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»Jeder Baum ist ein kleines Kraftwerk«
Die Initiative "Leipzig gießt" sorgt sich um die Zukunf des städtischen Baumbestandes
Ist es aktuell schon zu trocken?
Quentin Kügler ist in Leipzig aufgewachsen und hat dort die Initiative "Leipzig gießt" mitgegründet. Der 23-Jährige studiert Deutsch und Gemeinschaftskunde auf Lehramt, nebenbei sitzt er für die Grünen im Stadtbezirksbeirat Südwest. Als angehender Lehrer liegt ihm am Herzen, dass junge Menschen lernen, sich einzubringen und für Dinge zu brennen.
Ja, die letzten Wochen waren wieder überdurchschnittlich trocken. Das erleben wir in diesem Jahr leider erneut.
Was sind die Folgen davon, hier in der Stadt?
Wir verlieren viele, viele Bäume an die Trockenheit. Fast 2000 Bäume waren es in den schlimmsten Jahren seit der Dürre 2018 in Leipzig. Die mussten wegen der Trockenheit gefällt werden. Und das ist ein enormes Problem für unser Klima in der Stadt. Letztes Jahr waren es dann zum Glück nur 1400 gefällte Bäume, aber auch das ist zu viel.
Und warum sind Bäume für eine Stadt so wichtig?
Bäume sind Multitalente. Sie reinigen die Luft, sie filtern die Luft, sie spenden Schatten. Aber sie bieten auch Lebensraum für Tiere. Und sie sorgen dafür, dass wir hier in der Stadt, die sich ohnehin schon sehr aufheizt, in den warmen Sommermonaten ein bisschen mehr Kühlung bekommen. Das sind unsere natürlichen Klimakraftwerke.
Bäume erfüllen in Städten also wirklich viele Funktionen. Was tun Sie, um die Bäume zu schützen?
Erst mal habe ich zur Gießkanne gegriffen, um die Hopfenbuche vor der Haustür zu gießen. Da ich im Erdgeschoss wohne, ist das einfach. Aber das hat mir nicht gereicht. Mit ein paar Leuten wollte ich im größeren Stil auf das Problem aufmerksam machen. Und dazu haben wir die App »Leipzig gießt« entwickelt.
Und was ist das für eine App?
Sie zeigt alle 57 000 Straßenbäume in Leipzig. Man kann eine Patenschaft abschließen und sich dann über den Sommer um den Baum kümmern: regelmäßig gießen, das Ganze in die App eintragen. Dort gibt es auch Infos dazu, wie der Baum heißt, wie viel Wasser er braucht und wie alt er ist.
Müssen alle Stadtbäume im Sommer gegossen werden?
Wir konzentrieren uns auf die jungen Bäume im Alter von vier bis 15 Jahren. Die sind besonders schutzbedürftig, weil sie noch wachsen und ihre Wurzeln noch nicht so tief reichen. Sie kommen noch nicht in die tieferen Bodenschichten. Die Bäume im Alter von einem bis drei Jahren werden von beauftragten Firmen der Stadt gegossen. Bei älteren Bäumen hätte das Wässern nicht denselben Effekt. Wenn man die gießt, dann ist das der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Das hat leider nicht die Wirkung, die man sich erhofft.
Wie viel Wasser braucht ein Baum pro Woche?
80 bis 100 Liter. Also acht bis zehn Gießkannen. Und man sollte am besten immer möglichst große Mengen auf einmal gießen, weil dann das Wasser stärker durchsickert und im Wurzelwerk ankommt. Von April bis Oktober ungefähr brauchen die Bäume zusätzliches Wasser.
Ein ganz schöner Aufwand! Macht es Ihnen auch Spaß, die Bäume zu gießen?
Ja. Tatsächlich macht gemeinsames Gießen am meisten Spaß. Aber auch das Gießen allein vor der Haustür ist immer wieder eine Freude, denn ich weiß ja, dass es nützt.
Wie viele Leute gießen denn derzeit in Leipzig Bäume?
Aktuell haben wir 480 Nutzerinnen und Nutzer. Da sind wir stolz drauf. Angesichts von 600 000 Menschen in der Stadt ist das noch ausbaufähig. Letztes Jahr wurden 18 000 Liter gegossen und in die App eingetragen. Das ist schon eine Hausnummer, finde ich. Und dieses Jahr bisher 10 000 Liter.
Warum sind Ihnen Bäume in der Stadt persönlich so wichtig?
