Brutalität gegen Flüchtlinge immer normaler

In der Europäschen Union kommen Reformen der Asylpolitik kaum voran, aber die Kontrolle der Außengrenze wird lückenloser

  • Marion Bergermann, Brüssel
  • Lesedauer: 5 Min.

»Recht auf Schutz« ist das für den heutigen Weltflüchtlingstag vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen gewählte Motto. Der Titel illustriert, dass es verstärkt nicht nur um die Ablehnung oder Anerkennung eines Flüchtlingsstatus geht, sondern um den allgemeinen Umgang mit flüchtenden Menschen, ob sie auf der Flucht menschenwürdig behandelt werden oder verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt sind.

Unzählige Menschen, die versuchen, sich in die Europäische Union zu flüchten, erfahren gerade Zweiteres. Sie werden an den Außengrenzen der EU in Polen, Kroatien oder Griechenland gewaltsam zurückgedrängt. Von denen, die es schaffen, werden einige in Polen oder Griechenland in gefängnisartige Lager gesperrt. Weiterhin ertrinken Tausende Schutzsuchende auf der Überfahrt im Mittelmeer. Und die Hierarchisierung von Geflüchteten sorgt dafür, dass es weiße Menschen aus der Ukraine es bei der Einreise – immerhin – einfacher haben.

Die Situation für Geflüchtete, die in die EU kommen wollen, verschlimmert sich seit rund einem Jahrzehnt eher, als dass sie sich verbessert. Weder für Tote auf dem Mittelmeer noch für gewaltsame Rückweisungen werden Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen. Geflüchtete sollen abgewimmelt werden. Dabei betrug laut Europäischer Kommission der Anteil Geflüchteter an den rund 447 Millionen Einwohner*innen der EU vergangenes Jahr lediglich 0,6 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Doch die 27 Mitgliedstaaten der EU können sich nicht auf eine Reform ihrer Asyl- und Migrationsgesetze einigen: Der sogenannte Migrationspakt, den die Europäische Kommission 2020 den Mitgliedsländern vorgeschlagen hatte, kommt kaum voran. Viele Länder, die nicht an den Außengrenzen liegen, haben kein Interesse daran, vom Dublin-Verfahren abzuweichen und eventuell mehr Menschen aufnehmen zu müssen. Das Dublin-Verfahren besagt, dass jemand in dem EU-Land, in dem er*sie als Erstes ankam, einen Asylantrag stellen muss.

Am 10. Juni kam etwas Bewegung in das Thema. Die Innenminister der EU-Länder einigten sich in Luxemburg darauf, dass Mitgliedstaaten anhand eines »Solidaritätsmechanismus« freiwillig einige Tausend Flüchtlinge aufnehmen. Die Idee: Die Länder, die selbst keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, können die aufnehmenden Länder finanziell unterstützen oder etwa für Abschiebungen und Grenzkontrollen Personal bereitstellen. Länder wie Italien und Griechenland sollen dadurch entlastet werden.

Bislang haben sich nach der Schätzung von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) in Luxemburg zwölf Länder dazu bereit erklärt, mitzumachen. Auch Deutschland ist dabei. Um wie viele Menschen es genau geht, ist noch offen, zuletzt war die Zahl von 10 000 Flüchtlingen im Gespräch. Ein Bruchteil derer also, die seit Monaten oder Jahren in den südeuropäischen Ländern inklusive der griechischen Inseln ausharren.

»Wenn der Krieg in der Ukraine eines gezeigt hat, dann dass bei der Aufnahme von Geflüchteten in Europa ganz viel möglich ist«, sagte die Linken-Abgeordnete im Europaparlament, Cornelia Ernst, gegenüber »nd«. Es dürfe »keine Schutzsuchenden erster und zweiter Klasse geben«, forderte sie. Auch der Grünen-Europaparlamentarier Erik Marquardt bemängelte gegenüber »nd«, dass die EU mit dieser Einigung weder die Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen angehe, noch Europa »einen nennenswerten Beitrag zur Unterstützung von Geflüchteten« leiste. »Stattdessen setzen sich die Mitgliedstaaten für weitere Asylrechtsverschärfungen ein, die den unwürdigen Zustand an den Außengrenzen zur Normalität werden lassen sollen«, sagte Marquardt.

Denn die Mitgliedstaaten sind nicht nur über die freiwillige Aufnahme übereingekommen, für die noch eine formelle Zustimmung aussteht. Sie einigten sich gleichzeitig darauf, Kontrollen an den Außengrenzen der EU zu verstärken. Zur Bekämpfung der »Instrumentalisierung von Migranten«, wie es in der grundsätzlichen Einigung zwischen den Mitgliedstaaten heißt, sollen Grenzübergänge reduziert und Kontrollen verstärkt werden dürfen. Konkret heißt das, dass etwa Menschen, die über Belarus die EU erreichen wollen, der Grenzübertritt noch schwerer gemacht werden soll.

Hinzu kommt, dass Flüchtende bereits an den Außengrenzen stärker kontrolliert werden sollen durch das Durchlaufen eines »Screenings«, wie es in den Dokumenten der EU heißt. Demnach soll das zur Sicherheit der EU geschehen und um Migrant*innen besser von Menschen mit Anrecht auf internationalen Schutz unterscheiden zu können.

Dies zeigt ein weiteres ungelöstes Problem der europäischen Asylpolitik: Es gibt nach wie vor keine nachhaltigen Lösungen in Gesetzen zur Arbeitsmigration. Eine Reform von Regelungen zur Arbeitsmigration ist zwar Teil des Migrationspakts, aber auch dort geht es nicht nennenswert voran.

Arbeitsmigrant*innen haben somit nach wie vor kaum Einreisemöglichkeiten. Für hoch Qualifizierte existiert die sogenannte Blue Card. Deren Voraussetzungen sind jedoch so hoch, dass sich in der Vergangenheit zu wenige gemessen an der Nachfrage auf den Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten auf diese Aufenthaltserlaubnis bewarben. Die EU senkte zwar vergangenes Jahr die Anforderungen. Aber man muss neben einem Hochschulabschluss bereits einen Job in einem Mitgliedstaat an Land vorweisen können, in dem man sehr gut verdienen wird.

Für viele andere bleibt weiterhin kaum eine andere Möglichkeit, als es über einen Antrag auf Asyl zu versuchen. Das wiederum spiegelt sich in öffentlichen Debatten und Medien wider; die Bezeichnungen »Flüchtling« und »Migrant« sind mittlerweile verschwommen. Sie werden als Synonym für alle Menschen verwendet, die in die EU kommen. Und deren Schutzbedürftigkeit damit infrage gestellt.

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