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Mietenturbo Finanzmarkt
Erst seit Ankunft von Konzernen wie Vonovia in Berlin führt Wohnungsmangel zu explodierenden Preisen
»Man kann es kaum glauben: Viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister akzeptieren Vonovia als Partner«, sagt Susanne Heeg. Die Professorin für Stadtforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main ist von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen in die vom Berliner Senat eingesetzte Expert*innenkommission zur Umsetzung des erfolgreichen Sozialisierungsvolksentscheids entsandt worden.
»Man muss förmlich immer auf der Hut sein, wenn man bei Vonovia mietet, und permanent die Nebenkosten überwachen«, sagt Heeg. Durch Zufall habe sie als Mieterin einer Vonovia-Wohnung festgestellt, dass in der Betriebskostenabrechnung die Pflege für elf Bäume auf den Freiflächen des Wohnhauses in Rechnung gestellt worden seien. »Es gibt aber nur drei Bäume.« Werden wegen solcher und anderer Auseinandersetzungen Teile von Mieten zurückgehalten, »werden sofort Inkassodrohungen aufgemacht«.
Doch natürlich ist es nicht nur das inzwischen bekannte und teilweise höchstrichterlich untersagte Geschäftsmodell Nebenkosten, das am Donnerstagabend beim ersten Teil der online abgehaltenen Reihe »Vergesellschaftungsgespräche« des Berliner Linke-Mietenexperten Niklas Schenker gegen die sogenannte Finanzialisierung des Immobiliensektors vorgebracht wird.
»Die effiziente Verwaltung und Vermehrung des Immobilienvermögens ist das Ziel«, so Heeg. »Das macht sie gefährlich für die Mieter*innen. Denn damit das Kapital auch bleibt, muss eine gewisse Rendite erzielt werden«, erläutert die Professorin, deren Habilitationsschrift sich mit der profitorientierten Stadtentwicklung in Boston beschäftigte – eine der Städte mit den höchsten Immobilienpreisen der USA.
Voraussetzungen für die Finanzialisierung waren die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit 1989 durch die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung, die gesetzlichen Regelungen, die den Teilverkauf öffentlicher oder genossenschaftlicher Wohnungsbestände auf dem Gebiet der ehemaligen DDR für eine Entschuldung erzwangen sowie die Finanzmarktderegulierungen des rot-grünen Bundeskabinetts unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD).
Heeg zeichnet die Entwicklung am Anlagevermögen von Immobilien-Spezialfonds in Deutschland nach. Lag es 1993 praktisch bei null, waren es 2021 fast 160 Milliarden Euro. Diese Fonds hatten 2019 mit fast 30 Prozent den höchsten Anteil an den Wohnimmobilien-Investitionen, gefolgt von Immobilien-AGs wie Vonovia, die 16 Prozent des Marktes halten. Nach den Offenen Fonds mit 15 Prozent kommt an vierter Stelle die öffentliche Hand mit 12,4 Prozent Anteil.
Befeuert wurde dieses Wachstum von der Niedrig- bis Nullzinspolitik der vergangenen Jahre. »Sobald die Rendite von sicheren Anleihen unter die Rendite von Immobilienanlagen rutscht, kommt es zur Verschiebung von Investments. Das ist das, was wir in den letzten 10, 15 Jahren erlebt haben«, sagt Heeg.
Bis 2010 handelte es sich vor allem um den Erstverkauf von Wohnungen, wie die rund 65 000 der einst landeseigenen GSW durch die rot-rote Koalition in Berlin 2004. Seitdem dominiert der Wiederverkauf einst privatisierter Portfolios. »Das bedeutet, dass mit jedem weiteren Verkauf von Wohnungen die Wohnungen teurer werden. Diese Preise müssen von Mieter*innen erbracht werden«, so Heeg.
Was jenseits der Betriebskosten der konkrete Unterschied für Berliner Mieterinnen und Mieter ist, ob ihr Vermieter Vonovia ist oder eine der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, hat der Stadtsoziologe Andrej Holm kürzlich auf der ersten öffentlichen Anhörung der Expertenkommission zum Enteignungsvolksentscheid aufgezeigt. Im Jahr 2021 verlangten die Städtischen bei fast zwei Drittel ihrer Wohnungen bei Neuvermietungen maximal den Mietspiegel-Mittelwert von 6,79 Euro nettokalt pro Quadratmeter; bei Vonovia liegt die Quadratmetermiete bei nur einem Viertel der Neuverträge unter 7 Euro. Die Durchschnittsmiete liegt laut Berechnungen von Holm beim Konzern seit Jahren 1,50 bis 2 Euro höher als bei den öffentlichen Wohnungen in der Hauptstadt.
