Tödliche Hitze, tödliche Kälte

Jeja nervt: Die Ignoranz gegenüber den tödlichen Folgen der Klimakatastrophe

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Kaum ist der Sommer da, sind auch die Medien wieder voll mit Berichten über die Klimakatastrophe. Das ist natürlich erfreulich, hilft doch wenig so gut bei der Korrektur falscher Annahmen wie die Verknüpfung von den Alltag aufbrechenden Lebenserfahrungen und dazu passenden Informationen. Hitze ist aber nicht einfach nur unangenehm. Die Wochenzeitung »Die Zeit« stellte kürzlich ausführlich dar, wie viele Todesfälle mit dem Extremwetter einhergehen – und wie wenig das von den zuständigen Behörden als Handlungsfeld ernst genommen wird.

Ein Problem dürfte sein, dass unser Empathievermögen für in Gluthitze kollabierende, Gemüse erntende Arbeitsmigrant*innen oder ökonomisch überflüssige Rentner*innen noch niedriger ist als ohnehin schon. Im besonders heißen Sommer 2018 etwa starben bis zu 2000 Menschen, die ohne die Hitze überlebt hätten.

Doch der Ausschlag, der in jenen Monaten in den Graphen der Sterbestatistiken zu verzeichnen war, reichte nur an jene Höchstwerte heran, die sowieso jedes Jahr zu verzeichnen sind – und zwar im Winter. Das Sterben ist, auch hier, keine Naturtatsache, sondern gesellschaftlich verursacht. Wie das? Zunächst einmal durch verhinderbare Virenerkrankungen der Atemwege, klar. Aber zu den immer relevanter werdenden Todesursachen zählen eben auch Infarkte und Schlaganfälle, durch Gefäßverengung gestiegener Blutdruck und Thrombosen. Und die haben eine in der Öffentlichkeit bislang kaum präsente Ursache. Es ist die Kälte selbst, die Vorerkrankungen in Richtung eines tödlichen Verlaufs eskalieren lässt. Der Rekordsommer 2018, er findet zumindest in der Sterbestatistik jeden Winter statt. Das Leid der Betroffenen und Angehörigen gilt dabei fälschlicherweise als private Katastrophe.

Aber, mögen Sie einwenden, was ließe sich denn gegen den Winter unternehmen? Gehört der nicht irgendwie genauso zum Leben wie das Sterben? Nun, in den besonders kalten Ländern Nordeuropas löst sich der Wintereffekt auf die Sterbezahlen praktisch auf. Zunächst ist da die kulturelle Komponente: Hier gehört es schlicht zum Alltagsverstand, die Kälte als lebensgefährlichen Umweltfaktor ernst zu nehmen und sich zu schützen. Die Menschen verbringen mehr Zeit in Innenräumen und tragen angepasste Kleidung.

Doch die Forschung zeigt noch mehr Faktoren auf. Es ist schließlich das Maß sozialer Ungleichheit, das mit der Wintersterbewelle in kausalem Zusammenhang steht: Qualität der Behausung, Zusammenleben mit anderen, Besitz von (beheizbaren) Autos oder schlicht die Fähigkeit, sich die Kleidung und die Wärme im Innern überhaupt leisten zu können. Genau das aber ist nicht der Fall, wenn selbst nach einem Leben in Arbeit die Altersarmut anklopft, geschweige denn ohne eine solche Erwerbsbiografie.

In der laufenden Woche sind wir der Ausrufung der dritten Notfallstufe bei der Gasversorgung und der Weiterreichung der Weltmarktpreise an die Endkund*innen so gefährlich nahe gerückt wie noch nie. Und selbst wenn eine weitere Eskalation auf dem Gasmarkt ausbleibt, werden bei vielen Menschen im kommenden Winter notgedrungen die Heizkörper kalt bleiben. Schon brüllen Wirtschaftsvertreter*innen ihre Forderungen wieder lauter heraus, beim heimischen Wärmeregeln ein Wörtchen mitreden zu dürfen. Schließlich sieht der »Notfallplan Gas« ein Abklemmen der Versorgung von Wirtschaftssektoren zugunsten beheizter Wohnungen vor. Das Szenario: die im März von der Professorin für Ingenieurswesen Lamia Messari-Becker an die Wand gemalte »Wirtschaftstriage«, also das »Sterben« von Betrieben wegen der Priorisierung heimischer Gasversorgung.

Das gewählte Vokabular sollte jedoch nicht den Eindruck erwecken, dass es die Triagelage ist, die in diesem gut betuchten, gebildeten Milieu als moralisches Dilemma gefürchtet wird. Diese Leute wähnen sich nicht in einem Dilemma. Ihre Angst ist es, dass die Aktienkurse und Kontostände ein bisschen nach unten zeigen – nur, damit ein paar mehr Rentner*innen, Arme, Obdachlose, Migrant*innen und sonst wie Marginalisierte den nächsten Frühling erleben.

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