Macron und Linke streiten um den Sieg

Regierungslager hat in Frankreich nach erster Runde nur hauchdünnen Vorsprung vor Nupes

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Das linke Wahlbündnis um Jean-Luc Mélenchons Bewegung La France insoumise (LFI) hat beim ersten Wahlgang der Parlamentswahl in Frankreich einen Achtungserfolg erreicht: Am Sonntagabend lag das Bündnis mit dem Namen Neue ökologische und soziale Volksunion (Nupes) nur knapp hinter der Regierungsparteienkoalition Ensemble! (Zusammen!) um die von Präsident Emmanuel Macron gegründete Bewegung La République en marche (LREM). Zu Nupes gehören auch die Parteien der Grünen, der Sozialisten und der Kommunisten.

Dem in der Nacht zum Montag veröffentlichten offiziellen Ergebnis zufolge entfielen auf das Regierungslager 25,75 Prozent und auf das linke Bündnis Nupes 25,66 Prozent der abgegebenen Stimmen. 2017 hatten die vier Parteien getrennt angetreten zusammen 25,48 Prozent erhalten. Das Wahlergebnis sei »eine Ohrfeige für die Regierung«, die von der Linken »geschlagen und auseinandergenommen« wurde, sagte Jean-Luc Mélenchon am Wahlabend in einer Anprache. »Angesichts dieses Ergebnisses und der außerordentlichen Chance, die sich daraus für uns persönlich und für die Zukunft der Landes ergibt, rufe ich unser Volk auf, am nächsten Sonntag massiv abzustimmen und Macrons verhängnisvolle Pläne definitiv zu durchkreuzen.«

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Als »erschreckend« wertet es der Politologe Bruno Cautrès, dass 52,49 Prozent der wahlberechtigten Franzosen der Urne ferngeblieben sind, mehr als je zuvor in der 1958 gegründeten Fünften Republik. Besonders besorgniserregend sei, dass 70 Prozent der bis zu 30-Jährigen nicht gewählt haben. »Das zeugt davon, dass die Generationen, die das künftige Frankreich bestimmen werden, immer weniger Vertrauen in die demokratischen Prozesse und Institutionen haben, und dass damit die Gefahr außerparlamentarischer – und nicht zuletzt gewalttätiger – Konfrontationen wächst«, schätzt Cautrès ein.

In den insgesamt 577 Wahlkreisen, die der Zahl der Sitze in der Nationalversammlung entsprechen, konnten sich nur fünf Kandidaten bereits im ersten Wahlgang mit mehr als 50 Prozent der Stimmen ihren Sitz sichern. Für den zweiten Wahlgang haben sich 417 Kandidaten des Regierungslagers qualifiziert, 380 der Nupes, 208 des rechtsradikalen Rassemblement National von Marine Le Pen und 91 von den Republikanern. So gibt es am kommenden Sonntag in 272 Wahlkreisen eine Stichwahl zwischen einem Kandidaten des Regierungslagers und einem der Nupes, in 59 Kreisen stehen sich Kandidaten der Nupes und des Rassemblement National gegenüber.

Viel wird beim zweiten Wahlgang davon abhängen, ob diesmal mehr Wähler mobilisiert werden können und wie die Übertragung der Stimmen der bereits ausgeschiedenen Kandidaten erfolgt. Premierministerin Elisabeth Borne hat am Wahlabend in einer scharfmacherischen Rede zur »Abwehr der rechten wie linken Extremisten« aufgerufen und damit viel Empörung ausgelöst. Um den Schaden zu begrenzen, erklärte Stunden später Regierungssprecherin Olivia Grégoire, dass »alle Kräfte unterstützt werden müssen, die sich zu den demokratischen Werten der Republik bekennen« und »keine Stimme an die Rechtsextreme« gehen dürfe.

Für das Rassemblement National wurden im ersten Wahlgang 19 Prozent der Stimmen abgegeben und damit kann die rechtsextreme Bewegung in der künftigen Nationalversammlung mit einer Fraktion von 20 bis 45 Sitzen rechnen, während sie in der Legislaturperiode 2012-2017 nur zwei und 2017-2022 acht Sitze hatte.

Das Regierungslager kann theoretisch zwischen 255 und 295 Sitze erringen, doch ob es gelingt, dabei die absolute Mehrheit im Parlament zu halten, die mindestens 289 Sitze erfordert, beurteilen die meisten Beobachter skeptisch. Möglicherweise wird die Regierung künftig von Fall zu Fall die Unterstützung der rechten Partei der Republikaner benötigen. Die kann es noch auf 50 bis 80 Sitze bringen, verliert aber ihre Rolle als führende Oppositionskraft an die Nupes. Dieses linke Parteienbündnis kann in der künftigen Nationalversammlung mit insgesamt 150 bis 190 Sitzen rechnen, wobei auf La France insoumise 96 bis 115 Sitze entfallen dürften, auf die Grünen 20 bis 30, auf die Sozialisten 24 bis 29 und auf die Kommunisten zehn bis 16.

Dass die Sitzverteilung in der Nationalversammlung nicht exakt dem Verhältnis der für die einzelnen Parteien abgegebenen Wählerstimmen entspricht, liegt am französischen Mehrheitswahlrecht, bei dem letztlich nur die Stimmen des im jeweiligen Wahlkreis erfolgreichen Kandidaten zählen und alle anderen Stimmen praktisch unter den Tisch fallen. Doch die Wahlkreise sind nicht gleich. In der Provinz, wo die Bevölkerungsdichte niedriger ist als in den Großstädten, ist auch die Zahl der im Wahlkreis eingetragenen Wähler geringer. Das hat zur Konsequenz, dass in den ländlichen Wahlkreisen, wo sich die Bewohner in der Mehrheit selbst als rechts oder konservativ einordnen, ein Kandidat deutlich weniger Stimmen braucht, um gewählt zu werden, als in den Ballungszentren, wo sich die meisten Franzosen selbst als links oder progressiv bezeichnen.

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