Drastischer formulierte es ein Sprecher des Bündnisses gegen Mietenwahnsinn zum Tag der Immobilienwirtschaft am 22. Juni. »Die Stadt der Immobilienkonzerne bedeutet für uns explodierende Mieten, Zwangsräumungen, Eigenbedarfsklagen und Obdachlosigkeit, Verdrängung, Ausgrenzung und eine permanente Angst und Unsicherheit. Weil die Immobilienkonzerne seit Jahren hohe Profite einstreichen, steht vielen Mieter*innen das Wasser bis zum Hals«, sagte er.
Finanzmarktexperte Christoph Trautvetter widerspricht beim »Vergesellschaftungsgespräch« der Argumentation, dass die den Vonovia-Aktionären gezahlten Renditen größtenteils aus den Wertsteigerungen der Immobilien stammen würden. Immerhin 45 Cent von jedem Euro Mietzahlung gehen als Dividende an die Anteilseigner. »Diese stammt aus dem operativen Gewinn, aus dem die Wertsteigerung herausgerechnet wird«, erläutert Trautvetter. »Diese Mittel könnten zur Mietsenkung, für Reinvestitionen, Modernisierung oder Neubau verwendet werden«, sagt er. Wenn die Bestände vergesellschaftet werden würden.
Die seit Jahresbeginn stark steigenden Zinsen für Immobilienkredite – sie haben sich auf über drei Prozent mehr als verdreifacht – verändern die Bedingungen für die Branche deutlich. »Ich habe schon erste Stimmen aus dem Bereich der institutionellen Investoren gehört, die meinen, dass sie dann woanders investieren und sich aus diesem Bereich ein bisschen zurückziehen«, berichtet Trautvetter, der für die linksparteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitet. »Das heißt aber nicht, dass sie jetzt massiv verkaufen werden. Das lohnt sich nicht«, so der Wohnungsmarktexperte.
Für Immobilienunternehmen steigen nun die Kosten, weil diese zur Finanzierung sehr viel Fremdkapital nutzen. »Die steigenden Zinsen führen dazu, dass die Gewinne kleiner werden. Aber Vonovia ist zu einer Zeit gestartet, als die Zinsen bei vier bis fünf Prozent lagen, und konnte damit arbeiten«, sagt Trautvetter.
Außerdem ist die Inflationsrate gestiegen. Christoph Trautvetter nennt die Aussagen von Vonovia-Chef Rolf Buch »Unsinn«, dass der Konzern deswegen die Mieten erhöhen müsse. »Das zahlen die Mieterinnen und Mieter über ihre Betriebskosten. Mit den direkten Kosten für die Hausverwaltung hat das wenig zu tun«, erläutert er. »Durch die Inflation bekommt Vonovia aber Spielraum, um die Mieten zu erhöhen, weil sie die Immobilienwerte übersteigert haben«, so Trautvetter weiter. Seit Jahren steigen die Immobilienpreise noch stärker als die Mieten. »Irgendwann müssen sich die Werte aber wieder treffen. Entweder indem die Werte sinken oder die Mieten steigen«, so der Zusammenhang.
»Die steigenden Zinsen haben ganz direkt Einfluss auf den Neubau«, sagt Stadtgeografin Susanne Heeg. Es könnte also sein, dass die privaten Investitionen in dem Bereich auch im Zusammenhang mit den rasant steigenden Baukosten deutlich zurückgehen.
Doch die vor allem von der SPD ausgerufene Parole »Bauen, bauen, bauen« ist recht offensichtlich keine Lösung gegen steigende Mieten. Die Anzahl der Wohnungen ist in den letzten Jahren seit 2016 stärker gestiegen als die Anzahl der Haushalte; den Anstieg vor allem bei den Neuvermeitungsmieten bremste das nicht. »Es gab in Berlin in den letzten Jahrzehnten mit einer Ausnahme um das Jahr 2000 immer weniger Wohnungen als Haushalte. Nach Adam Ries und den Marktlogiken hätte die Miete die ganze Zeit explodieren müssen. Ist sie aber nicht, das heißt, es gibt neben diesem Mangel an Wohnungen vielleicht noch andere Erklärungen«, sagte Andrej Holm kürzlich in der Expert*innenkommission.
»Vonovia und LEG Immobilien sind Preistreiber auf dem Wohnungsmarkt. Sie sind dabei aber leider keine Einzelfälle«, sagte Robert Feiger, Chef der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt anlässlich des Tages der Immobilienwirtschaft. Zu beobachten sei, dass gerade von großen privaten Wohnungsgesellschaften ausgerechnet der Mietspiegel immer wieder herangezogen werde, um Mietsteigerungen am Markt durchzusetzen. »Hier schraubt sich der Markt die Mieten selbst zurecht. Leidtragende sind Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen«, so der IG BAU-Bundesvorsitzende Robert Feiger. Der Bezirksverband Berlin der Gewerkschaft tritt für die Sozialisierung der Bestände großer, renditeorientierter Immobilienkonzerne ein.
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