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Platschquatsch, noch immer
Kannste glauben: Das untote Püppchen Pittiplatsch aus der Sendung »Unser Sandmännchen« wird 60
Ach, du meine Nase! Der kleine Angeber Pittiplatsch aus dem Märchenland des Fernsehens der DDR ist seit 60 Jahren auf dem Bildschirm? Wie die Rolling Stones? Wie Frank Schöbel? Warum feiert Pitti nicht mit ihnen zusammen? Mit den einen teilt er immerhin das Verkrächzte der Stimmen, mit dem anderen den Namenszusatz »der Liebe«. Den hat sich Pitti in großartiger Überschätzung kurzerhand selbst verliehen, während der ältliche Schlagerbarde seit Jahrzehnten von nichts anderem singt und bequem ebenfalls als Frank, der Liebe, durchgehen könnte.
Leider ist niemand auf diese Idee gekommen. Stattdessen werden wir von den üblichen Kampagnen überrollt: »Superillu«-Sonderheft, überlebensgroße Pittiplatsch-Figuren auf der Landesgartenschau in Beelitz, ein Fest zu seinen Ehren im Berliner Tierpark, eine neue Pitti-Puppe, neue Streamingfolgen, ein neuer Sprecher, Pitti-Konfekt … Und alle, alle lieben dieses untote Püppchen, von Inka Bause über Andrea Kiewel bis zum Bürger Lars Dietrich.
Wenn das der Abwickler des DDR-Fernsehens, der CSU-Mann Rudolf Mühlfenzl, noch hätte miterleben dürfen! Wäre es nach ihm gegangen, könnten Filme mit dem Sandmännchen, Herrn Fuchs und Frau Elster sowie Pitti und Schnatterinchen heute lediglich aus dem Archiv gekramt werden. Alles sollte weg. Alt und ideologisch. War nicht Sandmännchen mit den Pionieren marschiert und mit sowjetischen Freunden ins All geflogen? Na, bitte. Aber der neue bayerische Fernsehwirt hatte die Rechnung ohne die Stammzuschauer des Kinderprogramms gemacht, die im gesamten Osten aktiv wurden, aber auch in Westberlin. Sie protestierten und demonstrierten. Bald knickte Mühlfenzl ein, ließ sich mit der Sandmannpuppe auf seinem Schreibtisch fotografieren und half dem späteren RBB all diese Ostpuppen über. Sollten die doch sehen, platschquatsch.
Heute dürften sie froh sein über das Erbe. Zigtausende Sendeminuten konnten einfach so übernommen werden. Auf dem Kompost der alten Ideen wuchsen neue Geschichten. Zu den 1000 Auftritten, die Pittiplatsch seit dem 17. Juni 1962 bis zur Wende im DDR-Fernsehen hatte, kamen danach vermutlich mindestens noch einmal ebenso viele. Aus der Reserve und seit einigen Jahren aus neu produzierten Sendungen. Neue Serien entstanden, Puppen und Technik verbesserten sich, Denkverbote fielen. Hatte es in der DDR noch heftige Diskussionen gegeben, wenn Pitti statt der karierten Pantoffeln knallgelbe bekommen sollte oder der Sandmann Knopfäuglein: Jetzt war alles möglich.
Der kleine Kobold Pittiplatsch tauchte Ende 1961 zum ersten Mal in einer traditionellen Kindersendung des DDR-Fensehens auf, in der immer sonnabends ein schräges Schneiderlein mit dem Namen Meister Nadelöhr agierte. Aus einem vorweihnachtlichen Päckchen, welches eigentlich Lebkuchen enthalten sollte, war damals ein kugelbäuchiges Wesen gekrabbelt, das alles aufgefuttert hatte und dann auch noch frech wurde.
Ausgedacht hatten es sich die Redakteurin Inge Tisch, das Autorenpaar Inge und Günther Feustel sowie die Gestalterin und Bildhauerin Emma-Maria Lange. Die Stimmlage erfand der Puppenspieler Heinz Schröder, der auch den legendären Herrn Fuchs sprach und spielte. Vermutlich waren die Figuren des Ensembles bis dahin ein wenig zu brav, das naive Entchen und der biedere Brummbär brauchten Widerspruch und die Geschichten mehr Drive, wie man heute vielleicht sagen würde.
Der respektlose Kobold Pittiplatsch, der damit angab, über 100 Cousinen und Cousins zu haben und ebenso viele Sprachen zu sprechen, hat dann noch einige Monate gebraucht, um im Abendgrußteam des Sandmännchens Fuß zu fassen. Zu groß war offenbar die Angst aller Beteiligten, es könnte so kurz vor dem Schlafengehen allzu aufregend und unkonventionell werden. Doch nein, was Pitti, Schnatterinchen und später der Hund Moppi dort trieben, gefiel Klein und Groß vor dem Fernsehapparat und war offenbar konkurrenzlos.
Egal, ob der vorlaute Kugelbauch die eifrige Ente beschwindelte, mit der Holzbadewanne in den Urlaub ziehen wollte oder den faulen Moppi veralberte, seine Beliebtheitswerte schossen in die Höhe und »Ach, du meine Nase« oder »Kannste glauben« wurden zu geflügelten Worten in der DDR. Bald tauchte Pitti jeden Sonnabend im Abendgruß des Sandmännchens auf. Wenn nicht, liefen am nächsten Tag die Telefone heiß und die Postkörbe über.
Alle Manuskripte kamen ausnahmslos von der Blankenfelder Schriftstellerin Ingeborg Feustel, die bekannt und mitunter auch gefürchtet war für ihre überbordende Fantasie, der Schweinchen, Wasserkobolde, sprechende Mäuse, Kaninchen und eben auch Pittiplatsch entsprangen. Man wusste nie genau, wer hier eigentlich wen erfunden hatte.
Feustel starb 1998, ihr Mann 2011. Auch Heinz Schröder kann man nicht mehr fragen, ob er lieber Herrn Fuchs oder lieber Pittiplatsch spielte. Gehen wir davon aus, dass ihm beides Spaß machte. Eines dürfte indes sicher sein: Pittiplatsch, der Liebe, entstand zusammen mit zahlreichen weiteren Identifikationsfiguren in einer kreativen Aufbruchstimmung zu Beginn der DDR-Fernsehgeschichte, in der sich begabte Künstler zusammenfanden, um ein unterhaltsames und zugleich intelligentes Programm für Kinder zu gestalten. Und das ist ihnen wirklich perfekt und offenkundig ziemlich nachhaltig gelungen, kannste glauben.
Silvia Ottow war von 1983 bis 1991 Dramaturgin und Autorin in der Redaktion des Kinderfernsehens. Sie betreute 76 Filme mit dem Sandmännchen und schrieb zahlreiche Sendungen. Danach arbeitete sie als Redakteurin beim »nd«.
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