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Mit dem Diskuswurf zur Kripo
Vereidigung von 327 Schülern und Studenten der Hochschule der Polizei
Eine Frau wälzt sich vor einem Kaufhaus in ihrem Erbrochenen. Passanten beobachten das, lachen die Sturzbetrunkene aus, filmen sie sogar mit ihren Handys. Eine Streife kommt vorbei. Der eine Polizist kümmert sich um die Hilflose. Der andere stellt sich vor die beiden, schirmt die Szene mit seinem Körper vor neugierigen Blicken und den Kameras ab und redet den Schaulustigen ins Gewissen. Er fragt in die Runde, ob jemand diese Frau kenne, vielleicht wisse, was sie durchgemacht habe. Könnte sein, sie ist aus einem Kriegsgebiet nach Deutschland geflohen, hat schreckliche Dinge erlebt.
Landespolizeipfarrerin Beate Wolf, die in der Hochschule der brandenburgischen Polizei in Oranienburg Ethik lehrt, schildert diesen Fall am Samstag bei der feierlichen Vereidigung von 327 angehenden Polizisten. Zwischen 40 000 und 60 000 Euro wende der Staat pro Nase für die Ausbildung seiner Polizisten auf, rechnet die Theologin vor. Aber: »Was ist ein guter Polizist? Unbezahlbar!« Er solle die Menschenwürde schützen und ein Land Brandenburg, »in dem jeder nach seiner Façon selig werden kann«, sagt Beate Wolf und zitiert dazu den berühmten Satz des preußischen Königs Friedrich II. zu Toleranz und Religionsfreiheit. »Wenn wir diese Polizei nicht hätten, dann wäre das nur wenige Meter entfernte KZ Sachsenhausen nicht Teil unserer Vergangenheit, sondern Teil unserer Gegenwart«, mahnt Wolf.
Die Hochschule befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen SS-Truppenlagers, das zum Komplex des Konzentrationslagers Sachsenhausen gehörte. Die Hochschule nutzt teils historische Gebäude, die in der DDR als Kaserne dienten, wovon an einem Backsteingebäude eine aufgemalte und verblichene Flagge mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz kündet.
Bei der Zeremonie am Samstag heben 227 junge Männer und 100 junge Frauen in blauen Polizeiuniformen die rechte Hand zum Eid. »Ich schwöre, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die Verfassung des Landes Brandenburg und die Gesetze zu wahren«, so wird ihnen vorgesprochen und so sprechen sie es nach. Der Abschluss der Eidesformel lautet: »So wahr mir Gott helfe.« Dann erklingt die Nationalhymne.
Die da schwören, haben 2020 ihre zweieinhalbjährige Ausbildung für den mittleren Dienst oder ihr dreijähriges Studium für den gehobenen Dienst begonnen. Irgendwann, bevor sie am Ende zu vollgültigen Polizisten ernannt werden, müssen sie ihren Eid leisten. Wegen der seit 2020 grassierenden Corona-Pandemie war die Hochschule damit etwas in Verzug. Innenminister Michael Stübgen (CDU) ist seit 2019 im Amt und hatte erst jetzt Gelegenheit, bei einer Vereidigung zu sprechen. »Ich freue mich außerordentlich, dass wir diesen Termin nachholen können«, sagt er. Er hätte den Polizeischülern einen Start ohne coronabedingte Einschränkungen gewünscht. Aber so sei ihnen auch gleich eine erste Lehre erteilt worden: Es könne anders kommen, als man denkt. »Seien Sie flexibel«, rät Stübgen fürs spätere Leben.
Für sieben männliche und drei weibliche Angehörige der Sportfördergruppe der Polizei, die vereidigt werden, hatte es aber auch Vorteile, dass während der Pandemie nur die praktischen Übungen in Oranienburg stattfanden und die Theorie per Videokonferenz unterrichtet wurde. So sparten sie sich die Wege zwischen Hochschule und Turnhalle oder Sportplatz. Sie trainieren in Potsdam oder Frankfurt (Oder) und studieren an drei Tagen in der Woche, um irgendwann nach Beendigung ihrer Leistungssportkarriere als Polizisten zu arbeiten. Damit genug Zeit für Training und Wettkämpfe bleibt, gibt es für sie den Abschluss erst nach fünf statt nach drei Jahren.
