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Auf der Suche nach Gewinnerthemen
Die globalen Umwälzungen sollten für Die Linke Anlass sein, zur Überwindung überkommenen Denkens beizutragen
Nach dem Erfurter Parteitag wird in der Linken der Streit um die Lufthoheit über die Definition, was ein linker Politikansatz ist, von Amts- und Mandatsträgern fortgesetzt werden. Dieser Streit wird die Wahlbevölkerung wenig bis gar nicht interessieren, wenn es keine glaubwürdigen Antworten auf die Fragen der Gegenwart geben wird. Doch sie diskutieren sie lieber die Identitätsthemen die industriellen Herausforderungen der Zukunft.
Die beiden Autoren sind Gründungsmitglieder der Partei Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (WASG), die 2007 mit der PDS zur Linkspartei fusionierte. Hüseyin Aydin arbeitet für die IG Metall und war von 2005 bis 2009 Bundestagsabgeordneter der Linken. Bernhard Sander ist Mitglied des Rates der Stadt Wuppertal.
Ein Drittel des deutschen BIP und die Arbeitsplätze von über fünf Millionen Menschen werden heute durch die Industrie dargestellt. Die Linke war bei Wahlen bis in die Mitte der 2010er Jahre die stärkste Kraft in der organsierten Arbeitnehmerschaft. Die Beschränkung auf Verteilungsfragen reicht aber nicht aus, wenn mit der Transformation die Frage aufgeworfen wird, wie die (industrielle) Basis der Reichtumsproduktion und damit der Arbeitsplätze zukünftig gestaltet werden kann. Je mehr diese Frage aus dem Blick geriet, desto uninteressanter wurde Die Linke für Beschäftigte und Gewerkschaften.
Die Felder, auf denen sich die Partei in den letzten Jahren interne Schlachten um Einfluss und Ressourcen geleistet hat, sind allesamt keine Gewinnerthemen gewesen. Die SPD hat sich soweit neu orientiert, dass die klassischen Felder der Linken faktisch nur noch für Nachhutgefechte taugen – Mindestlohn, Rückzug aus Afghanistan – oder von der Linken als Gesamtorganisation nicht mehr mit Nachdruck bearbeitet werden, z. B. weg mit Hartz IV, keine Rente mit 67. Die Linke keilt mit der SPD um Kompetenz in sozialpolitischen Themen und überlässt die Wirtschaftskompetenz den neoliberalen Kräften von CDU und FDP.
Aber auch die sogenannten Identitätsthemen führten Die Linke nicht zu neuen Erfolgen. Kämpfe gegen Homophobie, Rassismus oder für die Geschlechtergleichstellung können »bruchlos in Konzepte der Modernisierung des Kapitalismus eingepasst werden …, ohne die ökonomische Basis der Klassengesellschaft zu verändern«, so Frank Deppe. Sprich: Ob nun ein schwarzer Mensch oder eine lesbische Frau statt der »weißen Männer« an der Spitze von Großkonzernen steht, ist für Aktieneigner ohne Belang. Gleiches gilt für die Politik des Green New Deal – der Kapitalismus kann »grün« werden, ohne dass an seinem Kern gerüttelt wird. Die Belange der Arbeit bleiben außen vor.
Die letzten 15 Jahre sind gekennzeichnet von weltweiten Umbrüchen, deren Ausmaße so nach Gründung der Bundesrepublik nicht bekannt waren. Die große Finanz- und Währungskrise, die Corona-Pandemie, die Klimakatastrophe und nun der russische Überfall auf die Ukraine sowie die zum Teil verfehlten Reaktionen der herrschenden Kräfte durchpflügen die Branchenbeziehungen, Produktionsmethoden und die Wirtschaftsstrukturen in Deutschland, die Lieferbeziehungen in der Welt und damit auch die Möglichkeiten, sein Leben durch Arbeit zu gestalten. Hundertausende, meist nicht tariflich gesicherte und schlecht bezahlte Arbeitsplätze sind ganz oder zeitweise zerstört worden. Die soziale Spaltung nimmt zu und ist nicht akzeptiert, sondern nur geduldet.
