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Die unterrepräsentierte Großstadt
Bevölkerungsentwicklung zwingt zu Neuzuschnitt der Wahlkreise in Sachsen
In Sachsen gilt, wie überall in der Bundesrepublik, der Grundsatz der gleichen Wahl. Laut Wahlgesetz soll die Stimme jedes Wählers ein »annähernd gleiches Stimmgewicht« haben. Davon kann in den 60 Wahlkreisen, die je einen Abgeordneten direkt in den Landtag schicken, keine Rede mehr sein. In einem der sieben Bezirke in Leipzig leben über 81 000 Wahlberechtigte, in einem der vier im Landkreis Bautzen nur gut 50 000. Ersterer liegt 27 Prozent über dem Landesdurchschnitt, letzterer 21 Prozent darunter. Eine Anpassung sei »zwingend erforderlich«, steht im Bericht einer Wahlkreiskommission.
Der Bericht illustriert eindrucksvoll die Bevölkerungsentwicklung in dem Ost-Bundesland generell sowie in Stadt und Land. Als die 60 Wahlkreise im Jahr 1993 zugeschnitten wurden, lebten im Freistaat noch 4,5 Millionen Einwohner, pro Wahlkreis rechnerisch 64 000. Seither ist die Zahl der Sachsen um 666 000 gesunken, im Mittel mehr als 11 000 je Wahlkreis. Allerdings verläuft die Entwicklung nicht gleichmäßig. Leipzig und mit Abstrichen auch Dresden verzeichnen Zuzug, die Dörfer und Kleinstädte leiden unter anhaltender Abwanderung.
Möglichst soll die Zahl der Wähler in keinem Kreis mehr als 15 Prozent vom Durchschnitt abweichen. Tatsächlich liegen zehn darunter, alle auf dem Land. Zehn überschreiten den Wert, alle in Großstädten. Leipzig mit jetzt sieben Wahlkreisen bei fast 538 000 Wahlberechtigten ist im Landtag faktisch unterrepräsentiert. Es hat laut der Kommission theoretisch »Anspruch« auf acht, angesichts des prognostizierten weiteren Wachstums sogar auf neun Wahlkreise.
Das Gremium hat nun drei Vorschläge unterbreitet. Eine Variante, die »minimalinvasiv« genannt wird, verschiebt lediglich einen Wahlkreis aus dem Vogtland nach Leipzig. Eine zweite verlegt zwei Kreise vom Land in die Städte. Eine radikalere Variante schlägt vor, die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten auf 51 zu verringern. Um die in der Verfassung genannte Zahl von insgesamt 120 Abgeordneten zu halten, sollen mehr Politiker über die Listen der Parteien ins Parlament einziehen. Damit würden zum einen wieder je rund 75 000 Wahlberechtigte einen Abgeordneten bestimmen, etwa so viele wie vor 30 Jahren. Außerdem brächte der Vorschlag »längerfristige Stabilität«. Bei den milderen Varianten ist absehbar, dass schon bei der Wahl 2029 erneut Handlungsbedarf besteht.
Experten bewerten die Vorschläge sehr unterschiedlich. Die Mathematikerin Kai-Friederike Oelbermann hält die Variante mit 51 Direktabgeordneten für ein »tolles Szenario«. Es bewirke eine »optimale« Ausgeglichenheit der Wahlkreise und bringe Stabilität bis mindestens 2029. Dagegen nennt der Jurist Bernd Grzeszick den Vorschlag »übergriffig«; er gehe weit über die Kompetenzen der Kommission hinaus, die auch Grundsätze wie die Kontinuität der Wahlkreise zu beachten habe. Und Kerstin Schöninger, Bürgermeisterin von Rodewisch im Vogtland, warnt davor, Wahlkreise auf dem Land über immer größere Flächen auszudehnen, weil das die Distanz zur Politik verstärke: »Wir bemühen uns um Demokratiebildung. Da braucht es eine gewisse Präsenz der Abgeordneten.«
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