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Macht die Schule wieder dicht?

Ampel-Streit um Corona-Regeln: Karl Lauterbach schließt erneute Schulschließungen nicht völlig aus

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Festivalsaison ist im vollen Gange, Urlaub im Ausland – soweit bezahlbar – längst wieder Normalität, Masken sieht man kaum noch: So erscheint der dritte Pandemiesommer in Deutschland, derweil die von der Omikron-Variante BA.5 gezeichnete Infektionswelle weiter das Corona-Geschehen bestimmt und die Inzidenz nach oben geht. Am Montag gab das Robert Koch-Institut (RKI) die Zahl der Fälle pro 100 000 Einwohner*innen mit 650,7 an, wobei der Wert mittlerweile nur noch bedingt aussagekräftig ist, weil zum Beispiel längst nicht mehr alle Betroffenen einen PCR-Test machen lassen. Corona ist nicht vorbei, so viel ist klar – doch weil Maßnahmen fehlen, wird es immer schwieriger, sich vor Kontakt mit dem Virus zu schützen.

Im Herbst könnte es eine noch stärkere Infektionsdynamik geben, und weil das aktuelle Infektionsschutzgesetz als bundesweite Rechtsgrundlage für jegliche Maßnahmen am 23. September ausläuft, muss für die Zeit danach einmal mehr eine Nachfolgeregelung gefunden werden. Doch die Meinungen darüber, welche Regelungen dann sinnvoll erscheinen, gehen in der Ampel-Koalition – wie schon bei vorherigen Wellen – stark auseinander. Die Kluft zwischen jenen, die mehr staatliche Maßnahmen wollen, und solchen, die auf Eigenverantwortung der Bürger*innen setzen, steht stellvertretend für den fortlaufenden Koalitionsstreit, den es auch in anderen Politikbereichen gibt.

Über Einzelheiten der Gesetzesnovelle verhandeln Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizressortchef Marco Buschmann (FDP). Schon im Frühjahr hatten die beiden eifrig Nachrichten ausgetauscht, bis zur letzten Sekunde gestritten. Herausgekommen war allerdings ein Infektionsschutzgesetz, das stark nach der Logik der Liberalen klang: Die Maskenpflicht wurde weitgehend aufgehoben, auch sonst gibt es seitdem kaum noch Einschränkungen. Der Vorwurf all jener, die auf Lauterbach als Mahner gehofft hatten: Der Spahn-Nachfolger sei vielleicht ein guter Wissenschaftler mit einer Menge Fachwissen, könne sich aber politisch überhaupt nicht durchsetzen und habe sich von der FDP über den Tisch ziehen lassen. Relativierend sei hinzuzufügen: Wer mehr Maßnahmen will, steht in der Verhandlung stärker unter Druck. Denn wer auf Corona-Regeln komplett verzichten würde, könnte auch ohne Einigung leben.

Nun die nächste Episode. Lauterbach, der bekannt ist für seine zahllosen Auftritte in TV-Talkshows, preschte am Sonntagabend bei »Anne Will« vor: Anders als Bundeskanzler Olaf Scholz und die FDP will er auch Schulschließungen nicht völlig ausschließen. »Ich halte sie für sehr, sehr unwahrscheinlich. Sie wären dann das allerletzte Mittel. Aber sie kategorisch auszuschließen, da wäre ich vorsichtig, weil: Wir wissen ja nicht, welche Varianten kommen«, sagte Lauterbach auf wiederholte Nachfrage. Einen Lockdown hält er dagegen nicht mehr für nötig.

Derweil hat Marco Buschmann eine Reihe möglicher Schutzmaßnahmen bereits ausgeschlossen, darunter Schulschließungen – aber: Gegenüber einer Maskenpflicht zeigte er sich offen. »Wir werden vermutlich noch im Laufe dieses Monats ein Konzept vorlegen. Da wird die Maske sicher eine Rolle spielen«, sagte der Justizminister der »Welt am Sonntag«. Während es in der Wissenschaft ohnehin keine Zweifel gibt, dass FFP2- und FFP3-Masken die Ansteckungsgefahr stark verringern, könnte nun auch die Maskenpflicht wieder eine stärkere politische Legitimation erhalten. Zumindest eine Wiederausweitung etwa auf den Einzelhandel erscheint möglich.

Zugleich ist unsicher, ob die FDP noch weitere Maßnahmen mit sich machen lässt – zumal manche Regelungen auch wissenschaftlich fragwürdig erscheinen. Wie flächendeckende Schließungen sind auch Zugangsbeschränkungen zu Veranstaltungen etwa nur für Geimpfte und Genesene (»2G«) unwahrscheinlich. Selbst Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen, einer aus dem Lager der Vorsichtigen, hält diese Maßnahme mittlerweile für wenig wirkungsvoll: »Denn auch Geimpfte und Genesene können sich – wenn auch weniger häufig – infizieren und andere anstecken.« Das ist der große Unterschied zur Delta-Welle im Herbst 2021, als eine Dreifachimpfung noch gut vor Infektion schützte. Bei Omikron schützen Impfungen immer noch gut vor schwerer Erkrankung, jedoch weitaus schlechter vor einer Infektion.

Allerdings sprach sich Dahmen für eine Testpflicht aus, sollten Maskenpflicht und Impfkampagne nicht ausreichen: »Sollten wir feststellen, dass trotz der Masken im Innenraum und Auffrischungsimpfungen die Infektionsdynamik wieder stark zunimmt, kann es sein, dass man erneut auch effektive Hygienekonzepte einschließlich Zugangskontrollen braucht«, sagte er der »Welt«. Dagegen plädierte der gesundheitspolitische FDP-Fraktionssprecher Andrew Ullmann für »klare und stringente Empfehlungen statt durchgehender gesetzlicher Pflichten«.

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