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Wenn der Impuls zurückkommt
Nebel, kosmisches Rauschen und räumliches Zittern: Drei Ausstellungen in München, die den Raum sehr merklich verändern
Unsere städtischen Räume sind möbliert mit steinernen Monumenten, die zumeist einer unangebrachten Heldenverehrung dienen. Bildhauer bearbeiten feste Materialien, meißeln, sägen, schleifen, schweißen, um bleibende Skulpturen zu produzieren. Die 1933 im japanischen Sapporo geborene Künstlerin Fujiko Nakaya hingegen stellt traditionelle Vorstellungen von Skulptur in Frage. Sie arbeitet mit Nebel, also mit einer Sonderform der vergänglichen Wolke.
Laut der Weltorganisation für Meteorologie liegt nur dann Nebel vor, wenn die in Augenhöhe gemessene horizontale Sichtweise einen Kilometer unterschreitet. Laut der etablierten Nebelklassifikation hinsichtlich der Substrateigenschaft haben wir es bei Nakayas »Material« mit Wassernebel zu tun, der hauptsächlich aus schwebenden Wassertröpfchen besteht. Nakayas Vater Ukichiro (1900-1962) war Physiker und beschäftigte sich mit der wissenschaftlichen Klassifizierung von natürlichen Schneekristallen (die 1879 zum ersten Mal von dem vielseitigen deutschen Forscher Johann Heinrich Flögel fotografiert worden waren). Inspiriert von der wissenschaftlichen Arbeit ihres Vaters, schloss sich Fujiko Nakaya in den späten 1960er Jahren der Gruppe E.A.T. (Experiments in Arts and Technology) an. Vor dem Hintergrund der sich rasant entwickelnden Technologien verfolgte die Gruppe das Ziel, Kunstwerke mit den neuesten technischen Möglichkeiten umzusetzen. Für die Weltausstellung von 1970 in Osaka erarbeitete Nakaya mit E.A.T. ihre erste große Nebelskulptur. Mittlerweile umfasst ihr Werk über 90 solcher Skulpturen.
Im Haus der Kunst in München läuft nun ihre Ausstellung »Nebel Leben«. Hierfür hat sie eine neue Arbeit entwickelt: »Munich Fog (Wave), #10865/1 (1922)«. Diese Zahlenkombination bezieht sich auf die nächstgelegene Wetterstation, deren Daten für die Planung der Installation herangezogen wurde. Ein großer Raum des Hauses der Kunst wurde in einen Pool mit Niedrigwasserstand verwandelt, den das Publikum wie in einem Schwimmbad auf Holzbohlen umrunden kann. Dann und wann wird mittels eines Pumpensystems gefiltertes Wasser mit Hochdruck durch Düsen aus Edelstahl gepresst. Sobald es durch die ca. 1,5 Millimeter große Öffnung tritt, trifft das Wasser auf eine Nadelspitze, die es in allerfeinste Tröpfchen aufspaltet. Im Nu sind die Anwesenden von der sie umgebenden temporären Nebel-Skulptur umhüllt oder ganz verborgen, Teil des flüchtigen Werks.
Daneben sind Videodokumentationen von früheren Projekten von Nakaya zu sehen, wie etwa vom Nebel-Environment »Veil, #72594 (2014)«, das anlässlich des 65-jährigen Jubiläums des Glashauses von Philip Johnson in New Canaan, Connecticut, entstand. Steht das Glashaus für Transparenz, so ließ Nakaya es zeitweilig in ihrem dichten Nebel aus der Landschaft verschwinden. Zur Nachhaltigkeit ihrer Nebelaktionen sagt Nakaya: »Ich möchte eine Situation schaffen, in der die Menschen eine physische Beziehung zur Natur aufbauen können. […] Durch diese Beziehung gewinnen wir die instinktive Weisheit, Entscheidungen zu treffen, die die Natur erhalten.«
Seit den 1970er Jahren beschäftigt Nakaya sich auch intensiv mit Video. Im Haus der Kunst wird eine kleine Auswahl ihrer Videoarbeiten geboten, darunter »Soji-ji«, ein Film, der Zen-Mönche bei der kollektiven Rezitation von Sutren zeigt, aufgenommen in Yokohama 1979. Nakaya konzentriert sich auf den mönchischen Gesang, der bei aller individuellen Atmung in einem stetigen Rhythmus fließt.
Ebenfalls im Haus der Kunst zu sehen ist eine »sensorische Klanglandschaft« von Carsten Nicolai, der als Musiker unter dem Namen Alva Noto agiert und mit Fujiko Nakaya befreundet ist. Seine Installation heißt »transmitter/receiver – the machine and the gardener« und ist inspiriert von japanischen Zen-Gärten. Der Trockenlandschaftsgarten, kare-san-sui, gilt als der japanische Garten schlechthin; er entwickelte sich im Umkreis der Tempel des Zen-Buddhismus, im Zusammenspiel japanischer und chinesischer Traditionen der Kunst in der Muromachi-Ära (14. bis 16. Jh.). Die Gartengestalter jener Zeit waren meistens Mönche. Sie schufen Zen-Gärten aus Felsen und Sand oder Kies, um die wahre Substanz von Leben und Natur zu enthüllen, wie sie meinten. Einen solchen Garten anzulegen, hieß Zen praktizieren.
