- Politik
- Balkan
Warme Worte für die Aspiranten
Bundeskanzler Scholz will den Balkan enger an die EU binden, hat aber keine Angebote im Gepäck
Fünf Städte in zwei Tagen: Was wie ein Trip der urbanen Oberschicht in der Zeit vor Corona klingt, war das Programm der Balkantour von Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Sozialdemokrat hatte nicht nur einen straffen Zeitplan, auch mit ambitionierten Zielen setzte er sich am Freitag ins Flugzeug: Die Länder in Südosteuropa sollen enger an die Europäische Union gebunden werden. Station wurde deswegen in Pristina, Belgrad, Thessaloniki, Skopje und Sofia gemacht.
Die Anbindung des Balkans an die EU ist kein leichtes Unterfangen. Zum einen gibt es in der Region auch andere Staaten, die ihren Einfluss gelten machen. Neben Russland, China und der Türkei sind es hauptsächlich die USA, die sich immer wieder in die von Berlin als eigenen Hinterhof angesehenen Region einmischen. Zum anderen sieht es in der EU nicht danach aus, dass es bald zu einer erneuten Erweiterungsrunde kommen wird. Allen voran Frankreich und die Niederlande bremsen das von der Bundesrepublik vorangetriebene Vorhaben aus. Dadurch schwindet die Motivation bei den Beitrittsaspiranten, denen seit 2003 in unterschiedlicher Form immer wieder eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wurde.
Und dann ist da noch der Krieg in der Ukraine. Ein Balkanland steht deswegen unter besonderer Beobachtung: Serbien. Belgrad hat den russischen Angriff zwar verurteilt, sich indes bisher keinen Sanktionen angeschlossen. Das sorgt in Berlin für Missmut, sodass im März die grüne Außenministerin Annalena Baerbock nach Belgrad flog, um den deutschen Standpunkt vorzutragen: Wer Mitglied in der EU werden wolle, müsse sich auch an den Brüsseler Strafmaßnahmen beteiligen.
Das wird von Serbien bislang strikt abgelehnt. Einerseits ist wegen der eigenen Erfahrungen in den 90er-Jahren in der Bevölkerung das Bewusstsein darüber groß, dass Sanktionen nichts bringen oder zumindest die Falschen treffen. Andererseits gibt es zwischen beiden Ländern enge wirtschaftliche Verbindungen – allen voran im Energiesektor, wo dem russischen Konzern Gazprom das serbische Petroleumunternehmen NIS gehört. Unlängst wurde zudem bekannt, dass Belgrad in den nächsten drei Jahren günstiges Erdgas aus Russland beziehen wird. Entsprechende Verträge seien vereinbart worden. Außerdem besteht zwischen Belgrad und Moskau seit mehr als zwei Jahrzehnten ein außenpolitisches Bündnis, bei dem das Kosovo im Mittelpunkt steht.
Die serbische Provinz, die 2008 einseitig die Unabhängigkeit ausrief, war auch die erste Station des Bundeskanzlers. Dieser wurde vom kosovarischen Premierminister Albin Kurti herzlich empfangen, schließlich war es die erste Visite eines deutschen Regierungschefs seit 14 Jahren. In Pristina besuchte Scholz zudem deutsche Soldaten, die dort im Rahmen der Kosovo-Truppe (KFOR) stationiert sind. Die Bundeswehr ist seit 1999 – dem Jahr des NATO-Bombardements gegen das damalige Jugoslawien – in der Region. Dass sich daran auch nichts ändern soll, machten Kurti und Scholz deutlich. Doch es gab auch eine Kursänderung der deutschen Außenpolitik, die der Kanzler verkündete: Es sei nicht vorstellbar, dass zwei Länder, die einander nicht anerkennen, Mitglieder der EU würden, sagte der Sozialdemokrat.
Gerichtet war diese Aussage an die Adresse Belgrads, wo sie beim serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic für Ablehnung sorgte. Denn für Serbien ist das Kosovo weiterhin Teil des eigenen Staatsgebiets. »So sehr Sie die territoriale Integrität der Ukraine lieben, so sehr lieben die Serben die territoriale Integrität ihres Landes«, ließ Vucic seinen Gast wissen. Weil auch fünf EU-Mitglieder die Eigenstaatlichkeit Pristinas nicht anerkennen, kann vermutet werden, dass der deutsche Vorstoß in Brüssel nicht abgesprochen war.
Verärgert über derartige absoluten Forderungen wies Vucic darauf hin, dass man solche nur von Washington kenne. Die EU-Position sei immer gewesen, die Beziehungen zu normalisieren. Die jüngsten Äußerungen können nur als Drohung verstanden werden, unterstrich der serbische Staatschef. Das gilt ebenso für die nun auch von Scholz vorgebrachte Forderung, Serbien möge sich endlich an den Sanktionen gegen Russland beteiligen. Doch auch dazu wird es wegen der fehlenden Gegenleistungen aus Brüssel und Berlin nicht kommen.
Scharfe Kritik an dem Auftreten des Kanzlers in Belgrad übt gegenüber »nd« die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. »Es ist verheerend, dass Bundeskanzler Scholz mit seiner ultimativen Drohung an Serbien, endlich mit in den Wirtschaftskrieg gegen Russland einzutreten, die Hinterhofpolitik der EU auf dem Balkan fortführt, egal mit welchen Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste«, so die Obfrau der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss und Sprecherin für Internationale Politik.
Und während Scholz in Belgrad drohte, blieb ihm beim Konflikt zwischen Bulgarien und Nordmazedonien nichts anders übrig, als an die »Verantwortung« der Europäer für die Stabilität auf dem westlichen Balkan zu erinnern. Seit 2020 blockiert Sofia die EU-Beitrittsverhandlungen des Nachbarlandes, weil es die Rechte der Bulgaren in Nordmazedonien verletzt sieht. Dahinter steckt eine Kampagne extrem nationalistischer Gruppen, die sich die Regierung zu eigen gemacht hat und die auch von Scholz mitgetragen wird, wenn er erklärt, derartige Probleme ließen sich nur in Kooperation lösen.
So hatte Scholz lediglich warme Worte auf seiner Balkantour im Gepäck. Während der deutsche Kanzler versuchte, eine vermeintliche Einigkeit gegen Russland zu simulieren, zeigten sich die Risse und Verwerfungen. Die EU steht gegenüber den Ländern Südosteuropas mit leeren Händen da. Immer wieder wurde mit einer Mitgliedschaft gelockt, ohne dass sich die Versprechungen erfüllt haben. Daran wird auch eine von Scholz für den Herbst angekündigte Konferenz für die sechs Balkanländer in Berlin nichts ändern.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.