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Mit Krawall-Liberalismus gegen den Abwärtstrend
Wie die FDP angesichts schlechter Umfragewerte mit klassischer Klientelpolitik versucht, ihre Wähler bei der Stange zu halten
Die harte Realität der Kriegs- und Klimakrisentage bringt auch für die FDP genug Schwere mit sich, wenn auch auf andere Weise: Sie kann bislang überhaupt nicht von der Regierungsbeteiligung in der Ampel-Koalition profitieren. In Befragungen schwankt die Partei nach 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2021 nur noch zwischen sechs und neun Prozent, derweil ihre große Kontrahentin, die CDU, sich von ihrem Armin-Laschet-Tief längst wieder erholt hat und mit Friedrich Merz an der Spitze die Umfragen anführt. Und das, obwohl der wirtschaftsliberale Merz längst nicht in der gesamten Bevölkerung beliebt ist – aber für FDP-Wähler*innen ist er möglicherweise eine Alternative.
Gegen diese Gefahr und den drohenden Bedeutungsverlust kämpfen die Liberalen an, und sie tun das ganz offensichtlich mit: Krawall-Liberalismus. Ausgerechnet einem Fördertopf für Langzeitarbeitslose will Lindner 600 Millionen Euro entnehmen und damit die Eingliederung von Menschen, die in diesen Tagen ohnehin jeden Cent dreimal umdrehen müssen, erschweren, während der Minister selbst auf Sylt eine dreitägige üppige Hochzeit feiert. Eine Maßnahme, die sich einreiht in eine Regierungspolitik, die zwar auch soziale Verbesserungen bereithält – allen voran die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro –, an anderer Stelle aber knausert: etwa bei Coronatests, die man jetzt selbst zahlen muss, oder bei der Finanzierung der Krankenkassen, die Lindner und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mittels Erhöhung der Zusatzbeiträge den Versicherten überlassen.
Man könne dies und jenes nicht anders finanzieren, heißt es dieser Tage aus Berlin häufiger, während sich die Liberalen an ihre Grundsätze, keine Steuern zu erhöhen und die Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten, weiter festklammern. Zur Finanzierung des Sondervermögens Bundeswehr ließ die Ampel lieber das Grundgesetz ändern, als die Schuldenbremse zu überdenken. Und während in Folge der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine die Regierungen in Großbritannien, Spanien und Italien eine Übergewinnsteuer eingeführt haben, wehrt sich die Ampel-Koalition weiter mit Händen und Füßen dagegen – wegen der FDP, die ihren ganz eigenen Kampf führt.
Dieser Kampf sieht im Grunde so aus: Lindner, der als Oppositionspolitiker eine üppige Ausgabenpolitik stets kritiserte, muss als Minister auf einmal Krisen managen, die Investitionen erfordern, zum Beispiel in Form von Entlastungspaketen. Von der Union bekommt er dann vorgerechnet, was diese Investitionen nun schon wieder gekostet haben. Beispiel: Als erste Amtshandlung nach seiner Vereidigung musste Lindner einen Nachtragshaushalt verteidigen, für den ihm aus der Unionsfraktion massive Kritik entgegenschleuderte. Dabei ging es um eine Umwidmung nicht genutzter Finanzmittel für Klimaschutz- und Transformationsvorhaben. Von »Umfallerei« und »Taschenspielertricks« war die Rede. Die Union reichte sogar Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Und der frisch gewählte CDU-Parteichef Friedrich Merz ging sofort in die Offensive und schimpfte, die FDP habe ihr Wahlversprechen gebrochen, für eine solide Haushaltsführung zu sorgen. Damit war der Konflikt gestrickt.
Für jenes bürgerliche und gutsituierte Milieu, um das sich sowohl Merz als auch Lindner bemühen, ist die Frage, ob sich bestimmte Sozialausgaben auch rechtfertigen lassen, eine ganz entscheidende. Die jüngsten Niederlagen bei Landtagswahlen – im Saarland verpasste die FDP den Einzug, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen flog sie aus der Regierung, während in beiden Ländern die CDU gewann – dürften den Fokus auf dieses Klientel eher noch verstärken. Zumal die Ampel gesellschaftliche Liberalisierungen wie die Cannabis-Legalisierung und die Abschaffung des Informationsverbots für Abtreibungen vorantreibt, die eher wertkonservative FDP-Wähler*innen ebenfalls in die Hände der CDU treiben könnten.
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