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Von der Inflation zur Rezession
Steigende Preise erhöhen nicht nur die Ungleichheit, inzwischen bedrohen sie auch das Wirtschaftswachstum
Steigende Preise reißen immer tiefere Löcher in die Kaufkraft der Haushalte. Die Politik bietet zwar Unterstützung an. Doch kompensiert sie nur einen Teil der Kostensteigerung – die Menschen werden ärmer. Damit wachsen zum einen Ungleichheit und Unzufriedenheit. Zum anderen ist der Kaufkraftverlust zum Konjunkturrisiko geworden. Sollte sich die Lage verschärfen, droht eine Rezession. Die Regierung erwägt daher weitere Hilfen – und dürfte dabei auf die Schuldenbremse keine Rücksicht nehmen.
Vor allem wegen steigender Energie- und Nahrungsmittelpreise betrug die Inflationsrate im Juni in Deutschland 7,6 Prozent. Das war zwar weniger als im Vormonat. Dennoch ist Entspannung nicht in Sicht. Laut Commerzbank wird die Inflationsrate zum Jahresende immer noch bei rund 7,5 Prozent liegen, »auch wenn es nicht zu einer Unterbrechung der russischen Öl- und Gaslieferungen kommt und der Anstieg der Energiepreise im Vorjahresvergleich im weiteren Jahresverlauf deutlich sinkt«. Denn nach wie vor bestehen weltweit erhebliche Material- und Lieferengpässe, die den Verkäufern die Gelegenheit zu Preiserhöhungen geben.
Die Teuerung trifft nicht alle Haushalte gleich. Laut gewerkschaftsnahem Institut IMK tragen Familien mit niedrigem Einkommen die höchste Inflationsbelastung, Alleinlebende mit hohem Einkommen die geringste. Gleichzeitig verschlechtert sich die Situation besonders stark bei den Ärmeren, da sie größere Anteile ihres Budgets für Energie und Nahrungsmittel ausgeben. »Die Spaltung könnte sich weiter verschärfen, da bisher noch nicht alle Preissteigerungen von Haushaltsenergie im Großhandel an die Privathaushalte weitergegeben wurden«, so das Institut im Juni.
Die Gewerkschaften fordern vor diesem Hintergrund zwar deutliche Lohnsteigerungen. Doch erstens stehen in diesem Jahr nicht für alle Branchen Gehaltsverhandlungen an. Zweitens sind die Lohnsteigerungen voraussichtlich zu schwach, um den Verlust der Kaufkraft auszugleichen. Daher greift die Regierung mit Unterstützungsmaßnahmen ein. Laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sie »bei den unteren und mittleren Einkommen ungefähr 90 Prozent der Preissteigerungen aufgefangen«. Diese Zahl ist laut IMK allerdings etwas übertrieben.
Das Institut hat diese Woche für verschiedene Haushaltstypen durchgerechnet, welcher Anteil der absehbaren Zusatzbelastungen durch teurere Energie und Lebensmittel durch die staatlichen Hilfen ausgeglichen wird. Bei einer Familie mit zwei erwerbstätigen Erwachsenen, zwei Kindern und einem unterdurchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 2000 bis 2600 Euro seien es rund 64 Prozent. Bei einer vergleichbaren Familie mit einem mittleren Einkommen von 3600 bis 5000 Euro netto seien es 54 Prozent.
Spürbar niedriger – zwischen 44 und 51 Prozent – falle die Entlastung bei Familien aus, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist. Bei alleinlebenden Erwerbstägigen mit niedrigen Nettoeinkommen von bis zu 900 Euro würden die Mehrbelastungen zu rund 75 Prozent ausgeglichen, bei jenen mit sehr hohen Einkommen von mehr als 5000 Euro zu 38 Prozent. Am stärksten fällt die Entlastung bei Menschen in Grundsicherung aus: Hier kommt es zu den von Scholz genannten 90 Prozent – allerdings, wie das IMK anmerkt, »bei grundsätzlich sehr engen finanziellen Spielräumen, weshalb auch eine geringe Belastung unmittelbar zu Konsumeinschränkungen führen dürfte«. Wer wenig hat, kann nichts entbehren.
Damit bedroht die Inflation nun nicht mehr nur den Wohlstand der Verbraucher, sondern auch ein zentrales Ziel der Bundesregierung: das Wirtschaftswachstum. »Die weiter gestiegenen Inflationsraten entziehen den privaten Haushalten so viel Kaufkraft, dass deren Konsum an Dynamik verliert«, erklärt die Commerzbank. Und der private Konsum steht für über die Hälfte der Wirtschaftsleistung. »Die Inflation wird zur Belastung für die Konjunktur«, mahnt daher die Deka-Bank. Inzwischen rechneten 40 Prozent der deutschen Einzelhändler mit stagnierenden Umsätzen im zweiten Halbjahr, 39 Prozent mit einem Rückgang. Auf der Seite der Industrie wiederum »verteuern die explodierenden Energiekosten die Produkte, sodass die Nachfrage nach diesen sinkt oder die Produktion in Teilen unrentabel wird«.
Das wachsende globale Rezessionsrisiko hat bereits die Preise für Öl und Industriemetalle sinken lassen – der Preis für Gas allerdings erklimmt immer neue Höhen. Angetrieben wird sein Anstieg durch die Kürzung russischer Lieferungen nach Europa. Am 11. Juli wird zudem die Pipeline Nord Stream 1 turnusgemäß gewartet, und es ist unklar, ob danach das Gas wieder fließen wird. »Sowohl die Unternehmen als auch die privaten Haushalte in Deutschland müssen sich auf den Ernstfall vorbereiten«, so die DZ Bank. »Wenn kein Gas mehr aus Russland kommt, werden die Preise vermutlich noch weiter ansteigen. Im Winter könnte das Gas tatsächlich auch physisch knapp werden.«
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat bereits vor einer »Kriegsmüdigkeit« der Bevölkerung gewarnt, Kanzler Scholz sieht in den steigenden Energiekosten einen »sozialen Sprengstoff«, und nun ist auch das Wachstum bedroht. Daher hat Scholz diese Woche weitere Hilfen in Aussicht gestellt und das Jahr 2023 als »die größte Herausforderung« bezeichnet. Laut offiziellen Planungen will der Bund im kommenden Jahr die Vorgaben der Schuldenbremse zwar wieder einhalten. Allerdings gebe es eine »stille Vereinbarung der Koalition, dass Berlin seine Finanzpläne nicht einhalten kann, wenn Russland die Gaslieferungen stoppt oder für eine längere Zeit aussetzt«, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Verweis auf Regierungsquellen.
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