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Am Nachmittag bleibt die Dusche kalt
Vermieter in Sachsen rationiert wegen Gaskrise die Warmwasserversorgung und erntet dafür Protest
Wer im sächsischen Dippoldiswalde in einem der Häuser der örtlichen Wohnungsgenossenschaft wohnt und nachmittags um drei verschwitzt aus dem Garten oder von der Schicht kommt, muss ab sofort kalt duschen. Der Vermieter mit rund 600 Wohnungen rationiert die Versorgung mit Warmwasser. Zur Begründung wird auf drastisch gestiegene Gaspreise verwiesen. Man müsse »jetzt für den Winter sparen«, heißt es auf Aushängen, auf denen zudem mitgeteilt wird, dass die Heizung bis September komplett abgestellt wird und warmes Wasser nur noch von vier bis acht, elf bis eins und 17 bis 21 Uhr aus dem Hahn kommt.
Die Geschäftsführung betont, es gehe »nicht darum, die Mieter zu ärgern«. Man müsse sich vielmehr »auf das einstellen, was wir im nächsten Jahr sonst vielleicht nicht mehr bezahlen können«, sagte Vorstand Falk Kühn-Meisegeier der Nachrichtenagentur dpa. Er verwies darauf, dass sich die Zahlungen des Vermieters an den örtlichen Energieversorger vervierfacht hätten. Daher habe man kürzlich bereits die Vorauszahlungen der Mieter für Betriebskosten verdoppelt.
Beim Verband der sächsischen Wohnungsgenossenschaften (VSWG) ist man nicht überrascht. »Die Zeiten, in denen die Maßnahmen rigider werden müssen, sind angebrochen«, sagte Vorstand Mirjam Philipp »nd« und betonte, man befinde sich »hoch offiziell in der Alarmstufe Gasmangellage«. Gleichwohl müsse man Mieter überzeugen, dass Maßnahmen »sinnvoll und richtig« seien. Das sei in Dippoldiswalde nicht der Fall, meint Susanne Schaper, Landeschefin der Linken in Sachsen. Sie nannte die dortigen Sparmaßnahmen eine »echte Zumutung«, sprach von einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht und einem »groben Mietmangel«. Der Deutsche Mieterbund (DMB) nannte das Vorgehen auf »nd«-Anfrage »rechtlich unzulässig«. Es sei nur erlaubt bei ausdrücklichem Einverständnis aller Parteien. Ohne Warmwasserversorgung sei die Wohnung mangelhaft und die Miete dürfe gemindert werden. Die Resonanz in den sozialen Medien ist verheerend.
Vermieter warnen seit Monaten vor explodierenden Nebenkosten aufgrund der vom Ukraine-Krieg ausgelösten Gaskrise. Sie drängen darauf, Vorauszahlungen schon jetzt anzupassen, um einen Schock durch exorbitante Nachforderungen im nächsten Jahr zu vermeiden. Das könne freilich in »einzelnen Haushalten durchaus zur Frage führen: essen oder heizen?«, räumte Frank Ermrich vom Verband der Thüringer Immobilienwirtschaft im März ein. Jens Zillmann, sein Kollege aus Sachsen-Anhalt, warnte vor sozialen Unruhen, sollte es nicht gelingen, für Entlastung zu sorgen: »Dann sehen wir Menschen auf der Straße.«
Nach Angaben von VSWG-Vorstand Philipp erwägen auch andere Genossenschaften, die Heizung im Sommer abzustellen. Dass Warmwasser komplett abgedreht wurde, sei aus keiner weiteren der 208 Genossenschaften im Freistaat bekannt. Der Verband sieht andere Einsparmöglichkeiten, etwa die Senkung der Wassertemperatur von jetzt vorgeschriebenen 60 auf 55 Grad Celsius, was ausreiche, um Legionellen zu vermeiden. Philipp fügte an, Genossenschaften seien zu sozialem Handeln verpflichtet, müssten aber auch wirtschaftlich stabil bleiben. Eine Regulierung der Energiepreise zur Wahrung des sozialen Friedens sei »letztendlich Staatsaufgabe«.
Der Deutsche Mieterbund wiederum hatte kürzlich einen Neun-Punkte-Plan gegen die »Gaspreisexplosion« vorgelegt und darin etwa einen Gaspreisdeckel und ein Kündigungsmoratorium verlangt, wenn Mieter ihre Nachzahlungen für Betriebskosten nicht fristgerecht leisten könnten. Auch Heizkostenzuschüsse werden gefordert. Vermieter sollten gesetzlich verpflichtet werden, die Heizanlagen zu optimieren. Es könne jedenfalls »nicht sein, dass wir in Deutschland als Antwort auf die Gaspreisexplosion nur von kalten Duschen und heruntergedrehten Heizungen der Mieterinnen und Mieter sprechen«, erklärte Bundesdirektorin Melanie Weber-Moritz.
Auch die Linke fordert politische Maßnahmen, etwa einen Preisdeckel für Erdgas und monatliche Heizkostenzuschüsse. In Sachsen lädt die Partei für Freitag zur ersten Zusammenkunft eines »Runden Tisches Energiearmut«. Gemeinsam mit Vertretern von Energie- und Wohnungswirtschaft, Sozialverbänden und Verbraucherschützern soll über Auswege aus der Energiepreiskrise beraten werden.
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