Drohender Kollaps

Gewerkschaften warnen vor akuter Not: Fachkräfte in Kitas und Schulen heillos überlastet

Die Erziehungsgewerkschaft GEW schlägt Alarm. Im Bildungssystem bahnt sich ein dramatischer Engpass an Fachkräften an. Seit Jahren schon ist es mit Mitteln unterversorgt. Nun drohe aber »alles aus dem Ruder zu laufen«, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern am Dienstag. »In den kommenden fünf bis sechs Jahren fehlen uns 200 000 Beschäftigte in der frühkindlichen Erziehung und 250 000 in den Schulen.« Wenn der Teufelskreis von Überlastung und Mangel nicht durchbrochen werde, drohe ein noch größeres Defizit an Lehrkräften, erklärte Finnern vor Beginn des GEW-Gewerkschaftstages in Leipzig.

In vielen Schulen herrscht ohnehin noch wegen der Corona-Pandemie eine angespannte Atmosphäre, weil Kinder und Jugendliche Lernrückstände haben, die nicht leicht aufzuholen sind. Zwar hat der Bund den Ländern zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um Schüler zu unterstützen, doch nach einem Zwischenbericht der Länder im Mai machte sich Enttäuschung breit. Die vielfach breit gestreuten Maßnahmen konnten die Erwartungen nur bedingt erfüllen. Der Schulalltag ist noch immer von den Folgen der Pandemie belastet.

In den Grundschulen könnte sich mit dem Anspruch auf einen Ganztagsplatz die Personalnot in den kommenden Jahren noch zuspitzen. Ab August 2026 wird die flächendeckende Nachmittagsbetreuung für die ersten Klassen eingeführt. Schrittweise soll das Angebot bis 2029 ausgeweitet werden, sodass alle Grundschulkinder von der ersten bis zur vierten Klasse auch nachmittags betreut werden können. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, begrüßte das Vorhaben zwar, äußerte aber Zweifel, dass » notwendige Zusatzkräfte nicht gefunden werden könnten«.

Eine weitere Herausforderung für das Bildungssystem ist derzeit die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine. Die GEW erwartet in den kommenden Jahren bis zu 400 000 Kinder und Jugendliche aus den Kriegsgebieten, die in Kitas und Schulen betreut und unterrichtet werden müssen. »Das verstärkt den Fachkräftemangel nochmals, weil dafür Zehntausende speziell ausgebildete Lehrkräfte benötigt werden«, erläuterte Finnern.

Auch in den Kindergärten hinterlässt die Personalnot seit Jahren Lücken in der Betreuung. In einigen Kitas ist teilweise nur noch eine Notbetreuung möglich. Bei einer Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) im vergangenen Jahr gaben rund 80 Prozent der befragten Leitungskräfte an, dass die Personalschlüssel in ihrer Kita nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen genügen. Wie schlecht die Stimmung ist, zeigt eine andere Befragung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zusammen mit der Hochschule Fulda aus dem vorigen Jahr. Fast 40 Prozent der Beschäftigten in Krippen, Kindergärten und Horten wollten demnach die Stelle wechseln, ein Viertel überlegte sogar, aus dem Beruf auszusteigen.

Maike Finnern spricht längst von einem Teufelskreis aus Überlastung und Mangel, der vielerorts zu beobachten sei. Wenn der nicht durchbrochen werde, drohe ein noch größeres Defizit an Fachkräften. Angespannt ist die Lage an den Schulen, das offenbarte unlängst auch das Deutsche Schulbarometer. Vier von fünf Lehrern gaben in dieser Umfrage vom April an, derzeit stark belastet zu sein (84 Prozent). Mehr als jeder Zweite leide an körperlicher und fast ebenso viele unter mentaler Erschöpfung.

Eine Lösung liegt für viele nahe: Die Arbeitszeit reduzieren. Mehr als jede zehnte Lehrkraft liebäugelt damit, was aber auch hieße, dass sich der Personalmangel in den Schulen noch verstärken würde. Die GEW fordert angesichts einer vielerorts zugespitzten Situation in den Einrichtungen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. »Da kommen wir nur raus, wenn die Politik bereit ist, insgesamt mehr Ressourcen ins System zu stecken«, erklärte Finnern.

Die Gewerkschaft Verdi erinnerte die Bundesregierung am Dienstag noch einmal daran, die Mittel für das sogenannte Gute-Kita-Gesetz zu verlängern. Viele sinnvolle Maßnahmen seien damit auf den Weg gebracht worden, erklärte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle, »beispielsweise die Erhöhung der Personalschlüssel, die Aufstockung der Leitungsstunden oder der Ausbau der praxisintegrierten Ausbildung. Das wieder zurückzunehmen, wäre grob fahrlässig.«

Bislang laufen die Mittel zum Jahresende aus, die drei Koalitionsparteien wollen das Gesetz evaluieren und fortsetzen. Bis zum Ende der Legislaturperiode soll gemeinsam mit den Ländern ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit einheitlichen Standards auf den Weg gebracht werden. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Verbände und Gewerkschaften dringen schon seit Jahren darauf.

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