Ich habe seit meiner Jugend einen Baum vom Programm »Baumstarke Stadt«. Meine Eltern haben mir den geschenkt. Es ist eine Linde, die im Palmengarten steht. Manchmal besuche ich die. Insbesondere seit 2018 sehen wir, dass unsere Bäume unter der Trockenheit leiden, und das hat mich umgetrieben.
Ist es sinnvoll, Bäume zu gießen? Oder müsste man nicht der Wahrheit ins Auge blicken und feststellen, dass die langfristig einfach verloren sind?
Das ist eine berechtigte Frage, die wir uns auch schon mal im Team gestellt haben. Aber ja, es lohnt sich. Jeder Baum, der erhalten wird, der ist am Ende als kleines Kraftwerk für unsere Stadt wertvoll. Gleichzeitig wissen wir: Es werden Bäume sterben, es werden Bäume gefällt. Die müssen dann durch klimaresistentere ersetzt werden.
Wir haben uns bei einer alten Wasserpumpe getroffen. Was hat es damit auf sich?
Das sind die historischen Handschwengelpumpen. Es gab früher 280 in Leipzig, heute funktionieren noch 15 davon. Wir brauchen sie als Wasserquellen, die sehr leicht zugänglich sind und die kostenlos Wasser liefern. Wir würden zum Bäumegießen gerne wieder mehr davon reaktivieren.
Spannend! Sie engagieren sich aber nicht nur für Bäume, richtig?
Ich engagiere mich auch noch für die Grünen im Stadtbezirksbeirat Südwest. Da sitze ich seit 2019. Im Jugendparlament war ich mal fünf Jahre, von 2015 an. Das heißt, ich mache auch Kommunalpolitik.
Viele junge Menschen würden vielleicht sagen, kommunalpolitisches Engagement ist total langweilig: lange Sitzungen, viel Papierkram. Wie sehen Sie das?
Kommunalpolitik ist überhaupt nicht langweilig. Kommunalpolitik ist das, was man sieht, wenn man die Haustür aufmacht. Das ist beispielsweise die Haltestelle, die barrierefrei umgestaltet werden soll. Das ist der Radweg, der neu angelegt wird. Das sind aber natürlich auch Fragen des Schwimmbades, Fragen der Schulsanierung und vieles mehr. All das, was uns eigentlich in unserem täglichen Leben beschäftigt – das sind nicht die ganz großen politischen Fragen. Dieser Spruch »Ich kann ja eh nichts verändern«, der ist eben falsch. Und wenn man das beweisen will, dann muss man in die Kommunalpolitik gehen.
Ihr Engagement für Bäume ist ja auch ein Engagement gegen die Klimakrise. Was kann Kommunalpolitik gegen die Klimakrise tun?
Wir haben zum Beispiel den Klimanotstand angestoßen, zusammen mit Fridays for Future. Das war auch einer der größten Erfolge des Jugendparlaments in meiner bisherigen Laufbahn. Dazu gibt es auch ein Sofortmaßnahmen-Programm, mit Dingen, die direkt umgesetzt werden, um das Klima hier besser zu schützen.
Sie engagieren sich jetzt schon eine ganze Weile in Leipzig. Hat sich die Stadt in der Zeit verändert?
Leipzig ist enorm gewachsen, und das hat auch negative Konsequenzen mit sich gebracht. Wir sehen das am Wohnraum im Westen. Der wird knapper und teurer. Das macht mir Sorgen. Aber das meiste ist nicht schlecht. Ich habe mir mal Fotos angeguckt, wie es hier im Westen vor Jahren noch aussah. Da war sehr viel sanierungsbedürftig und verfallen. Das ist jetzt anders. Aber es gibt auch Konflikte, etwa verkehrspolitisch.
Was heißt das?
Wir haben nur begrenzten Platz, und da ist die Frage: Wie teilt man den auf? Das ist immer wieder auch eine Gerechtigkeitsfrage.
Was würden Sie an der aktuellen Platzaufteilung gerne ändern?
Autos verbrauchen viel Platz. Dabei sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen Fußgänger und Fußgängerinnen. Und von denen her sollten wir Verkehr planen. Dann kommen Radfahrende und erst dann der motorisierte Individualverkehr.
Wie wichtig ist das Stadtgrün in der Platzverteilung?
Ich denke, man muss es ausbauen. Ja, das Ziel ist, 1000 Bäume jährlich zusätzlich zu pflanzen. Das schafft die Stadtverwaltung derzeit nicht. Da brauchen wir auch mehr Personal, das das am Ende umsetzt. Der Baum pflanzt sich leider nicht von allein.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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