Diese Krisen haben gezeigt: Keinem ist geholfen, wenn jeder nur an sich denkt, über die Rolle des Staates im Krisenmanagement sind die Meinungen geteilt. Sie haben einen strategischen Ansatz falsifiziert, dass solche Wirtschaftskrisen von sich aus unmittelbar eine breite fundamentale Opposition hervorrufen und Umwälzungen bewirken; im Gegenteil bewirken sie oft eine illusorische Rückorientierung an vermeintlich bessere Zeiten, z. B. an den Sozialstaat unter Kanzler Schmidt und an die Sehnsucht nach Sicherheit (Lafontaine). Sie stellen vielmehr (Gramsci) nur den günstigeren Boden dar, überkommenes Denken sowohl neoliberaler als auch realsozialistischer Modelle infrage zu stellen und neue Wege einzuschlagen, wenn Die Linke sie aufzeigen kann. Es geht darum, das qualitativ Neue der Herausforderungen zu erkennen, jenseits der Tatsache, dass es sich um Veränderungen in Gesellschaften handelt, in denen eine kapitalistische Produktionsweise vorherrscht, und die neuen Probleme mit neuen Methoden zu bearbeiten, und zwar jenseits des nicht gehörten Rufes nach Verstaatlichung.
In der neu aufkommenden Welt-Arbeitsteilung entwickeln sich wesentliche Gefahren:
• Die Abwanderung aufgrund von zu restriktiven Auflagen und Kosten kann für einzelne Standorte verheerende Folgen und je nach Branchen und Regionen sehr unterschiedliche Beschäftigungswirkungen haben. Kurz bis mittelfristig kann dies große Verwerfungen in der Regionalentwicklung hervorrufen. Das erfordert die Überprüfung und Erweiterung der Instrumente, die bisher zum Strukturwandel entwickelt wurden. Transformation ist eben kein Kapitel der Lokalpolitik (Braunkohlreviere, Stahlunternehmen), sondern nationale Gemeinschaftsaufgabe, die von der Linken auf die Tagesordnung gesetzt werden muss.
• Es gibt einen zurzeit auch zerstörerischen Zusammenhang von (militarisierter) Außen- und Machtpolitik und der Zerrüttung von Lieferketten und Wirtschaftsbeziehungen. Es geht um eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, die die Interessen aller Staaten berücksichtigt, also den Schutz vor Preisdumping im Außenhandel, aber auch die finanzielle Entlastung im Prozess der Transformation zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Frieden bleibt die Voraussetzung von Wohlstand und Entwicklung.
• Schneller und tiefgreifender als in keiner Zeit der Industrialisierung wandeln sich mit den Megatrends »Digitalisierung und Dekarbonisierung« die Zahl und Qualität von Arbeitsverhältnissen und die Chancen auf neue Beschäftigung.
Das sind Herausforderungen, denen sich die Politik und damit Die Linke stellen müssen, wenn sie in Zukunft für Beschäftigte in den industriellen Sektoren noch relevant sein wollen. Die Linke muss Antworten haben, welche Rolle ein aktiver Staat übernehmen soll, wenn es beispielsweise darum geht,
• der geballten Kapitalmacht des Silicon-Valley (Google, Amazon usw.) soziale Gestaltung und konkurrenzfähige europäische Digital-Strukturen entgegenzusetzen;
• Klimaneutralität nicht mit wohlklingelnden Phrasen durchzusetzen, sondern mit restriktiven Zielvorgaben, um die gesundheitliche Resilienz durch ein modernes Gesundheitswesen und schnelle (Bio-) Chemie zu sichern. Der Industriesektor soll und muss folglich bis zum Jahr 2030 seine Emissionen gegenüber 2020 um mindestens 36,6 Prozent reduzieren.
So entstehende neue und gesicherte Arbeit und Standorte sichern die Einkommen und Steuereinnahmen von morgen.
Der unternehmerische Staat
Selbst in der SPD wird heute offen darüber gesprochen, dass der Markt und die Unternehmen diese zentralen Transformationen nicht alleine bewältigen können. Die ausreichende Verfügbarkeit von Ökostrom ist die Grundvoraussetzung sämtlicher Pläne zur Dekarbonisierung der Industrie und des Verkehrssektors. Die massive Beschleunigung des Ökostromausbaus ist die grundlegende Voraussetzung dafür, dass insbesondere in der Chemie- und der Stahlindustrie der Umstieg auf Wasserstoff tatsächlich zu CO2-Einsparungen führt.
Schlüsselbereiche der Dekarbonisierung sind durch staatliche Beteiligung, Subventionen und Kreditbedingungen so lange abzusichern, bis hier zu konkurrenzfähigen Preisen produziert werden kann. Neuentwicklungen und Neuinvestitionen sind risikoreich und je besser sie im Interesse der Umwelt abgesichert sind, desto schneller können sie umgesetzt werden. Dies kann nicht Banken und Hedgefonds überlassen werden.
