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Bauern blockieren Autobahnen
Bei landesweiten Protestaktionen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei
Seit Ende Juni zeigen Bauern und Bäuerinnen landesweit ihren Unmut. Zehntausende Menschen kamen bei Protesten zusammen. Trotz Verbot fuhren mehrere Hundert Traktoren über Autobahnen und verursachten lange Staus. Örtlich wurden auf den Autobahnen Blockaden mit Heuballen errichtet, einige Fahrzeuge ließen während der Fahrt Mist ab. Vielerorts kam der Verkehr gänzlich zum Erliegen.
Grund für den Protest ist ein Urteil des Staatsrats, einem der wichtigsten Verfassungsorgane des Landes, von 2019. Demnach würden die Maßnahmen zur Stickstoffreduzierung nicht weit genug gehen. Mitte Juni 2022 wurde nun entschieden, welche Regionen wie viel Prozent an Reduzierung erreichen müssen. Bei einigen sind es 70 bzw. 80 Prozent bis 2030.
Der Fokus liegt besonders auf der Provinz Gelderland. Hier befinden sich nach Angaben des niederländischen Statistikamtes CBS knapp 8700 Bauernhöfe. Vor zwanzig Jahren waren es noch ungefähr 16 000. Trotzdem gibt es nirgendwo in den Niederlanden mehr Kühe als in Gelderland. Im Jahr 2021 waren es mehr als 900 000, was ungefähr ein Viertel des Gesamtbestands im Land ausmacht.
Durch die Ausscheidungen der Kühe wird Ammoniak in die Luft abgegeben. Nach Angaben von CBS war 2020 die Landwirtschaft mit 87 Prozent die Hauptverantwortliche für Ammoniakemissionen.
Seit Beginn dieser Woche blockieren Traktoren mehrere Logistikzentren von Supermarktketten, um Auslieferungen zu verhindern. Die Polizei setzte dagegen Tränengas und Warnschüsse ein. In einem Hafen in der Provinz Groningen versperrten mehrere Fischerboote aus Solidarität mit den Bauernprotesten die Gewässer. Auch die Zufahrten zum Mediapark in Hilversum, dem Hauptsitz vieler wichtiger Medien im Land, wurden mit Baumstämmen abgeriegelt.
Bei einigen Protesten kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, weil Autoreifen in Brand gesteckt und Polizeiautos mit Vorschlaghammern angegriffen wurden. Hier rückte die sogenannte Mobile Einheit der Polizei an. Späteren Erklärungen eines Polizeisprechers zufolge hätten sich auch andere Gruppen, wie beispielsweise Corona-Gegner, unter den Demonstrierenden befunden. So erklärt Jan Struijs von der niederländischen Polizeigewerkschaft gegenüber dem Medium Nieuwsuur: »Wir sehen jetzt auch die Berufsdemonstrierenden, die eigentlich nur eins wollen: Die Regierung angreifen.«
Ende Juni hatte eine kleine Gruppe versucht, sich Zugang zum Privathaus der Ministerin für Natur und Stickstoffpolitik, Christianne van der Wal (VVD), zu verschaffen.
Besonders betroffen von den geplanten Regierungsmaßnahmen ist das Gebiet Gelderse Vallei in Gelderland, eine Region mit der höchsten Dichte an Bauernhöfen. Hier leben mehr als 400 000 Kühe, ebenso viele Schweine und fast neun Millionen Hühner. In diesem Gebiet will das niederländische Kabinett die Emissionen um 58 Prozent senken. Dies bedeutet für die Bäuerinnen und Bauern, dass sie ihre Prozesse innerhalb kurzer Zeit nachhaltiger gestalten müssen. Dafür sind allerdings Investitionen nötig, die den niedrigen Preisen beispielsweise für Milch entgegenstehen. Würden die Bauernhöfe ihren Viehbestand reduzieren – mancherorts müssten es bis zu 30 Prozent sein –, wären sie kaum noch konkurrenzfähig. Die Demonstrierenden fürchten, dass dies die Landwirtschaft bald unmöglich machen wird.
Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) verurteilte die Aktionen scharf. Auch die Fraktionsvorsitzende der Arbeiterpartei PvdA, Attje Kuiken, schrieb auf Twitter: »Demonstrieren ist ein Grundrecht, aber das Blockieren von Autobahnen ist lebensgefährlich. Es gibt genug angemessene Arten, Unmut zu äußern. Hört damit auf!«
Auch wenn Bäuerinnen und Bauern in den Niederlanden ein hohes Ansehen genießen, gehen vielen die Aktionen zu weit. Laut einer Umfrage von DVJ Insights im Auftrag des Fernsehnachrichtendienstes RTL Nieuws haben 83 Prozent der Niederländerinnen und Niederländer Verständnis für die Lage der Bauern, jedoch nicht für den Einsatz von Gewalt und Blockaden. Protestaktionen fanden bereits 2020 und 2021 statt, allerdings nicht in diesem Ausmaß.
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