Eines der bekanntesten Beispiele für einen Zen-Garten ist der südlich des Tempels Ryoanji in Kyoto angelegte Garten Hojo-Teien, bei dem auf jegliche Vegetation und Figuration verzichtet wurde. Ein weiteres Kennzeichen von Zen-Gärten ist das Arrangement der Felsen in Gruppen von drei, fünf und sieben. Im Hojo-Teien-Garten ruhen fünfzehn Felsbrocken auf einer rechteckigen Kiesfläche, in die Mönche jeden Tag neue Wellen harken. In dem großen Kiesmeer bilden die Felsen fünf Inseln, doch von keinem Standpunkt aus sind alle fünfzehn Steine mit einem Blick zu erfassen. John Cage hat dieser Tempelanlage in den 80er Jahren eine Komposition gewidmet.
Nicolai, der 1965 in Karl-Marx-Stadt geboren wurde, hat seinen Garten vor einem hohen, halbrunden Screen angelegt. Er hat nur entfernt Ähnlichkeit mit einem Zen-Garten. Auf dem Boden liegt statt Sand Streusalz, da kein Münchner Sandmann die für diese Installation notwendigen acht Tonnen nach Ausstellungsende zurücknehmen wollte. Die Stadt München hatte jedoch ausreichend Wintervorräte von Streusalz angelegt. Auf dem kristallinen Streusalz liegen neun schwarze Kugeln, deren Position von den aus dem Kuratorenteam rekrutierten »Gärtnern« hin und wieder verändert wird. Schließlich leitet sich das Wort Kurator vom lateinischen Wort curator her (Pfleger) sowie von curare (Sorge tragen).
Zwischen den Kugeln steht die von Geigerzählern gesteuerte »machine«. Die Geigerzähler erfassen kosmische radioaktive Teilchen. Wird ein Partikel festgestellt, stößt ein Detektor einen elektrischen Impuls aus. Diese Impulse definieren wiederum die Modulation des hörbaren, regellosen Feldstärkeschwankungen unterliegenden kosmischen Rauschens, das über eine schon seit NS-Zeiten existierende Antenne auf dem Dach des Hauses der Kunst empfangen wird. Auch die Farbe des Screens ist abhängig vom zufälligen Aufkommen radioaktiver Teilchen und changiert zwischen sanften Rot-, Blau- und Violetttönen. Eher sanft und meditativ ist auch das Rauschen, das immer wieder durch ein Knistern oder Brutzeln aus der Maschine eine Irritation erfährt, »ein akustisches Geschenk«, so der mit Zufallsprozessen operierende Nicolai.
Hierzu passt eine Sound-Installation des Düsseldorfer Electro-Duos Mouse on Mars, die zeitgleich in München zu erleben ist. Auf ihren Alben, von »Vulvaland« (1994) bis zu »AAI: Anarchic Artificial Intelligence« (2021) haben sich Mouse on Mars forwährend »mit dem fortwährenden Schöpfungsmythos einer Technologie beschäftigt, die sich weigert, vom organischen Leben getrennt wahrgenommen zu werden«, wie es Louis Chude-Sokei, Gründer des Klangkunst- und Archivierungsprojekts »Echolocution«, ausdrückt. Nun bespielen sie den 110 Meter langen, 15 Meter breiten und fünf Meter hohen Kunstbau des Lenbachhauses, der sich über der U-Bahnhaltestelle Königsplatz befindet, mit der Installation »Spatial Jitter« (was sich mit »räumliches Zittern« übersetzen lässt). Dabei soll es laut Mouse on Mars »nicht nur ums Hören, sondern um eine gesamtsinnliche, eine syn-ästhetische Arbeit« gehen.
Wer den dunklen Raum betritt, nimmt zunächst einen Hornlautsprecher wahr, der sich mit dem Sound dreht und der eine Reminiszenz an die »Intonarumori«, selbstgebaute, klangproduzierende Kästen mit Schalltrichtern, des italienischen Futuristen Luigi Russolo von 1914 ist. Dieser und die anderen im Raum verteilten Lautsprecher sind Aktivierungsmaschinen für den Raum und schießen Klänge über die Wände. Mouse an Mars arbeiten »mit dem Impuls, der vom Raum selbst zurückkommt, als Reflexions-Impuls aber auch als Resonanz-Impuls«. Von ihnen komponiert und inszeniert sind explizit die verschiedenen möglichen Distanzen, Brechungen und Perspektiven des Schallsignals. Das eigentliche Thema ist der Raum selbst, der zu einer Art Hör- oder Wahrnehmungslabor gerät, dem sich auszusetzen hiermit anempfohlen sei. Der Schall wird beim Auftreffen auf die Wand verändert, zurückgestrahlt und bewirkt kaum vorhersehbare Überlagerungen. Der Raum wird also ebenso zum Akteur wie die Besucher*innen zu Mitspieler*innen werden, weil die Präsenz ihrer Körper zu einer Modulierung der Klangrichtung führt.
Die Künstlerin und Designerin Patricia Reed schreibt in der zur Ausstellung erschienenen Publikation, die aus einem Textteil plus Schallplatte besteht: »Das ›Zittern‹ in ›Spatial Jitter‹ ist eine Beunruhigung des Gefühls für die räumliche Selbstverständlichkeit, derzufolge die eigene Position Orientierung aus der Referenz eines einzigen Punktes gewinnen kann.«
Fujiko Nakaya, »Nebel Leben«, bis 31. Juli, Haus der Kunst, München; Carsten Nicolai, »transmitter/receiver – the machine and the gardener«, bis 17. Juli 2022, ebenfalls im Haus der Kunst ; Mouse on Mars, »Spatial Jitter«, bis 18. Sep. 2022, Kunstbau/Lenbachhaus, U-Bahn-Zwischengeschoss Königsplatz, München
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