Die jetzt notwendigen Finanzmittel gehen weit über das hinaus, was zur Bankenrettung oder zum Wiederaufschwung nach der Pandemie (European recovery programm) aufgebracht wurde.
Es gilt außerdem, breite Schichten der Bevölkerung an der Entwicklung und an den Erfolgen dieser Strategie zu beteiligen, zumal die Ungleichheiten in den drei großen Krisen des letzten Jahrzehnts schmerzhaft zugenommen haben. Daher sind Gewinne von Unternehmen, die von staatlicher Transformationshilfe profitieren, zu sozialisieren (verzinste Rückzahlung von Subventionen, Versteuerung usw.). Eine Schuldenbremse wirkt auf die Transformation hinderlich.
Der Vorsorge-Staat
Gebraucht wird ein Sozialstaat, der wieder besser gegen Lebensrisiken absichert, prekäre Beschäftigung ächtet und ausgleicht, Arbeitsplatzverlust durch Transformation nicht bestraft, sondern durch Qualifikationsgarantien bzw. Lebensstandard sichernde Einkommen auffängt. Die Instrumente der Bundesanstalt für Arbeit und der Jobcenter müssen neu ausgerichtet werden. Die möglichst schnelle Vermittlung auf irgendeinen verfügbaren Arbeitsplatz darf nicht mehr oberste Priorität der Arbeitsmarktpolitik sein. Stattdessen müssen die vom Strukturwandel Betroffenen schon in den Beschäftigungsverhältnissen durch Beratung und Qualifizierung befähigt werden, eine andere gleich- oder höherwertige Tätigkeit auszuüben. Weiterbildung muss Vorrang vor schneller Vermittlung bekommen.
Die Linke kämpft für einen Sozialstaat, in dem Arbeit an Menschen endlich genauso wertgeschätzt wird wie Arbeit an Maschinen. Deutschland hat den größten Niedriglohnsektor in Europa, weil ein Teil der Dienstleistungsbranchen nicht tariflich gesichert ist. Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, Abschaffung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und die Aufhebung der Gender-Gaps bei Bezahlung, Arbeitszeit und Care-Arbeit bleiben Themen der Linken, auch wenn sie sich darüber im Klaren ist, dass das kein Alleinstellungsmerkmal ist.
Der demokratische Staat
Die Linke ist aufgerufen zu Initiativen, wie die Beschäftigten mitgestaltend in die Veränderungen eingreifen können. Es geht um Wirtschaftsdemokratie im Betrieb, im Unternehmen und in der Politik; dazu braucht es völlig neue Organe der politischen Mitsprache in Bund und Ländern.
Die Unternehmensmitbestimmung muss ausgebaut werden. In allen Fragen, die die Existenz eines Unternehmens betreffen (Rechtsform, Verlagerungen ins Ausland, Massenentlassungen usw.), sind künftig Zweidrittelmehrheiten in den Aufsichtsgremien notwendig.
Weder hebelt die Bereitschaft der Unternehmen zu klimaneutralen Investitionen die kapitalistische Profitlogik aus noch haben Bewegungen von sich aus Akzeptanz und Verständnis für die Fachkompetenz und die sozialen Interessen von Industriebeschäftigten.
Dies in der gesellschaftlichen Mosaiklinken zu vermitteln, ist Aufgabe der Partei. Es geht darum, in (leider auch asymmetrischen und zeitlich befristeten) Kompromissen verbindliche Klimaziele und industriepolitische Transformationen durchzusetzen.
Die hier angesprochenen Themen sind Machtfragen; und wie in allen Machtfragen kommt es nicht darauf an, was Die Linke Frommes in unseren Programmen will, sondern es wird nur so viel an Fortschritt geben, wie in harten Kämpfen durchgesetzt werden kann. Die Linke sollte also realistisch einschätzen, wozu sie gesellschaftliche Kräfteverhältnisse mobilisieren kann. Wenn Die Linke hier Debatten anstößt, sich in laufende Diskussionen der Gewerkschaften einklinkt, Gesetzesvorhaben formuliert, kann sie Fürsprecher und Multiplikatoren im wichtigen Wählersegment der Lohnarbeit gewinnen und zu ihrer alten Stärke zurückfinden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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