• Politik
  • Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein

Kröten schlucken für das Klima

Schleswig-Holstein soll bis 2040 klimaneutral werden

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Pronstorf im Osten Schleswig-Holsteins ist zwar nur eine kleine Gemeinde mit rund 1700 Einwohner*innen. Expert*innen für Energiewende dürfte die Ortschaft im Landkreis Segeberg dennoch in Erinnerung sein, wenngleich nicht positiv. Ende 2021 sorgte Pronstorf bundesweit für Schlagzeilen, weil die Bevölkerung den geplanten Bau eines der größten Solarparks in Norddeutschland bei einem Bürgerentscheid mit nur einer Stimme Mehrheit verhinderte. Das Projekt wurde danach zwar nicht beerdigt, doch nicht nur die Suche nach alternativen Standorten gestaltet sich seitdem schwierig. Pronstorf wurde zu einem Beispiel, was passiert, wenn Zweifel an der Energiewende im Lokalen nicht ausgeräumt werden können.

Es ist nicht bekannt, ob CDU und Grüne an die kleine Gemeinde dachten, als sie in Kiel in den letzten Wochen über die Inhalte des Koalitionsvertrages verhandelten. Dass die Energiewende das große Thema für Schwarz-Grün in den nächsten Jahren werden würde, daran bestand bereits im Wahlkampf kein Zweifel. Nun haben sich die Koalitionäre verständigt und am Mittwoch verkündet: Schleswig-Holstein soll bis 2040 klimaneutral werden. »Unseren Standortvorteil als Energiewendeland Nummer eins werden wir ausbauen, noch mehr klimafreundliche Unternehmen ansiedeln und so neuen Wohlstand schaffen«, verspricht Ministerpräsident Daniel Günther (CDU).

Tatsächlich verfolgt Schwarz-Grün ambitionierte Pläne: Ab 2025 soll für neue Gebäude eine Solardachpflicht gelten, die Koalition will ein Sondervermögen »Klimaneutrale Kommune« einrichten, auch wenn derzeit noch unklar ist, wie viel Geld es dafür gibt. Gleiches gilt für ein Klimaschutzprogramm, womit private Hauseigentümer*innen finanziell gefördert werden sollen, um die »Abhängigkeit von fossilen Energien schneller zu reduzieren«. Alle Ministerien sollen zudem verpflichtet werden, ihre Vorhaben künftig auf Klimafreundlichkeit zu prüfen. Eine Schlüsselposition soll im stürmischen Norden wenig überraschend die Windkraft bekommen. Von den bis 2030 geplanten 40 bis 45 Terrawattstunden Strom aus erneubaren Quellen soll der Hauptanteil aus der Windkraft kommen. Dafür wird es nötig sein, neue Nutzungsflächen an Land auszuweisen. Langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden.

Was das konkret heißt, steht an anderer Stelle im Koalitionsvertrag und dürfte noch für einigen Ärger sorgen. Unter dem Stichwort »Generalklausel« will Schwarz-Grün eine Regelung einführen, wonach die Landesregierung auf Antrag einer obersten Landesbehörde Bürgerbegehren untersagen kann, die Investitionsvorhaben »von landes- und bundesweiter Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Gütern und Dienstleistungen« betreffen und das Erreichen der Klimaziele gefährden. Kurz gesagt: Ist bei einem neuen Wind- oder Solarpark mit viel Widerstand vor Ort zu rechnen, könnte die Landesregierung eine Abstimmung der Bevölkerung vor Ort über das Projekt verbieten.

»Die neue Generalklausel wäre ein eklatanter Rückschritt für die Demokratie in Schleswig-Holstein«, warnt Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin vom Verein Mehr Demokratie. Sie befürchtet: »Offenbar beabsichtigt die neue Landesregierung die Bürger aus der Politik herauszuhalten und nur noch Abstimmungen über Themen zulassen, die den Plänen der Landesregierung nicht im Weg stehen.«

Voll des Lobes für Schwarz-Grün ist Aminata Touré, neue einflussreiche Politikerin bei den Grünen. Künftig übernimmt die 29-Jährige das Sozialministerium, das auch für Familien, Gleichstellung und Integration zuständig sein wird: »Ich werde aus voller Überzeugung diesen Koalitionsvertrag unserer Partei am Montag vorstellen können, weil es keinen Bereich gibt, wo ich denke, dass es irgendwie schwierrig geworden ist oder dass man Kröten geschluckt hat.« Ganz so wie Touré es beschreibt, ist es allerdings nicht: Die Grünen stimmen zu, dass die Erdölförderung in Schleswig-Holstein erst 2038 endet, die Bohrinsel Mittelplate in der Nordsee sogar befristet höhere Mengen ausbeuten darf. Auch gibt die Partei ihren Widerstand gegen den geplanten Ausbau der Autobahn 20 auf. Sämtliche Projekte stehen sowieso unter dem Vorbehalt der Finanzierung, Schwarz-Grün bekennt sich nämlich zur Einhaltung der Schuldenbremse, worüber die Grünen-Politikerin Monika Heinold erneut als Finanzministerin wachen soll. In den nächsten Tagen stimmen Parteitage bei CDU und Grünen über den Koaltionsvertrag ab, Mitte nächster Woche stellt sich Günther im Kieler Landtag zur Wiederwahl als Ministerpräsident.

»Das Soziale hat in der neuen Landesregierung keine Priorität«, warnt die SPD-Landesvorsitzende und Abgeordnete Serpil Midyatli. So hatten die Grünen im Wahlkampf eine Mietpreisbremse und ein Tariftreuegesetz versprochen, beide Maßnahmen hatte es in Schleswig-Holstein einst gegeben, sie wurden dann aber von der letzten Jamaika-Koalition wieder abgeschafft. Die Grünen konnten sich nun mit ihrem Wunsch nach einer Wiedereinführung nicht durchsetzen.

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