- Politik
- Reformpläne für Frankreich
Viele Hoffnungen enttäuscht
Dass Macrons rechts und links negiert, wirkt mittlerweile gegen den Präsidenten. Viele Franzosen vermissen in der Fünften Republik ihren Platz
Als 1958 Frankreichs Galionsfigur Charles de Gaulle aus dem Vorruhestand geholt wurde, um die Republik zu retten, die durch erbitterte Kontroversen der Parteien und durch Staatsstreichpläne von Militärs gefährdet war, hatte er eine klare Vision. Als Ursache für die vielen aufeinanderfolgenden politischen Krisen und die Unregierbarkeit des Landes machte er das zersplitterte Parteiensystem und die dadurch nur zu oft lahmgelegte Nationalversammlung aus. Die Verfassung der Fünften Republik, die er auf sich zuschneiden ließ, sollte ein Präsidialsystem werden, in dem sich im Parlament nur einige wenige Parteien die Sitze teilen und die Anhänger des Präsidenten über eine solide regierungsfähige Mehrheit verfügen sollten.
Dem diente das parallel zur Verfassung ausgearbeitete Mehrheitswahlrecht auf Ebene der Wahlkreise, das die Entstehung klarer Mehrheiten begünstigt. Nach einem ersten Wahlgang, bei dem beliebig viele Kandidaten antreten können, ist der zweite eine Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten, bei der der Sieger den Abgeordnetensitz bekommt und alle anderen Kandidaten und deren Parteien leer ausgehen.
Dieses System hat zuverlässig funktioniert, solange sich zwei politische Lager gegenüberstanden. Perfektioniert wurde es durch die von Präsident Jacques Chirac durchgesetzte Verfassungsreform, die ab 2002 die Amtszeit des Präsidenten von sieben auf fünf Jahre verkürzte. Seitdem ist sie zeitgleich mit der Legislaturperiode der Nationalversammlung, der ersten und entscheidenden Kammer des Parlaments. Präsidentschafts- und Parlamentswahl folgen im Abstand von etwa vier bis sechs Wochen aufeinander.
Das kam der traditionellen Neigung der Franzosen entgegen, dem neu gewählten Präsidenten zu einer soliden Parlamentsmehrheit zu verhelfen, mit der er seine politischen Pläne umsetzen kann. Seither hat es keine »Cohabitation« mehr gegeben, also eine durch die Wähler erzwungene Zusammenarbeit eines Präsidenten und eines Premierministers aus unterschiedlichen politischen Lagern. Andererseits ist bis 2022 auch keinem Präsidenten nach der ersten Amtszeit eine Wiederwahl gelungen.
Die für viele ausländische Beobachter und auch für nicht wenige Franzosen überraschende Wahl des politischen Newcomers Emmanuel Macron 2017 hat alles verändert. Hinter ihm stand keine der traditionellen Parteien, sondern nur die von ihm selbst gegründete Bewegung En marche (heute: La République en marche, LREM), für die Macron Fachleute aus den verschiedensten Bereichen und Politiker aus rechten wie linken Parteien holte. Mit ihm mussten sie lediglich die Absicht gemein haben, Frankreich von Grund auf umzukrempeln, zu reformieren und zukunftsfähig zu machen. Eine gemeinsame ideologische Grundhaltung war nicht nötig. Bei Macron selbst war im Übrigen keine klar umrissene politische Linie erkennbar.
Mit dieser bunt gemischten Mannschaft hat Macron fünf Jahre lang regiert und dank seiner überwältigenden Mehrheit in der Nationalversammlung einige seiner Reformpläne durchgesetzt. Andere sind auf der Straße an den Gelben Westen und den Gewerkschaften gescheitert, oder im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, an der dortigen rechtsbürgerlichen Oppositionsmehrheit.
Die von Macron verfolgte Politik hat vor allem bei den links eingestellten Franzosen viele in ihn gesetzte Hoffnungen enttäuscht. Die Politikverdrossenheit und die damit einhergehende Ablehnung, das Wahlrecht auszuüben, sind so hoch wie nie. Damit steigen die Chancen linker Kräfte, die eine Sechste Republik fordern – mit mehr Einfluss des Parlaments, mit einem Verhältniswahlrecht, das gerechter die politischen Kräfteverhältnisse wiedergibt, sowie mit Volksabstimmungen und anderen Elementen direkter Demokratie.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.