Am Samstag leistet auch Kristin Pudenz vom Sportclub SC Potsdam ihren Eid. Die 29-jährige Diskuswerferin gewann bei den Olympischen Spielen in Tokio eine Silbermedaille und will mindestens noch bei Olympia 2024 starten. Wie lange sie danach weitermacht, hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie Verletzungspech hat. Bis Mitte oder Ende 30 können Diskuswerfer noch Bestleistungen vollbringen, erzählt Pudenz dem »nd«. Nach dem Studium, das sie voraussichtlich 2025 abschließt, möchte sie erst einmal zu einer Einsatzhundertschaft und später eventuell Kriminalpolizistin werden. »Ich habe noch kein absolutes Lieblingsgebiet und auch nichts, was mir gar keinen Spaß macht«, sagt Pudenz.
Innenminister Stübgen weiß, dass Polizisten Überstunden machen, sich in Gefahr begeben und großes Leid mit ansehen müssen. Ausreden will er dem Nachwuchs den schweren Beruf damit aber nicht, im Gegenteil. »Kleine Jungen und kleine Mädchen werden zu Ihnen aufschauen und sagen: Ich will auch Polizist, ich will Polizistin werden«, sagt der CDU-Politiker. Sie müssten also Vorbild sein. Was gar nicht geht: Im Internet rechtsextreme Inhalte verbreiten. »Ich möchte klarstellen, dass ich bei derartigen Vorfällen eine Null-Toleranz-Linie verfolge«, warnt der Minister.
400 Schüler und Studenten nimmt die Hochschule pro Jahr auf. Etwa 1000 lernen und studieren derzeit dort. Manche scheitern bei den Prüfungen. Manche erkennen, dass ein Dasein als Polizist doch nichts für sie ist und hören auf. Einige wenige werden aber auch hinausgeworfen. So ein Polizeischüler, der 2019 seine Ausbildung in Oranienburg begonnen hatte und sie nicht beenden durfte. Er hatte bei einer Übung per Funkalphabet das Wort »Jung« durchgeben sollen und das mit den Worten Jude, Untermensch, Nazi und Gaskammer oder Genozid buchstabiert. Während das Verwaltungsgericht Potsdam dies noch als missglückten Scherz durchgehen lassen wollte, entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Ende 2020, dass die Entlassung rechtens sei. Tom Franke erinnert sich außerdem an einen Vater, der mit einem Aufkleber der Reichsbürger am Auto vorfuhr. Ein Gespräch mit dem Sohn habe seinerzeit ergeben, dass der Junior ähnliche Ansichten hegte. »Wir haben uns von ihm getrennt«, sagt Franke, der früher in der Pressestelle der Hochschule wirkte, sich aber versetzen ließ und am Samstag nur für den besonderen Tag noch einmal bei der Betreuung der Journalisten hilft.
Denn es gibt einen Tag der offenen Tür und es wird gefeiert, dass vor etwas mehr als 30 Jahren, im Oktober 1991, die erste Klasse an die damals neu gegründete Landespolizeischule in Basdorf aufgenommen wurde. Der Umzug 2006 nach Oranienburg in die Nachbarschaft der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen war heikel. Das Training mit Hunden wurde extra an eine andere Stelle verlagert, könnte das Bellen doch bei KZ-Überlebenden traumatische Erinnerungen auslösen. Dass aber die Polizei nebenan einzieht, schien einen gewissen Schutz zu bieten. Immerhin hatte 1992 ein Brandanschlag eine historische Baracke zerstört. Eine Führung in der Gedenkstätte und Vorlesungen zur verhängnisvollen Rolle der Polizei in der Nazizeit – sie war mit der SS eng verwoben – gehören heute zur Ausbildung an der Hochschule.
Zum Tag der offenen Tür gibt es eine kleine Modenschau mit den verschiedenen Uniformen, die bei der Brandenburger Polizei seit 1991 getragen worden sind. Es moderiert der Leitende Polizeidirektor Jörn Preuß in seiner Funktion als Chef der Bekleidungskommission. Nach den »kieferngrünen« Uniformen der DDR-Volkspolizei sei ein »Traum in Braun und Beige« gekommen, erläutert Preuß, gefolgt von einem Modell, zu dem für den Winter eine Fellmütze gehörte. Diese Mütze sei nicht gern getragen worden, sie galt als »uncool«, erzählt Preuß. Heute sind die Uniformen blau. An den Sternen auf den Schulterstücken lässt sich der Dienstgrad ablesen. Polizeischüler haben statt der Sterne blaue, Polizeistudenten silberne Streifen.
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