mexikos Rechte am Colorado wurden erst in den 1940er Jahren halbherzig anerkannt, auch wenn der Fluss wegen seiner hohen Beanspruchung kaum noch die internationale Grenze erreicht.

Großstädte wie Las Vegas und Los Angeles haben es trotz wachsender Bevölkerung geschafft, ihren Wasserverbrauch über die letzten Jahre stark zu drosseln. Viele Gemeinden ermutigen die Abwasserrückgewinnung und lassen ihre Rasenflächen durch Kakteen und andere heimische Pflanzen ersetzen. Phoenix in Arizona hat sich sogar durch innovatives Wassermanagement weitgehend aus der Abhängigkeit vom Colorado gelöst. Selbst im Angesicht erneuter Kürzungen sind die Städte des Westens zuversichtlich, dass sie sich weiter versorgen können.

Für die Landwirtschaft sieht die Zukunft allerdings weniger rosig aus. Immerhin verschlingt sie 80 Prozent des Wassers, das dem Colorado entnommen wird. Innovationen in der Bewässerung der Felder können Abhilfe schaffen, doch vor allem kleinere Farmen können sich die teuren Systeme nur selten leisten. Hinzu kommt, dass große wie kleine Agrarbetriebe auf besonders durstige Erzeugnisse setzen. Obwohl es über zwei Liter Wasser braucht, um eine einzige Mandel heranzuziehen, sieht man die grünen Blätter der Nussbäume überall im dürregeplagten Westen. Noch größer ist wohl der Verbrauch der Rancher, denn manchen Rechnungen zufolge verbraucht die Produktion von einem Kilo Rindfleisch über 15 000 Liter Wasser. So verschwenderisch wie die Landwirtschaft teilweise mit dem knappen Wasser umzugehen scheint, von ihr hängen bis heute Tausende von kleinen, größtenteils arme Gemeinden ab. Eine Lösung für das neue Leben auf dem Colorado wird zwangsläufig auch diese mit einbeziehen müssen. 

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