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»Mehr als ein Wohlstandsbonbon«
Mehrere Initiativen fordern die Freistellung von Vätern und anderen zweiten Elternteilen nach der Geburt
Das Bundesforum Männer hat mit anderen Vereinen und Initiativen einen offenen Brief zur Freistellung von Vätern nach der Geburt veröffentlicht. Warum das?
Wir fordern, dass bei der Geburt eines Kindes Väter – und auch andere Elternteile, die nicht männlich sind – automatisch für zwei Wochen von ihrer Arbeit freigestellt werden. Für uns als gleichstellungsorientierte Organisation ist das ein zentrales Anliegen, weil wir den Eindruck haben, dass sich in Sachen gleicher Aufteilung von Sorgearbeit und Verantwortung in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu wenig bewegt hat – obwohl wir wahrnehmen, dass Väter zunehmend mit ihren Partner*innen das Glück, aber auch die Aufgaben und die Verantwortung teilen wollen, die Familie mit sich bringt.
Dag Schölper ist Geschäftsführer des Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer & Väter e.V. Der promovierte Politikwissenschaftler lebt und arbeitet in Berlin. Er ist Vater von zwei Kindern. Gemeinsam mit anderen Vereinen und Initiativen hat das Bundesforum Männer einen offenen Brief an Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) adressiert. Mit ihm sprach Inga Dreyer.
Warum ist die Zeit direkt nach der Geburt so wichtig?
Das ist ein neuralgischer Punkt. Mama wird dann häufig zum Care-Profi und Papa fällt zurück. Dadurch tappen wir in die Traditionsfalle, aus der wir rauswollen, aber auch rausmüssen. Das Ganze ist keine Luxusfrage, sondern auch eine ökonomisch vernünftige Antwort auf die Herausforderungen der nahen Zukunft. Denn wegen des Fachkräftemangels sind wir darauf angewiesen, dass Frauen wie Männer erwerbstätig sind. Vaterschaftsfreistellung ist kein Wohlstandsbonbon für Mittelschichtsfamilien, sondern ein Einstieg in die gleiche Aufteilung von Care-Arbeit. In der Zeit nach der Geburt vermittelt sich ein Basiswissen über Gesundheit, Achtsamkeit und Fürsorglichkeit, das man, wenn man im Büro sitzt oder an der Werkbank steht, einfach nicht mitbekommt.
Wie sehen die gesetzlichen Regelungen aus?
Im Moment gibt es da eine Leerstelle. Für Frauen regelt der Mutterschutz, dass die Arbeitnehmerin aus gesundheitlichen Gründen für eine bestimmte Zeit vor und nach der Geburt freizustellen ist. Die Elternzeit ermöglicht beiden Elternteilen, Arbeit zu reduzieren oder zeitweilig auszusetzen. In Deutschland sind es traditionell Frauen, die längere Zeit aus der Erwerbsarbeit ausscheiden oder substanziell reduzieren. Als 2007 das Gesetz zu Elterngeld und Elternzeit eingeführt wurde, hatte der Gesetzgeber durchaus die Idee, Väter stärker zu adressieren. Die Zahl der Männer, die Elternzeit beantragen, steigt tatsächlich kontinuierlich und liegt heute bei 40 bis 50 Prozent. Allerdings zeigte der damalige Diskurs, in dem von zwei »Papa-Monaten« die Rede war, Wirkung. Obwohl man sich die Elternzeit anders aufteilen könnte, nehmen die meisten Männer nur die zwei »Partnermonate« in Anspruch. Das Elterngeld hat sich seit seiner Einführung 2007 nicht erhöht. Von daher wäre jetzt eine gute Gelegenheit, die Elternzeit- und Elterngeldregelung anzupassen und gleichzeitig die Vaterschaftsfreistellung einzuführen.
Sie verweisen in Ihrem Brief auf eine EU-Richtlinie. Worum geht es darin?
Die EU hat 2019 eine Vereinbarkeitstrichtlinie verabschiedet, in der allen Mitgliedsländern aufgetragen wurde, bis August 2022 Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in nationales Recht umzusetzen – darunter fällt auch der sogenannte »Vaterschaftsurlaub«. Das Bundeskabinett hat einem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zugestimmt – davon ausgenommen ist aber die Vaterschaftsfreistellung. Denn die Bundesregierung sieht sich durch die derzeitigen Regelungen zu Elterngeld und Elternzeit bereits auf der sicheren Seite. Gleichzeitig heißt es aber, dass eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt in einem eigenen Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden soll. Uns hat erstaunt, dass das nicht im Rahmen der Vereinbarkeitsrichtlinie passiert, um bis zum Sommer Butter bei die Fische zu geben.
Wie könnte die Freistellung stattdessen erreicht werden?
Wir hörten, dass man versucht, die Vaterschaftsfreistellung über die Mutterschutzregelungen einzuführen. Das wäre ein interessanter Ansatz. Denn im Mutterschutz geht es um die Gesundheit von Frau und Kind. Wenn die Vaterschaftsfreistellung in derselben Logik verankert wird, würde anerkannt, dass die Geburt eines Kindes zumindest auf der psychologischen Ebene für viele Männer eine große Herausforderung ist. Was Mutter und Kind angeht, können Männer unterstützend tätig sein, vor allem, wenn noch Geschwister im Hause sind. Die Phase des Wochenbetts ist ja kein Vergnügen für die Mütter. Es ist in jedem Fall sinnvoll, wenn Väter in den ersten zwei Wochen zu Hause bleiben und den Haushalt schmeißen.
Wie sollte die neue Regelung aussehen?
Es soll gezeigt werden, dass zweite Elternteile von der Gesellschaft als wertvolle Akteur*innen anerkannt werden – nicht nur die, die genug auf der hohen Kante haben. Wir finden es wichtig, dass sich das jede*r leisten kann. Deshalb braucht es eine Lohnersatzleistung. Am besten zu 100 Prozent, ansonsten muss es wenigstens eine gute soziale Staffelung geben. Wichtig ist auch, dass die Freistellung automatisch erfolgt und es keine Anträge und Verhandlungen braucht. Kündigungsschutz muss garantiert werden und es darf keine Einschränkungen bezüglich der Betriebsgröße geben. Es ist völlig unerheblich, ob der Betrieb acht oder 800 Leute beschäftigt. Die Situation in der Familie erfordert die Anwesenheit.
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