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Braunkohle ist kein Erdgas-Ersatz
Tagebaue und Kraftwerke könnten wegen Ukraine-Krieg länger laufen
Für Kathrin Henneberger muss das sogenannte Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz ein Papier gewordener Albtraum sein. Am Freitag stand die erste Lesung des Gesetzes im Bundestag an. Erste Rednerin ist Henneberger, ehemalige Anti-Kohle-Aktivistin und nunmehrige Bundestagsabgeordnete der Grünen.
Große Sorgen bereite ihr die Frage, ob die Klimakrise noch zu bewältigen sei, beginnt sie ihre Rede. Bei dem Versuch, eine Krise zu lösen, dürfe die andere nicht aus dem Blick geraten, warnt Henneberger. Die andere, das ist die Klimakrise.
Das Bereithaltungsgesetz soll ab Herbst das Stromerzeugen aus Erdgas weitgehend abschaffen und mit dem Brennstoff stattdessen die Gasspeicher füllen. Dazu sollen etwa 5500 Megawatt Steinkohle-Blöcke und knapp 1500 Megawatt Ölkraftwerke reaktiviert werden. Größte Sorgen bereitet Henneberger dabei aber der Plan, dass auch 1900 Megawatt alte Braunkohle-Blöcke zu aktiviert werden sollen, und zwar die drei RWE-Blöcke Neurath C, Niederaußem E und F im Rheinland sowie zwei Blöcke des Lausitzer Leag-Kraftwerks Jänschwalde.
Laufen die fünf Braunkohleblöcke während der gesamten Geltungszeit des Gesetzes von Anfang November 2022 bis Ende März 2024, schicken sie ungefähr 15 Millionen Tonnen CO2 mehr in die Atmosphäre, als durch dieselbe Strommenge aus Gaskraftwerken entstanden wären. Weil Braunkohle die CO2-intensivste Energiequelle ist, werde mit großer Ernsthaftigkeit geprüft, ob die Braunkohlekraftwerke überhaupt ins Gesetz aufgenommen werden müssen, versichert Henneberger im Plenum.
Der Grünen bereiten nicht allein die Klimaemissionen Kopfschmerzen. Wenige Stunden nach der ersten Lesung findet am Freitagabend im zuständigen Ausschuss gleich die Anhörung zum Bereithaltegesetz statt. Henneberger fragt dort die Sachverständige aus dem Öko-Institut, Charlotte Loreck, wie viel Kohle jeweils aus den Tagebauen gefördert werden muss, um die reaktivierten Braunkohle-Blöcke laufen zu lassen. Loreck beziffert die jährliche Mehrförderung beim Energiekonzern RWE im rheinischen Revier auf bis zu rund acht Millionen Tonnen und in der Lausitz auf bis zu 8,5 Millionen Tonnen.
Für die Klimabewegung sind das Hiobsbotschaften. Denn RWE würde die zusätzliche Kohle aus dem Tagebau Garzweiler II holen. Das ist just der Tagebau, bei dem ein großes Bündnis seit Jahren um den Erhalt des Ortes Lützerath kämpft.
RWE-Chef Markus Krebber hält gleichwohl daran fest, dass sein Konzern Lützerath im kommenden Jahr abbaggern wird, um Garzweiler II zu erweitern – und hat mit dem Bereithaltungsgesetz einen gewichtigen Grund mehr. »Der planmäßige Tagebaufortschritt ist wichtig, vor allem, wenn wir uns auf Szenarien vorbereiten, in denen Gas gespart werden soll«, gibt Krebber der »Süddeutschen Zeitung« zu verstehen.
Vertrackt ist die Lage auch in der Lausitz. Der Tagebau Jänschwalde, der das gleichnamige Kraftwerk versorgt, muss Ende 2023 eigentlich die Förderung einstellen. Die Zulassung des Hauptbetriebsplans endet. Laut Gesetz sollen die wiederbelebten Blöcke aber bis März 2024 laufen.
Für Umweltschützer ist der Tagebau in der Nähe von Cottbus schon jetzt eine wasserwirtschaftliche Katastrophe, weil die Anlage dreimal so viel Grundwasser abpumpt wie eigentlich genehmigt. Die Wiederinbetriebnahme der Blöcke E und F würde den Wassermangel in der Spree weiter verschärfen, warnt das Umweltnetzwerk Grüne Liga. Wenn überhaupt, dürften diese Blöcke nur nachrangig gegenüber anderen Kraftwerken eingesetzt werden, fordert die Liga.
Das Lützerath-Problem in Garzweiler lässt sich eigentlich nur lösen, gibt Energieexpertin Loreck vom Öko-Institut in der Anhörung zu verstehen, wenn die mehr geförderte Kohle wieder durch spätere Reduzierung der Fördermenge kompensiert wird. Um das absehbare Mehr an CO2-Emissionen auszugleichen, schlägt Loreck in der Anhörung vor, gleich viele Emissionsrechte aus dem EU-Emissionshandel zu streichen. Genauso sieht das die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Organisation hatte dazu schon Ende Mai einen passenden Paragrafen für das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz vorgelegt.
Besser ist es natürlich, käme wenigstens die Braunkohle erst gar nicht wieder ins Spiel. In einem Jahr gerechnet, werden die fünf Braunkohleblöcke 10 bis 13 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen, geben die Fachleute in der Anhörung an. Wie könnte diese Strommenge ersetzt werden?
Nach Ansicht des DUH-Energieexperten Constantin Zerger ließen sich relativ kurzfristig mindestens 10 Milliarden Kilowattstunden in der Industrie in den Bereichen Motoren, Beleuchtung und Prozesskälte einsparen. Auch Loreck hält Stromeinsparungen in diesem Umfang für möglich.
Ein ganz anderer Vorschlag kommt am Freitag von Michael Sterner, Energieforscher an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Würde der Wind- und Solarstrom, der derzeit noch in großen Mengen weggeworfen werde, weil er nicht in die Netze passe, mithilfe von Power-to-Gas genutzt, ließen sich bis zu 100 Milliarden Kilowattstunden erneuerbares Gas erzeugen und die Gasspeicher sofort zu 100 Prozent füllen, rechnet Sterner vor.
Mit grünem Gas direkt die Speicher füllen, statt fossile Energie zurückkehren zu lassen: Das wäre einmal eine wirklich elegante Lösung.
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